Eine Atomanlage naha Arak, 250 Kilometer südwestlich von Tehran
AP/Fars News Agency/Mehdi Marizad
Verstoß gegen Atomdeal

Iran versetzt EU in Alarmstimmung

Die Zukunft des Atomdeals mit dem Iran ist nach einem neuen Verstoß Teherans gegen zentrale Auflagen der Vereinbarung höchst ungewiss. „Ab heute halten wir uns nicht mehr an die 3,67 Prozent, und unsere Urananreicherung wird je nach Bedarf erhöht“, sagte Regierungssprecher Ali Rabei am Sonntag in Teheran. Damit würde die Urananreicherung über erlaubte Maß hinaus hinaufgefahren. In der EU schrillen die Alarmglocken.

Die Begrenzung der Urananreicherung auf maximal 3,67 Prozent ist eine der wichtigsten Auflagen des 2015 geschlossenen Abkommens, mit dem der Iran am Bau einer Atombombe gehindert werden soll. Es wäre der zweite Verstoß gegen die Vereinbarung binnen weniger Tage. Doch Teheran geht noch einen Schritt weiter und droht auch mit der Aufgabe weiterer Verpflichtungen in 60 Tagen.

Der Iran werde die Urananreicherung je nach technischem Bedarf schrittweise auf fünf bis 20 Prozent erhöhen, sagte der Sprecher der iranischen Atomorganisation, Behrus Kamalwandi. Derzeit gebe es jedoch noch keine Anweisungen für eine Anreicherung auf 20 Prozent, die für den medizinischen Reaktor in Teheran erforderlich sei.

Sprecher der iranischen Atomenergieorganisation, Behrus Kamalwandi
APA/AFP/Atta Kenare
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz kündigten iranische Regierungsvertreter die Aufgabe weiterer Verpflichtungen an

„Aktivitäten stoppen und rückgängig machen“

Die EU reagierte alarmiert. „Wir sind extrem besorgt über die Mitteilung des Iran, dass er mit der Urananreicherung über dem Limit von 3,67 Prozent begonnen hat“, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini am Sonntag. „Wir rufen den Iran dringend auf, alle Aktivitäten, die den Verpflichtungen (…) zuwiderlaufen, zu stoppen und rückgängig zu machen.“ Die EU sei mit den übrigen Vertragspartnern bezüglich der nächsten Schritte im Kontakt.

Auch die deutsche Regierung reagierte „äußerst besorgt“ auf die jüngsten Ankündigungen aus Teheran. „Wir rufen Iran mit Nachdruck dazu auf, alle Schritte einzustellen und rückgängig zu machen, die unvereinbar mit den Verpflichtungen Irans im Rahmen des JCPoA sind“, erklärte das Außenministerium am Sonntag in Berlin mit Blick auf das internationale Atomabkommen (JCPoA). „Dazu gehört auch das Überschreiten der im JCPoA festgelegten Begrenzung von Beständen an niedrig angereichertem Uran.“

Netanjahu: „Sehr, sehr gefährlich“

Als „sehr, sehr gefährlichen Schritt“, bezeichnete der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Uranpläne des Iran. Der Iran breche sein im Atomabkommen gegebenes Versprechen, Uran nicht über einen bestimmtes Niveau hinaus anzureichern. Netanjahu bekräftigte seine Forderung an Frankreich, Großbritannien und Deutschland, Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. „Die Anreicherung von Uran hat nur einen Zweck – Atomwaffen zu bauen“, sagte der israelische Regierungschef, ein scharfer Gegner des Atomdeals.

Verständnis kam indes aus Russland. Bei allem Bedauern über die iranischen Handlungen halte sich Teheran letztlich an die juristischen Grundsätze, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Föderationsrat, Konstantin Kossatschow, der Agentur Interfax am Sonntag. „Der Ball liegt auf der amerikanischen Seite“, sagte Kossatschow. Nur die USA könnten den Deal noch retten.

Iran für diplomatische Lösung weiter offen

Der iranische Vizeaußenminister Abbas Araktschi bezeichnete den Schritt als legitim und im legalen Rahmen des Wiener Abkommens. Das Land werde sein Bekenntnis zu dem 2015 geschlossenen Vertrag alle 60 Tage reduzieren, wenn die Unterzeichner den Iran nicht vor den US-Sanktionen schützten, erklärten iranische Regierungsvertreter außerdem. „Wir haben nach dem Ausstieg der USA im vergangenen Jahr der Diplomatie ein Jahr Zeit gegeben, aber ohne Ergebnisse“, sagte Araktschi. Dennoch sei der Weg für eine diplomatische Lösung weiterhin offen.

