Sea-Watch 3 Kapitänin Carola Rackete
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Zum Schutz der Migranten

Sea-Watch-Kapitänin rechtfertigt sich

Die Kapitänin der „Sea-Watch 3“, Carola Rackete, die am Samstag trotz eines Verbots der italienischen Behörden mit ihrem Schiff in den Hafen der Mittelmeer-Insel Lampedusa eingelaufen war, hat ihre Entscheidung mit dem Schutz der Migranten gerechtfertigt. In der Zeitung „Corriere della Sera“ (Sonntag-Ausgabe) entschuldigte sich die 31-Jährige zugleich bei der Polizei.

Sie habe den Hafen angesteuert, weil sie befürchtete, Migranten an Bord könnten ins Meer springen, sagte Rackete. „Da die Migranten nicht schwimmen können, wäre dies ein Suizid gewesen. An Bord war es bereits zu Selbstverletzungen seitens der Migranten gekommen.“

Rackete hatte in der Nacht auf Samstag entschieden, die „Sea-Watch 3“ in den Hafen einlaufen zu lassen, nachdem sie fast drei Tage lang vor Lampedusa auf die Genehmigung zur Landung gehofft hatte. Ein Polizeischnellboot versuchte das vergeblich zu verhindern. Als „eine kriegerische Handlung“ bezeichnete Italiens Innenminister Matteo Salvini das Manöver. Die Kapitänin entschuldigte sich für diesen Vorfall. „Ich wollte niemanden in Gefahr bringen, es war ein Fehler bei der Annäherung zum Hafen“, sagte die Deutsche.

Bis zu 15 Jahre Haft drohen

Der Kapitänin aus der deutschen Stadt Kiel werden unter anderem Beihilfe zur illegalen Einwanderung sowie die Verletzung italienischer Hoheitsgewässer vorgeworfen. Sie soll am Montag von den ermittelnden Staatsanwälten befragt werden. Ihr drohen bis zu 15 Jahre Haft. 50.000 Euro werden sie und die deutsche NGO Sea-Watch zahlen müssen, weil sie trotz italienischen Verbots einen Hafen in Italien angelaufen hatten.

Die Sea-Watch 3 in Lampedusa
AP/Annalisa Camilli
Die „Sea-Watch 3“ nach der Ankunft in Lampedusa

„Humanitäre Überlegungen können nicht gewalttätige Aktionen gegen die Polizei rechtfertigen, die im Meer für die Sicherheit arbeiten“, betonte der Staatsanwalt der sizilianischen Stadt Agrigent, Luigi Patronaggio, der den Haftbefehl für Rackete unterzeichnet und die Beschlagnahme des Schiffes angeordnet hatte.

Empörte Reaktionen über die Verhaftung kommen vor allem aus Deutschland. „Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden“, schrieb der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) im Kurzbotschaftendienst Twitter. Die Linke-Fraktion im deutschen Bundestag forderte die dortige Regierung am Sonntag auf, sich für die Freilassung der Deutschen einzusetzen.

Oppositionspolitiker wollen aussagen

Linksparteien, Gewerkschaften und katholische Verbände haben in Italien eine Kampagne für die Freilassung Racketes gestartet. „Free Carola“ lautet der Slogan der Kampagne, die auch intensiv auf sozialen Medien geführt wird. Am Samstagabend fand in Rom eine Solidaritätskundgebung mit der Kapitänin statt. Auch der Vatikan beobachtet die Entwicklungen. „Menschenleben muss um jeden Preis gerettet werden, das ist der Polarstern, der uns führt, der Rest ist Nebensache“, erklärte der vatikanische Staatssekretär, Kardinal Pietro Parolin, nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur ANSA – mehr dazu in religion.ORF.at.

Fünf oppositionelle Parlamentarier, die sich an Bord der Sea-Watch-3 befanden, als Rackete trotz Verbots der italienischen Behörden den Hafen Lampedusa ansteuerte, erklärten sich bereit, vor Gericht für die Kapitänin auszusagen. „Wir waren an Bord des Schiffes in den letzten zwei Tagen vor der Landung und sind zur Aussage vor Gericht bereit“, so der Parlamentarier der Partei +Europa, Riccardo Magi.

