Frau schnallt sich in Flugzeug an
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Schwitzen, Herzrasen, Übelkeit

Die Angst vorm Fliegen loswerden

Während es die einen nicht erwarten können, endlich ins Flugzeug Richtung Urlaub zu steigen, plagt die anderen schon bei dessen bloßem Anblick die Angst. Sie fürchten sich vor dem Unerwarteten, vor geschlossenen Räumen, vor Turbulenzen oder davor, dem Piloten bzw. der Pilotin ausgeliefert zu sein. Doch Betroffene müssen sich ihrer Angst nicht unterwerfen, wissen Expertinnen und Experten: Flugangst kann bezwungen werden.

Der Kabarettist Michael Niavarani sagte einmal: „Ich habe keine Angst davor, dass ich oben schwebe, ich habe Angst, dass ich unten leblos zerschelle.“ So oder so ähnlich dürfte es Schätzungen zufolge etwa einem Drittel der Passagierinnen und Passagiere aus Österreich gehen. Ein Unterschied zwischen den Geschlechtern ist dabei ebenso wenig festzustellen wie beim Alter. „Unsere Flugangstpatienten sind zwischen 14 und 84 Jahre alt – quer durch die Gesellschaft“, berichtet Christian Dingemann, Psychologe bei Phobius, einem Phobiezentrum in Wien.

Dem Experten zufolge machen jedoch die wenigsten der Betroffenen etwas dagegen. Sie würden vielmehr versuchen, mit ihrer Angst zu leben oder erst gar nicht in ein Flugzeug zu steigen. Jedoch: „Vermeidung ist der Nährboden jeder Phobie“, warnt der Psychologe im Gespräch mit ORF.at. Dabei sei eine Behandlung durchaus vielversprechend, zeigen sich einerseits Expertinnen und Experten, andererseits Betroffene überzeugt.

Kategorien der Angst identifizieren

Seminare zur Flugangst werden etwa von den Austrian Airlines angeboten; diese finden abseits des Flughafengeländes statt. „In einem theoretischen Teil werden die Teilnehmer über Ursachen und verschiedenen Formen der Angst aufgeklärt“, berichtet eine Schulungsteilnehmerin ORF.at. Anschließend würden Übungen gezeigt, wie gezielte Atem- und Entspannungstechniken.

Luftansicht Flughafen Wien-Schwechat
ORF.at/Christian Öser
Über den Wolken fühlen sich nicht alle Fluggäste wohl

Besonders individuell und auf die Person konzentriert verläuft die Bekämpfung der Flugangst in psychologischer Betreuung, wie sie beispielsweise im Phobiezentrum Phobius durchgeführt wird. „Wir haben sehr viele Patienten, die kommen und sagen: ‚Ich habe Flugangst‘“, so Phobius-Psychologe Dingemann. Dabei müsse aber unterschieden werden, um welche Art der Angst es sich handle.

So seien die einen klaustrophobisch veranlagt, andere wiederum hätten Schwierigkeiten, Vertrauen in das Flugpersonal zu fassen. Und nicht zuletzt plage viele Betroffene die Angst vor dem technischen Versagen der Maschine. Auch eine Kombination dieser Ängste sei möglich, erklärt der Psychologe. „Wir müssen herausfinden, welche Kategorie es ist. Danach richtet sich die Therapie.“

Muskelentspannung und Atemtechniken

„Etwa 70 bis 80 Prozent der Angst äußert sich körperlich“, so Dingemann. Angsterscheinungen wie Übelkeit, Nervosität, Schlaflosigkeit, Herzrasen und andere Symptome seien Reaktionen des Körpers, die es erst einmal zu erkennen gelte. So würden Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet, weshalb das vegetative Nervensystem auf Hochtouren laufe – „und das macht es in der Situation so anstrengend, die Kontrolle zu bewahren.“

Im nächsten Schritt würden dann auf die Person zugeschnittene körperliche und gedankliche Entspannungstechniken geübt. „Wenn man sich zum Beispiel an der Armlehne festkrallt, dann ist es wichtig, körperliche Entspannungstechniken anzuwenden. Da kann autogenes Training helfen und auch progressive Muskelentspannung“, erläutert der Psychologe. Andere wiederum würden eher zum Hyperventilieren neigen, wobei spezielle Atemübungen helfen können.

„Jeder ist ein bisschen anders“, weist Dingemann auf die Individualität der Flugangst hin. Von Tabletten rät der Experte allerdings ab: „Tabletten helfen für den Moment, aber sie lösen die Flugangst natürlich nicht.“ Vielmehr lerne das Gehirn dadurch möglicherweise sogar, nur noch unter Medikamenteneinfluss fliegen zu können. „So wird die Angst immer da bleiben“, meint der Psychologe.

