Deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel
Reuters/Johanna Geron
Ringen um EU-Topjobs

Merkel: „Keine sehr einfachen Beratungen“

Die 28 EU-Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, kommen am Abend in Brüssel zusammen, um über den Kommissions- und den Ratspräsidenten sowie den Außenbeauftragten zu entscheiden. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich vor Gipfelbeginn zurückhaltend: „Es werden keine sehr einfachen Beratungen“.

„Wir werden versuchen, konstruktiv zu sein“, sagte Merkel zur Haltung Deutschlands. Ihr persönliches Ziel sei es, „einen Konflikt zwischen dem Rat und dem Parlament zu vermeiden“, sagte Merkel weiter. „Deshalb wird es wohl eine Weile dauern.“ EU-Ratspräsident Donald Tusk habe „eine schwierige Aufgabe“ bei dem Versuch, alle Interessen zusammenzubringen.

Im Laufe des Tages zeichnete sich bereits eine mögliche Lösung im Poker um den EU-Spitzenposten ab. Tusk präsentierte den Fraktionschefs im Europäischen Parlament den Vorschlag, dass der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans Kommissionspräsident werden soll. Entsprechende Hinweise auf diese Personalentscheidung hatten sich zuletzt etwas verdichtet.

„Viel Widerstand“ gegen Timmermans

In der Europäischen Volkspartei (EVP) hat sich nach dem irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar zufolge bei einem Vortreffen massiver Widerstand gegen die Berufung vom Timmermans formiert. „Als EVP haben wir dem Paket, das in Osaka ausgehandelt wurde, nicht zugestimmt. Es gibt viel Widerstand“, sagt Varadkar vor dem Gipfel. Viele Staats- und Regierungschefs in der EVP meinten, der Anspruch auf die Kommissionspräsidentschaft dürfe nicht so schnell aufgegeben werden.

EU-Ratspräsident Donald Tusk mit dem ungarischen Premier Viktor Orban
APA/AFP/Virginia Mayo
Noch-Ratspräsident Tusk (r.) spricht sich für Timmermans aus – Ungarn (im Bild Ministerpräsident Viktor Orban) ist dagegen

Zudem gebe es aus Osteuropa Stimmen, wonach die Vergabe an Timmermans die Spaltung zwischen Ost und West vertiefen könnte. „Es wird eine lange Nacht, und es ist überhaupt nicht sicher, ob wir eine Lösung erreichen“, so Varadkar.

Ungarn: Wahl Timmermans’ „historischer Fehler“

Tatsächlich baute sich vor Gipfelbeginn auch Widerstand der Osteuropäer gegen Timmermans auf. Polen, Tschechien und Ungarn äußerten sich kritisch zu dem Niederländer. Von Ungarn kam entschiedene Ablehnung.

Dies wäre „ein sehr schwerer, sogar historischer Fehler“, schrieb die ungarische Europaministerin Judit Varga an EVP-Präsident Joseph Daul. Damit würde die EVP als stärkste Kraft ihren Anspruch auf Führung an andere Parteien abgeben. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban schrieb von einer „Demütigung“, wenn die wichtigste Position „an unseren größten Rivalen geht“. „Das wird zu unserer Selbstzerstörung führen“, schreibt Orban zudem. Zudem spricht er von einem „sehr erheblichen, oder sogar historischen Fehler“.

Auch der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis stellte sich gegen Timmermans. „Diese Person ist nicht die Richtige, um Europa zu einen“, so Babis. Die vier Visegrad-Staaten Polen, Slowakei, Ungarn und Tschechien hätten in der Vergangenheit das Gefühl gehabt, Timmermans habe dieser Region nicht besonders positiv gegenübergestanden, sagte Babis.

Costa will Südschiene für Timmermans

Portugals Ministerpräsident Antonio Costa glaubt, dass der Widerstand der EU-Ostländer gegen Timmermans überwunden werden kann. Er appelliert an Italien, Timmermans in Solidarität der Südländer zu unterstützen. Portugal und Spanien haben sozialdemokratische Ministerpräsidenten, Griechenland hat dagegen einen Linkspolitiker an der Spitze.

Conte erwartet „langen Marathon“

Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte stellte sich indes auf zähe Verhandlungen ein. „Ich bin bereit für einen langen Marathon heute Abend“, sagt er vor Beginn des Treffens. Er werde die Kandidatur des Sozialdemokraten Frans Timmermans für das Amt des Kommissionspräsidenten prüfen, sagte er.

Timmermans selbst äußerte sich zurückhaltend zu dem Personalpoker. „Ich bin Kandidat der sozialistischen Parteienfamilie. Wir werden sehen, wie sich die Regierungschefs entscheiden – wenn sie irgendetwas entscheiden.“

Juncker will zu Abschluss der Debatte kommen

Der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will heute zu einem Abschluss der Postendebatte kommen. Eine Verlängerung mache keinen Sinn, sagte er vor Beginn der Beratungen in Brüssel und wünschte sich ein Personaltableau „das stimmig ist“.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
AP/Olivier Matthys
Juncker: Liberale haben Spitzenkandidatensystem „gekillt“

Wenn der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Timmermans, nicht „in Ordnung“ wäre, hätte er ihn nicht zu seinem Stellvertreter ernannt, erklärte Juncker. Stellvertreter sei jedoch nicht Kommissionspräsident, räumte er ein. Seiner Ansicht nach haben die Liberalen das Spitzenkandidatensystem „gekillt“, da die Parteienfamilie sich nicht auf einen Spitzenkandidaten vor der Europawahl einigen habe können und dann viele Vorschläge gemacht hätte.

Bierlein will mit Ergebnis nach Hause kommen

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein zeigte sich vor Gipfelbeginn einigermaßen zuversichtlich, dass die Staats- und Regierungschefs den Poker um die EU-Spitzenjobs diesmal abschließen können. „Ich hoffe, dass man mit einem Ergebnis nach Hause kommt, das für alle mehrheitsfähig ist und für Europa Sinn macht“, sagte Bierlein.

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein
APA/AFP/John Thys
Bierlein bei ihrer Ankunft beim Gipfel

Die Kanzlerin sagte, ihr sei Ausgewogenheit, Mehrheitsfähigkeit und die Berücksichtigung der EU-Wahl-Ergebnisse wichtig. Auf konkrete Namensspekulationen wollte sich Bierlein aber nicht einlassen. Die Chefin der Übergangsregierung hatte zuletzt betont, dass sie ihre Zustimmung zu einem Paket geben werde, sobald sich konstruktive Mehrheiten abzeichnen würden.

Auf die Frage, ob Österreich also im Fall des Falles auch für den Sozialdemokraten Timmermans votieren werde, wollte sie sich aber auf keine konkrete Antwort festlegen: „Wir werden im Sinne Europas das gesamte Paket prüfen und beurteilen.“