Die Kapitänin Carola Rackete in einem Polizeiauto
APA/AFP/Anaelle Le Bouedec
„Sea-Watch 3“

Kapitänin verhaftet, Schiff beschlagnahmt

Das Schiff „Sea-Watch 3“ der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch hat in der Nacht auf Samstag ohne Erlaubnis im Hafen der italienischen Insel Lampedusa angelegt. Die Kapitänin wurde verhaftet und unter Hausarrest gestellt, das Schiff beschlagnahmt.

Kapitänin Carola Rackete wird auf Lampedusa unter Hausarrest gestellt, die Deutsche gab eine Wohnung auf der Insel als Domizil an, wie italienische Medien berichteten. Der 31-jährigen Kapitänin drohen zwischen drei und zehn Jahren Haft, weil sie Gewalt angewendet habe, um das Schiff in den Hafen von Lampedusa zu bringen. Ihr wird auch Beihilfe zur illegalen Einwanderung vorgeworfen. Das Schiff wurde beschlagnahmt. Der Kapitänin und der deutschen NGO Sea-Watch droht eine Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro.

Im Hafen versammelten sich Anwohner und Aktivisten. Einige jubelten, andere riefen: „Schande“ und „Hau ab!“ Rackete wurde von Polizisten abgeführt. Ihr wird Widerstand oder Gewalt gegen ein Kriegsschiff vorgeworfen. Rackete hatte angegeben, sie wisse, was sie riskiere, und sei bereit, für ihre Entscheidungen ins Gefängnis zu gehen.

Die Kapitänin Carola Rackete geht von Bord des Schiffs „Sea Watch 3“ im Hafen von Lampedusa
APA/AFP/Anaelle Le Bouedec
Rackete wurde in der Nacht auf Samstag von Polizisten festgenommen

Die Menschen seien unterdessen von Bord gegangen. Sie waren vor mehr als zwei Wochen vor der libyschen Küste von der Organisation gerettet worden. Seitdem wartete Sea-Watch vergeblich auf die Zuweisung eines sicheren Hafens in Europa. Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, hatten sich bereit erklärt, Schutzsuchende aufzunehmen.

Salvini wirft Kapitänin „kriminelles Verhalten“ vor

Der deutsche Grünen-Chef Robert Habeck kritisierte das Vorgehen der italienischen Behörden. „Die Verhaftung von Kapitänin Rackete zeigt die Ruchlosigkeit der italienischen Regierung und offenbart das Dilemma der europäischen Flüchtlingspolitik“, sagte Habeck dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Italiens Innenminister Matteo Salvini warf der Kapitänin „kriminelles Verhalten“ vor. Sie habe unter anderem das Leben von Zollpolizisten aufs Spiel gesetzt. „Rackete hat dies alles getan, während Parlamentarier der Opposition, darunter Ex-Verkehrsminister Graziano Delrio, an Bord des Schiffes waren. Unglaublich“, so Salvini laut Medienangaben.

Das Schiff „Sea Watch 3“ im Hafen von Lampedusa
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An Bord des Schiffs waren auch Politiker, die sich für eine Landung der Flüchtlinge in Italien aussprachen

„Mission erfüllt“, schrieb Salvini auf Twitter. „Verbrecherische Kapitänin festgenommen, Piratenschiff beschlagnahmt, Höchststrafe für die ausländische Nichtregierungsorganisation.“ Italiens Regierungschef Giuseppe Conte erklärte am Rande des G-20-Gipfels in Osaka, er wolle sich nicht anstelle der Justiz setzen, die für die Anwendung des Gesetzes zuständig sei. „Aber die Gesetze existieren, ob wir wollen oder nicht.“ Es sei eine „Sprachverdrehung orwellschen Ausmaßes“, wenn Italiens Innenminister Matteo Salvini Rackete „Unterstützung von Menschenhändlern“ und Piraterie vorwerfe, sagte Habeck. „Der eigentliche Skandal ist das Ertrinken im Mittelmeer, sind die fehlenden legalen Fluchtwege und ein fehlender Verteilmechanismus in Europa.“

Kampagne für Freilassung

Linksparteien, Gewerkschaften und katholische Verbände in Italien starteten unterdessen eine Kampagne für die Freilassung der Kapitänin. „Free Carola“ lautet der Slogan der Kampagne, die breit über Soziale Netzwerke geführt wird – mehr dazu in religion.ORF.at.

