EU-Flaggen in Brüssel
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Spitzenposten

Leichte Bewegung bei EU-Verhandlungen

In die Verhandlungen über die Spitzenposten der EU ist Bewegung gekommen: Neben dem Sozialdemokraten Frans Timmermans als Kommissionpräsident ist die konservative Bulgarin Kristalina Georgiewa als EU-Ratspräsidentin im Gespräch. Der liberale belgische Ministerpräsident Charles Michel könnte EU-Außenbeauftragter und EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber Präsident des EU-Parlaments werden.

Georgiewa ist ein weiterer Kompromissvorschlag, nachdem zu Beginn des Sondergipfels am Sonntagabend noch ein Vertreter oder eine Vertreterin der Liberalen Fraktion für den Posten im Gespräch war. Sie ist derzeit Geschäftsführerin der Weltbank-Institute IBRD und IDA. Laut dem Magazin „Politico“ ist auch die Liberale Margrethe Vestager als EU-Außenbeauftragte im Gespräch, Weber könnte sich den Vorsitz mit dem Liberalen Guy Verhofstadt teilen. Noch ist nichts entschieden, die Verhandlungen gehen weiter – der Gipfel wurde auf Dienstag vertagt.

Der scheidende EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte zu Beginn des Gipfels als mögliches Personalpaket einen Sozialdemokraten als Kommissionschef, EVP-Politiker für die Ämter des Parlamentspräsidenten und der EU-Außenbeauftragten und einen Liberalen als neuen Ratspräsidenten vorgeschlagen. Diese Lösung stieß umgehend auf Widerstand. In der französischen Delegation war von einer nicht vorhergesehenen Krise zwischen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und der konservativen EVP die Rede.

Tschechiens Premier Andrej Babis, der Slowakische Premier Peter Pellegrini und Maltas Premier Joseph Muscat
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Tschechiens Premier Andrej Babis, der slowakische Premier Peter Pellegrini und Maltas Premier Joseph Muscat (v. l. n. r.)

Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der spanische Regierungschef Pedro Sanchez und der niederländische Premier Mark Rutte hatten sich am Rande des G20-Gipfels im japanischen Osaka auf Timmermans als nächsten Kommissionschef verständigt. Der Grund war, dass Weber zuletzt keine Unterstützung bekommen hatte. Im Rahmen des EU-Sondergipfels hatte Tusk im Beichtstuhlverfahren über Nacht Vieraugengespräche mit allen 28 EU-Staats- und -Regierungschefs geführt.

Widerstand gegen Timmermans

In der EVP formierte sich großer Widerstand gegen die Berufung des Sozialdemokraten Timmermans als Nachfolger von Jean-Claude Juncker, darunter sehr stark aus Polen. Unzählige bilaterale Gespräche im Vorfeld des Sondergipfels am Sonntag und auch über die ganze Nacht hinweg sorgten nicht nur für eine Verzögerung des Starts, sondern auch dafür, dass die Regierungs- und Staatspitzen bis Montagmittag schon rund 20 Stunden verhandelt haben.

Laut dem Magazin „Politico“ soll die Lösung mit Timmermans vom früheren Parlamentspräsidenten Martin Schulz eingefädelt worden sein. Schulz soll seine Idee nach dem ergebnislosen Gipfel Mitte Juni zuerst dem portugiesischen Premier Antonio Costa unterbreitet haben. Die Idee: Die Sozialisten, zu denen auch Schulz gehört, bekommen den Job des Kommissionspräsidenten, während Weber eine schmerzhafte Niederlage erspart bleibt.

Orban: „Historischer Fehler“ und „Demütigung“

Vor Gipfelbeginn hatte sich Widerstand der Osteuropäer gegen Timmermans aufgebaut. Polen, Tschechien und Ungarn äußerten sich kritisch zum Niederländer. Von Ungarn kam entschiedene Ablehnung. Das wäre „ein sehr schwerer, sogar historischer Fehler“, schrieb die ungarische Europaministerin Judit Varga an EVP-Präsident Joseph Daul. Damit würde die EVP als stärkste Kraft im Europaparlament ihren Anspruch auf die Führung an andere Parteien abgeben.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sitzt alleine am Besprechungstisch
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Der Gipfel wurde in der Nacht auf Montag für bilaterale Gespräche unterbrochen

Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Viktor Orban schrieb von einer „Demütigung“, wenn die wichtigste Position „an unseren größten Rivalen geht“. „Das wird zu unserer Selbstzerstörung führen“, schrieb Orban zudem. Er sprach von einem „sehr erheblichen oder sogar historischen Fehler“.

Auch der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis stellte sich gegen Timmermans. „Diese Person ist nicht die richtige, um Europa zu einen“, so Babis. Die vier Visegrad-Staaten Polen, Slowakei, Ungarn und Tschechien hätten in der Vergangenheit das Gefühl gehabt, Timmermans sei dieser Region nicht besonders positiv gegenübergestanden, sagte Babis. Neben den Visegrad-Staaten sollen laut EU-Diplomaten auch Rumänien, Lettland, Irland und Kroatien Vorbehalte gegen Timmermans haben.

EU-Parlament gegen weitere Verschiebung

Für das EU-Parlament kommt eine nochmalige Verschiebung der Wahl seines Präsidenten aus Rücksicht auf das zähe Ringen der Staats- und Regierungschefs offenbar nicht infrage. Das Votum werde am 3. Juli stattfinden, so der scheidende Chef des Abgeordnetenhauses, Antonio Tajani, am Rande des Sondergipfels. Das Parlament hatte die für den 2. Juli angesetzte Wahl seiner neuen Führung vor einigen Tagen um einen Tag verschoben – in Erwartung eines langen Verhandlungsmarathons des Rats.

Die Wahl des Parlamentspräsidenten geschehe „unabhängig vom Rat und den Mitgliedsstaaten“, so Tajani nach einem Treffen der Staats- und Regierungschefs vor dem eigentlichen Beginn des Gipfels. Schon der Auftakt des Gipfels hatte sich um mehr als drei Stunden verzögert, weil einzelne Staats- und Regierungschefs in Vorgesprächen versuchten, ihre Differenzen auszuräumen. Bereits davor war der Beginn mehrfach verschoben worden. Auch eine mögliche Vertagung auf den 15. Juli war zwischenzeitlich im Gespräch.