Gespräch zwischen Macron und Rouhani

Präsident Rouhani habe am Samstagabend ein konstruktives Telefonat mit seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron über weitere Verhandlungen dazu geführt, sagte der Vizeaußenminister. Dabei sei es vor allem um ein Außenministertreffen der sechs verbliebenen Vertragspartner – das sind Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und der Iran – gegangen.

Macron und Rouhani hätten sich in dem Telefonat darauf geeinigt, bis zum 15. Juli nach Voraussetzungen für die Wiederaufnahme eines Dialogs zu suchen, teilte Macrons Büro mit. Der Iran sei bereit, Gespräche mit Washington aufzunehmen. Allerdings müssten zuvor alle Sanktionen gegen die Islamische Republik aufgehoben werden, sagte Rouhani laut offiziellen Angaben bei dem Telefonat. Dass die USA diese Bedingung erfüllen, gilt allerdings als ausgeschlossen.

Mit dem Beginn einer unbegrenzten Urananreicherung durch Teheran wäre auch der politische Wille der verbliebenen Partner schwerer umsetzbar denn je. Möglicherweise würde ein Streitschlichtungsmechanismus aktiviert, an dessen Ende eine Neuauflage auch der UNO-Sanktionen stehen könnte. Das wäre das faktische Aus des Abkommens.

Trump: „Iran macht viele schlimme Dinge“

Die Führung in Teheran hatte Anfang Mai angekündigt, vom 7. Juli an die vertraglich vereinbarte Höchstgrenze für die Anreicherung von Uran zu überschreiten, sollte bis dahin keine Einigung über die Abfederung der US-Sanktionen erzielt werden.

US-Präsident Donald Trump drohte dem Iran: Man solle dort lieber vorsichtig sein, sagte Trump am Sonntag vor Journalisten im Bundesstaat New Jersey. Der Iran mache viele „schlimme Dinge“, fügte er hinzu und bekräftigte, dass das Land niemals Atomwaffen besitzen werde. US-Außenminister Mike Pompeo prophezeite dem Land negative Konsequenzen.

„Die jüngste Ausweitung des iranischen Atomprogramms wird zu weiterer Isolation und Sanktionen führen“, schrieb Pompeo am Sonntag auf Twitter. Er forderte andere Nationen dazu auf, das langjährige Prinzip wiederherzustellen, dass es keine Urananreicherung geben dürfe. „Ein iranisches Regime, das mit Atomwaffen ausgerüstet ist, würde eine noch größere Gefahr für die Welt darstellen“, fügte er hinzu.

Ingenieur mit Atemschutzmaske in der Uranium Conversion Facility (UCF) in Isfahan, Iran
APA/AFP/Behrouz Mehri
Das Abkommen sieht eine Höchstgrenze von 3,67 Prozent bei der Urananreicherung vor

Die USA sind 2018 aus der Vereinbarung mit Teheran ausgestiegen. US-Präsident Trump hat zudem Sanktionen gegen das Land verhängt, die jedem wirtschaftliche Nachteile androhen, der iranisches Öl kauft. Damit will er die Einnahmen der Islamischen Republik drastisch vermindern und Teheran politisch gefügiger machen.

Erster Verstoß Anfang der Woche

Seit der einseitigen Aufkündigung des Abkommens durch die USA ist die Zukunft des Vertrags ungewiss. Die EU pocht seither auf dessen Einhaltung. Anfang der Woche hatte der Iran bereits die erlaubte Menge von 300 Kilogramm niedrig angereicherten Urans überschritten.

Anlass des Atomabkommens war die Sorge der internationalen Gemeinschaft, der Iran könne eine Atombombe bauen. Daher wurde das iranische Atomprogramm massiv eingeschränkt und streng überwacht. Auf 90 Prozent angereichertes Uran kann für Nuklearwaffen benutzt werden. Sollte der Iran die Anreicherung des Urans wie angedroht und von ihm technisch beherrscht auf bis zu 20 Prozent hochfahren, ist der Schritt bis zum waffenfähigen Uran nur noch klein. Allerdings sind sich Fachleute weitgehend einig, dass Teheran bis zum möglichen Bau einer Atombombe mindestens ein Jahr brauchen würde.