Am 27. Mai versagte eine Mehrheit des Nationalrats, bestehend aus Abgeordneten von SPÖ, FPÖ und JETZT, der ÖVP-Minderheitsregierung das Vertrauen. In weiterer Folge beschlossen die Mandatarinnen und Mandatare einstimmig, am 29. September neu wählen zu lassen. Vorangegangen war diesen Beschlüssen der „Ibiza-Skandal“, im Zuge dessen FPÖ-Chef Heinz Christian Strache sowie der geschäftsführenden FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus zurücktraten und die ÖVP ihre Koalition mit der FPÖ aufkündigte.
Begonnen hat das Parlamentsjahr bereits vor der ersten Tagung mit dem Start der Untersuchungsausschüsse zur Causa Eurofighter und der Affäre um die Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Beide U-Ausschüsse mussten ihre Arbeit aber aufgrund des Neuwahlbeschlusses vorzeitig beenden. Was die Veranstaltungen betrifft, war das Parlamentsjahr bis Ende 2018 vom österreichischen EU-Ratsvorsitz geprägt.
257 Stunden und 33 Minuten
In der jüngsten Tagungsperiode fanden insgesamt 49 Plenarsitzungen mit einer Gesamtdauer von 257 Stunden und 33 Minuten statt. Beschlossen wurden dabei 127 Gesetze, dazu kamen 21 Staatsverträge und drei Vereinbarungen mit den Bundesländern. Jedes dritte Gesetz wurde einstimmig beschlossen.
Zusätzlich zu den Plenarsitzungen, von denen fünf Sondersitzungen auf Verlangen der Opposition waren, absolvierten die Abgeordneten der fünf Nationalratsfraktionen seit vergangenem September 171 Ausschusssitzungen, 27 Unterausschusssitzungen und 66 Sitzungen der beiden Untersuchungsausschüsse. Eine Partei benannte sich um: Aus der Liste Pilz wurde JETZT.
Neun „Dringliche“
Mit neun Dringlichen Anfragen der Oppositionsparteien nahmen die Abgeordneten ihr politisches Kontrollrecht gegenüber der Regierung außerhalb der Untersuchungsausschüsse wahr. Einmal nutzte dieses Instrument zudem die damalige Regierungspartei FPÖ, um über die Sozialpolitik der Regierung zu diskutieren.
Außerdem debattierten die Mitglieder des Nationalrats im Plenum über acht Dringliche Anträge und hielten neun Kurze Debatten zu schriftlichen Anfragebeantwortungen von Regierungsmitgliedern und Fristsetzungsanträgen, neun Aktuelle Stunden, sechs Fragestunden, vier Europastunden und 17 Erste Lesungen ab. In 75 Entschließungen richteten die Abgeordneten ihre Forderungen an die Regierung.
Freies Spiel der Kräfte
In den Nationalratssitzungen vom 12. und 13. Juni – den ersten nach Einsetzung der Übergangsregierung aus unabhängigen Fachleuten – stellten die Abgeordneten auf eigene Initiative die Weichen für zahlreiche Gesetzesbeschlüsse. Von 58 Fristsetzungsanträgen auf rasche Behandlung von Gesetzesmaterien nahmen sie 31 an.
Neben Gesetzesanträgen der früheren Regierungsparteien ÖVP und FPÖ, etwa zum Verbot von Plastiksackerln, kamen somit auch Vorstöße von SPÖ, NEOS und JETZT noch vor der Sommerpause im Nationalratsplenum zur Abstimmung. Mit einigen Anträgen hatten die einstigen Oppositionsparteien Erfolg. Beschlossen wurde beispielsweise der SPÖ-Initiativantrag auf volle Anrechnung von Zeiten der Elternkarenz bei Gehaltsvorrückungen, eine NEOS-Initiative zur Beseitigung von letzten Hürden bei der „Ehe für alle“ und die JETZT-Initiative, das Pflegegeld an die Inflation anzupassen.
Auch im September könnte der Nationalrat im freien Spiel der Kräfte noch einige Beschlüsse fassen, haben die Abgeordneten in den Juli-Sitzungen doch weitere 36 Fristsetzungsanträge – von mehr als 90 eingebrachten – angenommen. Die nächste reguläre Nationalratssitzung ist für den 25. September – vier Tage vor der Wahl – anberaumt, dazu sind jederzeit Sondersitzungen möglich.
Regierung stürzt über Misstrauensvotum
Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik zeitigte ein Misstrauensantrag Erfolg: Mehrheitlich versagte der Nationalrat bei einer Sondersitzung am 27. Mai auf Antrag der SPÖ der Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz das Vertrauen. Ein in derselben Sitzung eingebrachter JETZT-Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Kurz wurde angesichts des weitergehenden SPÖ-Misstrauensantrags nicht mehr abgestimmt.