Sea-Watch-Kapitänin festgenommen

Nach wochenlangem Tauziehen hat das deutsche Flüchtlingsrettungsschiff „Sea-Watch 3“ im Hafen von Lampedusa angelegt.

Politiker protestierten auf Schiff

Eine Gruppe italienischer Parlamentarier der oppositionellen Demokratischen Partei (PD) erreichte am Donnerstagnachmittag an Bord eines Schlauchbootes das Rettungsschiff „Sea-Watch 3“. Die PD-Parlamentarier gingen mit einer Gruppe von Journalistinnen und Journalisten an Bord des Rettungsschiffs – und wollten es nur gemeinsam mit den Geflüchteten verlassen. „Diese unnötige Grausamkeit muss beendet werden, sie (die Flüchtlinge, Anm.) haben das Recht zu landen“, appellierten die Parlamentarier laut Medienangaben.

Die italienische Regierung hatte vor zwei Wochen ein umstrittenes Sicherheitsdekret beschlossen, wonach Kapitäne, Eigentümer und Betreiber von Flüchtlingsschiffen mit bis zu 50.000 Euro Strafe, mit der strafrechtlichen Verfolgung wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung sowie mit Beschlagnahmung der Schiffe rechnen müssen, wenn für die Einfahrt in die italienischen Hoheitsgewässer keine Genehmigung vorliegt.

Sea-Watch: „Niemand übernahm Verantwortung“

Sea-Watch twitterte Samstagfrüh, man habe vor fast 60 Stunden den Notstand ausgerufen. „Niemand hörte uns zu. Niemand übernahm Verantwortung.“ Sea-Watch-Geschäftsführer Johannes Bayer lobte Rackete: „Wir sind stolz auf unsere Kapitänin, sie hat genau richtig gehandelt. Sie hat auf dem Seerecht beharrt und die Menschen in Sicherheit gebracht“, schrieb er via Twitter.

EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos bestritt unterdessen, dass Brüssel Italien im Umgang mit der Migrationsproblematik im Stich gelassen habe. „Leider denken einige EU-Mitgliedsstaaten, das, was an der italienischen Küste geschieht, ist nicht ihr Problem. Das ist falsch, denn die italienische Grenze ist die gemeinsame EU-Außengrenze“, sagte Avramopoulos im Interview mit der römischen Tageszeitung „La Repubblica“ (Samstag-Ausgabe). Er dankte den fünf EU-Ländern Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Portugal und Finnland, die sich zur Aufnahme der jüngsten „Sea-Watch 3“-Migranten bereit erklärt haben, so Avramopoulos.

Weitere zwei Rettungsschiffe im Mittelmeer unterwegs

Indes sind die Schiffe von zwei NGOs, eine deutsche und eine spanische Hilfsorganisation, im Mittelmeer in Richtung Libyen unterwegs. Dabei handelt es sich um die „Open Arms“ der spanischen NGO Proactiva Open Arms und um die „Alan Kurdi“ der deutschen Hilfsorganisation Sea Eye, so Salvini am Samstag auf Facebook.

Der Innenminister drohte auch diesen NGOs mit einer hohen Geldstrafe, der Konfiszierung der Schiffe und der Festnahme der Crew, sollten sie unerlaubt italienische Gewässer erreichen. „Die strenge Linie der italienischen Regierung trägt dazu bei, die EU zu wecken. Wir wollen Migrantenabfahrten, Dramen und Tote im Mittelmeer verhindern“, sagte Salvini.