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AP/Virginia Mayo
Ringen um EU-Jobs

Fronten weiter verhärtet

Im Ringen um die EU-Topjobs unternehmen die Staats- und Regierungschefs am Dienstag in Brüssel einen neuen Anlauf. Zuletzt war der Brüsseler Sondergipfel nach einem nächtlichen Verhandlungsmarathon am Montag vertagt worden. Doch sind die Fronten weiter verhärtet, wie die ersten Statements der Verhandler vor dem zweiten Gipfeltag zeigen.

Unverändert spießt es sich an einer Personalie: So stellen sich wesentliche Teile der Europäische Volkspartei (EVP) und die Visegrad-Länder Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn gegen eine Bestellung des Sozialdemokraten Frans Timmermans zum Präsidenten der EU-Kommission.

Der Plan, Timmermans dieses Amt zu geben, war unter anderen von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, also einer Konservativen, und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausgearbeitet worden. Auch am Mittwoch wurden wie bereits zuletzt deutliche Stimmen gegen den Niederländer geäußert: „Timmermans ist ein No-Go“, sagte etwa der tschechische Regierungschef Andrej Babis vor dem Sondergipfel: „Das sollte auch Deutschland zur Kenntnis nehmen.“

Der tschechische Regierungschef Andrej Babis
APA/AFP/Olivier Hoslet
Babis: „Timmermans ist ein No-Go“

„130 Mio. Einwohner können nicht übergangen werden“

Die Visegrad-Staaten hätten ihr Veto immer wieder deutlich gemacht, sagte Babis. „Ich verstehe nicht, warum die Premiers von Frankreich, Spanien, den Niederlanden und Deutschland 21 Stunden lang nicht verstanden haben, dass die Visegrad-Gruppe nur erreichen will, dass dieser Mann nicht Vorsitzender der EU-Kommission wird.“ Zusammen mit Italien, das Timmermans ebenfalls nicht wolle, hätten die Staaten 130 Millionen Einwohner und könnten nicht übergangen werden.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zeigte sich vor Beginn des Treffens zurückhaltender – und gleichsam kaum optimistisch, was einen Durchbruch angeht: Er erwarte schwierige Gespräche, die zwar zu signifikanten Fortschritten führen dürften, aber nicht zwangsläufig zu einer endgültigen Einigung.

Merkel: Jeder muss sich bewegen

Merkel forderte von allen anderen 27 EU-Kollegen Kompromissbereitschaft: „Jeder muss verstehen, dass er sich ein wenig bewegen muss – jeder und jede“, sagte sie. Dann gebe es durchaus Chancen, Ergebnisse zu finden, man gehe „mit neuer Kreativität an die Arbeit“. Sie jedenfalls gehe „fröhlich und bestimmt“ an diese Aufgabe.

Deutsche Kanzlerin Angela Merkel
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Merkel versucht es am zweiten Gipfeltag mit neuem Optimismus

Bettel: „Hier ist ja nicht ‚Europa sucht den Superstar‘“

Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel, ein Liberaler, hofft auf einen Durchbruch: Die Europäische Volkspartei habe in der Gipfelnacht wohl einen „Bug“ gehabt. Er hoffe, dass inzwischen ein „Reboot“ stattgefunden habe und die EVP nun geschlossen auftreten werde, sagte Bettel vor Gipfelbeginn.

Er wollte sich nicht festlegen, wer nun die besten Karten für den Kommissionspräsidenten hat. „Das ist keine Castingshow“, hier sei ja nicht „Europa sucht den Superstar“. Vielmehr gehe es um die Ausgewogenheit etwa in Hinsicht auf Geografie und das Verhältnis zwischen Mann und Frau.

Bierlein: „Meine Kriterien haben sich nicht geändert“

Der sozialdemokratische spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez betonte, dass die Sozialdemokraten sowohl zu dem Prinzip des Spitzenkandidaten als auch zu Timmermans als Kandidaten für den EU-Kommissionspräsidenten stehen. EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber – ihn will die EVP an der Spitze der Kommission sehen – könnte Präsident des Europäischen Parlaments werden, bekräftigte er.

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein bestand bei ihrem Eintreffen zum Gipfel auf einer geografischen Ausgewogenheit des EU-Personalpakets. „Meine Kriterien haben sich nicht geändert“, sagte sie. Es müssten auch genug Frauen im Personalpaket sein, und die Ergebnisse der Europawahl müssten berücksichtigt werden. Sie hoffe auf eine Lösung am Dienstag.

Neuer Kommissionspräsident braucht doppelte Mehrheit

Wer Nachfolger des amtierenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker werden will, braucht eine doppelte Mehrheit, um den Job zu bekommen: Erst müssen ihn die Staats- und Regierungschefs vorschlagen, dann muss das Europaparlament mehrheitlich zustimmen.

Für den Vorschlag der Staats- und Regierungschefs ist eine „verstärkte qualifizierte Mehrheit“ notwendig. Das sind mindestens 72 Prozent der 28 Mitgliedsstaaten, die gleichzeitig für wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Mindestens müssen sich damit 21 Mitgliedsstaaten mit entsprechender Bevölkerung hinter einen Kandidaten stellen. Für eine Sperrminorität wären umgekehrt wenigstens acht EU-Länder nötig und mehr als 35 Prozent Bevölkerungsanteil.

Das EU-Parlament muss den vorgeschlagenen Kandidaten dann „mit der Mehrheit seiner Mitglieder“ wählen. Das sind bei 751 Abgeordneten 376. Wird der Kandidat oder die Kandidatin abgelehnt, müssen die Staats- und Regierungschefs dem Parlament „innerhalb eines Monats“ einen neuen Kandidaten vorschlagen. Danach stimmen die Abgeordneten erneut ab. Auch hier ist eine Mehrheit der Mandate im Parlament nötig.

Parlament wird Präsidenten wählen

Das EU-Parlament wird am Mittwoch wie geplant seinen neuen Präsidenten wählen. Die Abstimmung werde ungeachtet der Entscheidung auf dem EU-Gipfel über den EU-Kommissionspräsidenten stattfinden, sagte ein Parlamentssprecher in Straßburg. Die Bewerbungen für die Wahl müssen nach jetzigem Stand bis Dienstag um 22.00 Uhr eintreffen.