Zuvor hatte die Opposition am häufigsten – insgesamt viermal in der letzten Tagung – dem damaligen Innenminister Herbert Kickl ihr Misstrauen erklärt, unter anderem wegen seiner Aussage „das Recht muss der Politik folgen“. Erfolg hatten die Oppositionsparteien mit ihrer Rücktrittsaufforderung an den Minister mangels erforderlicher Mehrheit aber nicht, ebenso scheiterte ein Misstrauensantrag gegen Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, dem die SPÖ Verbindungen mit Rechtsradikalen vorwarf.
Heftige Debatte über Sozialversicherungsreform
Die Reform der Sozialversicherungen prägte die politische Debatte beinahe das gesamte Jahr 2018, auch nachdem der Weiterbestand der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) nicht mehr in Frage gestellt wurde. Am 13. Dezember 2018 beschloss der Nationalrat in einer emotional geführten Debatte mit ÖVP-FPÖ-Mehrheit die Zusammenlegung von 21 Versicherungsträgern zu fünf Versicherungen. Einig zeigte sich der Nationalrat bei der Beschlussfassung einer Novelle zum Ärztegesetz.
Für Dissens sorgte bei einer weiteren Änderung im Medizinrecht – konkret im Kranken- und Kuranstaltengesetz – ein Passus, der laut Erläuterungen zum Entwurf Sonderklassegebühren für ambulante Leistungen einräumte. Ende 2018 beschloss die ÖVP-FPÖ-Koalition, kleine und mittlere Pensionen heuer um bis zu 2,6 Prozent zu erhöhen. Kürzungen nahmen die Regierungsfraktionen dagegen mittels Sozialhilfe-Grundsatzgesetz bei der Mindestsicherung für bestimmte Personengruppen vor. Weiteres Streitthema der vergangenen Tagung war die Indexierung der Familienbeihilfe. Kurz vor ihrem Koalitionsbruch brachten Volkspartei und Freiheitliche die Errichtung einer staatlichen Agentur für die Erstbetreuung und Rechtsberatung von Flüchtlingen auf Schiene.
Die Fortschreibung der Förderung von Biomasseanlagen durch ein novelliertes Ökostromgesetz scheiterte zunächst an der SPÖ, die sowohl im Nationalrat als auch im Bundesrat die Zustimmung verweigerte. Um allgemein Bürokratie zu verringern, wurden in einem Dutzend Gesetzen Melde- und Prüfpflichten gestrichen (Anti-Gold-Plating-Gesetz). Nichts wird es hingegen vorerst mit einem neuen Staatsziel Wirtschaft: Ein entsprechender Gesetzesvorschlag der ehemaligen ÖVP-FPÖ-Regierung scheiterte an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit.
Volksanwaltschaft erhielt neue Köpfe
Nachdem die sechsjährige Amtsperiode der Volksanwälte Gertrude Brinek, Günther Kräuter und Peter Fichtenbauer am 30. Juni 2019 auslief, wählte der Nationalrat auf Vorschlag des Hauptausschusses ein neues Kollegium der Ombudsstelle. Die aktuellen Volksanwälte heißen Werner Amon (ÖVP), Bernhard Achitz (SPÖ) und Walter Rosenkranz (FPÖ). In seiner letzten Sitzung mit den scheidenden Volksanwälten am 12. Juni 2019 bekannte sich der Nationalrat mit einer Entschließung zur finanziellen Absicherung der Volksanwaltschaft.
2.342 schriftliche Anfragen
83 Regierungsvorlagen, davon 66 Bundesgesetze, 14 Staatsverträge und drei Bund-Länder-Vereinbarungen, langten in der letzten Tagung im Nationalrat ein. Dazu kamen 650 Anträge von Abgeordneten in Form von selbstständigen Gesetzesinitiativen (177) und Resolutionsentwürfen (473). Den Antrag auf Neuwahl des Nationalrats infolge des Bruchs der ÖVP-FPÖ-Koalition brachten ÖVP, SPÖ, FPÖ und NEOS gemeinsam ein.
Bei den seit September eingelangten 2.342 schriftlichen Anfragen an Regierungsmitglieder sowie an die Präsidenten von Nationalrat und Rechnungshof lag die SPÖ mit 1.078 Anfragen an der Spitze. Die meisten Anfragen erhielt das Innenministerium (344), gefolgt von den Ministerien für Justiz (247) und Soziales (235). Eifrigste Anfragesteller waren SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried (180) sowie die NEOS-Mandatare Gerald Loacker (131) und Nikolaus Scherak (122).