Sea-Watch twitterte am Samstag, man habe vor fast 60 Stunden den Notstand ausgerufen. „Niemand hörte uns zu. Niemand übernahm Verantwortung.“ Sea-Watch-Geschäftsführer Johannes Bayer lobte Rackete: „Wir sind stolz auf unsere Kapitänin, sie hat genau richtig gehandelt. Sie hat auf dem Seerecht beharrt und die Menschen in Sicherheit gebracht“, teilte er via Twitter mit.

„Entweder Europa wacht auf oder wir wachen auf“

Luigi di Maio von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, italienischer Vizeministerpräsident, schrieb auf Facebook, einst habe man sich in Europa über sein Land lustig gemacht. Italien wolle aber im Umgang mit dem Flüchtlingsproblem nicht länger allein gelassen werden. „Nun müssen sich die Dinge ändern: Entweder Europa wacht auf oder wir wachen auf.“

Salvini sagte dem Sender RAI, fünf Länder hätten sich bereit erklärt, die Flüchtlinge aufzunehmen. Um welche Staaten es sich handelte, ließ er offen. Doch sind die Aufnahmeländer bekannt: Es sind Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Finnland und Portugal.

Avramopoulos: Italien nicht im Stich gelassen

Der französische Innenminister Christophe Castaner sagte, sein Land werde zehn der Flüchtlinge aufnehmen. Zugleich wies er italienische Vorwürfe zurück. Es sei falsch zu sagen, dass die EU sich nicht solidarisch mit Italien bei der Frage des Umgangs mit ankommenden Migranten gezeigt habe.

Gleichsam bestritt EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos, dass Brüssel Italien im Umgang mit der Migrationsproblematik im Stich gelassen habe. „Leider denken einige EU-Mitgliedsstaaten, das, was an der italienischen Küste geschieht, ist nicht ihr Problem. Das ist falsch, denn die italienische Grenze ist die gemeinsame EU-Außengrenze“, sagte Avramopoulos im Interview mit der römischen Tageszeitung „La Repubblica“ (Samstag-Ausgabe). Auch dankte er den Aufnahmeländern.

Böhmermann bittet um Spenden für Seenotretter

Die Fernsehmoderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf riefen indes zu Spenden für die Seenotretterinnen und -retter sowie ihre Kapitänin Rackete auf. In einem gut fünfminütigen auf YouTube in der Nacht auf Sonntag geposteten Video zeigten sie sich erschüttert von den Geschehnissen auf der italienischen Insel Lampedusa.

Sea-Watch 3 Kapitänin Carola Rackete
AP/Matteo Guidelli/Matteo Guidelli
Mehr als 140.000 Euro hatte Böhmermann bis Sonntagfrüh für Rakete und Sea Watch gesammelt

Böhmermann sagte: „Mit den Ereignissen der letzten Tagen hat diese unmenschliche, kaltblütige und skrupellose Politik einen neuen Tiefpunkt erreicht.“ Sie betonten in einer gemeinsamen Erklärung: „Wer Menschenleben rettet, ist kein Verbrecher.“ Wie die meisten könnten auch sie nicht persönlich vor Ort im Mittelmeer helfen. „Darum möchten wir spenden und gemeinsam mit euch Geld sammeln.“

Bereits Sonntagfrüh waren Spenden in Höhe von mehr als 140.000 Euro eingegangen. Heufer-Umlauf bedankte sich umgehend für die Spenden: „Wow! Vielen Dank an alle!“ schrieb er auf Twitter. Für den Fall, dass die italienischen Behörden Rackete strafrechtlich verfolgen würden, „werden wir, wie im letzten Jahr, Geld für die anfallenden Rechtskosten und Ausgaben der Lebensretter sammeln und spenden“. Die Aktion soll bis Ende Juli laufen.

Weitere zwei Rettungsschiffe im Mittelmeer unterwegs

Indes sind die Schiffe von zwei NGOs, eine deutsche und eine spanische Hilfsorganisation, im Mittelmeer in Richtung Libyen unterwegs. Dabei handelt es sich um die „Open Arms“ der spanischen NGO Proactiva Open Arms und um die „Alan Kurdi“ der deutschen Hilfsorganisation Sea Eye, so Salvini am Samstag auf Facebook.

Der Innenminister drohte auch diesen NGOs mit einer hohen Geldstrafe, der Konfiszierung der Schiffe und der Festnahme der Crew, sollten sie unerlaubt italienische Gewässer erreichen. „Die strenge Linie der italienischen Regierung trägt dazu bei, die EU zu wecken. Wir wollen Migrantenabfahrten, Dramen und Tote im Mittelmeer verhindern“, sagte Salvini.