Boris Johnson
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Rennen um Mays Nachfolge

Johnson will an Brexit-Deal schrauben

Der Favorit im Rennen um die Nachfolge der britischen Premierministerin Theresa May, Boris Johnson, hält erfolgreiche Nachverhandlungen mit der EU zum Brexit-Abkommen für machbar. Es brauche dazu nur die „richtige Energie und den richtigen Einsatz“, sagte der Ex-Außenminister am Samstag bei einer Regionalkonferenz der Torys in Birmingham vor Hunderten Mitgliedern. Ein Nachjustieren hielt die EU bisher aber für ausgeschlossen.

Johnson schlug zudem vor, die heikle Frage nach Kontrollen an der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland beim Austrittsabkommen auszuklammern. Das könne anschließend im Rahmen der Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen gelöst werden, sagte Johnson.

Grenzkontrollen auf der irischen Insel sollen unbedingt verhindert werden, weil sonst ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen probritischen Protestanten und proirischen Katholiken befürchtet wird. Mit der bisher vereinbarten Lösung wollen sich aber viele Abgeordnete der konservativen Regierungspartei nicht abfinden.

Abschlussrechnung über 45 Mrd. Euro

Erneut drohte Johnson auch, die bereits vereinbarte Zahlung der Abschlussrechnung über etwa 45 Milliarden Euro zu verweigern. In dieser Frage müsse das Prinzip der „kreativen Mehrdeutigkeit“ angewandt werden, sagte der 55 Jahre alte Politiker.

Die Briten hatten im Juni 2016 mit knapper Mehrheit in einer Volksabstimmung für den EU-Austritt ihres Landes gestimmt. Weil sie mit ihrem Brexit-Deal dreimal im Parlament gescheitert war, kündigte Regierungschefin May vergangenen Monat ihren Rücktritt an. Die Brexit-Frist wurde inzwischen bis 31. Oktober verlängert. Johnson hatte angekündigt, das Austrittsdatum dieses Mal „mit oder ohne Deal“ einzuhalten – obwohl für den Fall eines „No-Deal-Brexits“ drastische Konsequenzen für die Wirtschaft befürchtet werden.

Tory-Parteichef soll Ende Juli feststehen

Johnson und sein Konkurrent Jeremy Hunt präsentierten sich in Birmingham erstmals der Parteibasis. Bis Ende Juli sollen die geschätzt 160.000 Mitglieder der Konservativen Partei per Briefwahl über den neuen Parteichef und damit Premierminister abstimmen. Bis dahin treten die beiden Kontrahenten noch in 15 weiteren Regionalkonferenzen im ganzen Land auf. Hunt kündigte an, die Unternehmenssteuer in Großbritannien drastisch zu senken und so Druck auf die EU auszuüben.

Der britische Außenminister Jeremy Hunt
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Johnsons Gegner Hunt will durch eine niedrigere Unternehmenssteuer in Großbritannien die EU unter Druck setzen

Polizeieinsatz wegen Streits mit Lebensgefährtin?

Keine Antwort wollte Johnson am Samstag auf die Frage des Moderators geben, was Anlass zu einem Polizeieinsatz vor seiner Wohnung in London gegeben hatte. Britische Zeitungen hatten über einen angeblichen Vorfall in der Wohnung berichtet, die er sich mit seiner neuen Lebensgefährtin in London teilt. Dort hatten den Berichten zufolge Nachbarn wegen eines lautstarken Streits in der Nacht auf Freitag die Polizei gerufen. Er glaube nicht, dass die Zuhörer „diese Art von Sachen hören wollen“, wiegelte Johnson ab.

Scotland Yard bestätigte einen Einsatz, nannte jedoch keinen Namen. Ein Anrainer habe aus Sorge um seine Nachbarin die Polizei gerufen, hieß es in einer Stellungnahme. Die Beamten hätten mit allen Bewohnerinnen und Bewohnern der betroffenen Wohnung gesprochen. Sie seien alle wohlauf gewesen, und es habe keinen Anhaltspunkt für Vergehen oder Anlass zur Besorgnis gegeben.

Kritik an Johnsons Schweigen

Der Anrainer sagte dem „Guardian“, er habe den Streit von seiner eigenen Wohnung aus aufgenommen. Er habe dreimal an die Tür von Johnson und Carrie Symonds geklopft, aber niemand habe reagiert. Er versicherte, er habe „zwei sehr laute Schreie“ und einen „lauten Knall“ gehört, der die Mauern habe erzittern lassen.

Johnson erntete für sein hartnäckiges Schweigen heftige Kritik. Mehrere Sonntagszeitungen in Großbritannien titelten mit der Weigerung zu einer Stellungnahme. Selbst konservative Boulevardzeitungen wie die „Sun“, die hinter dem Bekanntwerden des Vorfalls eine „linke Verschwörung“ witterten, schlossen sich der Kritik an Johnsons Schweigen an. Der „Sunday Express“ titelte: „Warum sagt uns Boris nicht, was passiert ist?“

„The Times“: Negative Folgen möglich

Die Zeitung „The Times“ geht davon aus, dass der Vorfall negative Folgen für Johnson haben könnte. „Viel wird von den nächsten 24 Stunden abhängen und davon, ob die Aufnahme des Nachbarn auftaucht“, schrieb die Zeitung. Zumindest werde das Rennen um die Führung der Torys und damit das Amt des Regierungschefs, das zuletzt wie „eine reine Formalie“ ausgesehen habe, nun mehr Gewicht bekommen.

Johnson gilt als haushoher Favorit im Rennen um die Downing Street. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov Mitte Juni gaben 77 Prozent der befragten Tory-Mitglieder an, dass der Ex-Außenminister ihrer Ansicht nach ein guter Parteichef wäre. Sein Nachfolger in dem Amt, Hunt, kam nur auf 56 Prozent.