„Großer Teil der Angst beruht auf Unwissenheit“

„Ein großer Teil der Angst beruht eben auch auf Unwissenheit“, berichtet die AUA-Seminarteilnehmerin ORF.at und schildert den Ablauf des Settings. Ein Techniker gebe dabei Auskunft über Flugzeugbau und Wartung sowie die vielen unterschiedlichen Geräusche während des Fluges und erkläre, warum Flügel nicht einfach abbrechen können. Sehr tröstlich sei es dabei zu erfahren, dass, selbst wenn ein Triebwerk ausfallen oder Turbulenzen herrschen sollten, ein Flugzeug trotzdem problemlos weiterfliegen und landen könne.

Virtuelle Therapie gegen Flugangst
APA/Helmut Fohringer
Mit Hilfe von VR-Brillen kann im Rahmen der Verhaltenstherapie der komplette Vorgang auf dem Flughafen durchgespielt werden

Die technischen Details der Aerodynamik und das Funktionieren des Flugzeuges genau durchzubesprechen sei sehr wesentlich für eine erfolgreiche Behandlung, zeigt sich auch Dingemann überzeugt. „Wir wollen alles nahbar machen, dass der Patient Experte zum Fliegen wird.“ Die Konfrontationstherapie, wie sie bei Phobien angewandt wird, sieht zudem vor, sich der eigenen Angst zu stellen. „Wenn ich mich der Sache nicht stelle, dann kann ich auch nicht lernen, dass sie eigentlich ungefährlich ist“, so Dingemann weiter.

Von der Simulation zum „echten“ Fliegen

So nutzt die AUA einen Kabinensimulator und das Phobiezentrum VR-Brillen, um einen kompletten Flug mit allem Drum und Dran in sicherer Umgebung zu durchleben. „Da erlebt der Patient Eingangshalle, Wartebereich, den Security-Check, das Einsteigen ins Flugzeug abseits des echten Flughafens“, erläutert Dingemann die Simulation mittels VR-Brille. „Damit nicht alles neu ist, wenn Sie dann in Schwechat stehen.“ Denn viele seiner Patientinnen und Patienten seien seit 30 Jahren nicht mehr geflogen, andere gar noch nie.

Auch Start, Landung und Turbulenzen sind Teil des virtuellen Erlebnisses. Fühlen sich die Betroffenen bereit, geht es daran, auch wirklich ins Flugzeug zu steigen. „Erst wenn sich der Patient sicher genug fühlt, ist eine Konfrontation angebracht“, zeigt sich Dingemann überzeugt. Die Psychologinnen und Psychologen begeben sich dann zusammen mit dem Patienten bzw. der Patientin in die Luft. „Da wird alles, was wir vorbereitet haben, abgerufen und geübt“, beschreibt Dingemann.

Absturzrisiko in Passagierflugzeug fast null

Besonders kurz nach einem Flugzeugunglück sei die Verunsicherung der Bevölkerung auch für die behandelnden Psychologinnen und Psychologen spürbar größer. Mehr Menschen würden sich informieren, wobei es aber häufig auch nur bei einem Telefongespräch oder E-Mail-Verkehr bleibe. „Manche sind unsicher und fragen: Kann ich trotzdem fliegen oder ist meine Angst zu stark?“, berichtet Dingemann aus seinem Arbeitsalltag kurz nach den Unfällen der Boeing 737 Max. „Was sich aber wesentlich deutlicher ausgeprägt hat, waren die Patienten, die schon in Behandlung sind. Sie haben sich noch mehr Sorgen gemacht.“

Nervenberuhigend kann hier jedoch ein Blick auf die Statistik der UNO-Luftfahrtorganisation ICAO wirken: Auch wenn die Zahl der Opfer bei einem einzelnen Flugzeugabsturz meist hoch ist, ist das Risiko, bei einem solchen Unglück ums Leben zu kommen, extrem gering. Nach Angaben der ICAO gab es im vergangenen Jahr weltweit etwa 500 Todesopfer bei Flugunfällen (Kleinflugzeuge ausgenommen). Das Risiko eines Absturzes lag damit pro eine Million Starts bei 1,75 Unfällen – das entspricht einer Quote von nahezu null. Und auch AUA-Psychologin Irene Rausch rechnet vor: „Statistisch gesehen müsste man 26.000 Jahre jeden Tag einen Flug in einem Jet antreten, um mit einem Flugzeug abzustürzen.“

Aufgrund dieser Fakten, sprechen Psychologinnen und Psychologen bei der Flugangst von einer Störung, „weil wir wissen, dass das Flugzeug eines der sichersten Verkehrsmittel der Welt ist“, erklärt Dingemann. Der Fakten seien sich freilich auch Phobikerinnen und Phobiker bewusst. „Das ist das Paradoxe daran“, so der Experte, der in puncto Heilung der Phobie aber auf die über 70-jährige Erfahrung der klinischen Psychologie vertraut. Wenn man auch keine Versprechen machen könne, sei eine Besserung aber vielversprechend. Die Erfolgsquote, Flugangst mit Hilfe professioneller, evidenzbasierter Behandlung zu heilen, liegt laut Dingemann bei 85 bis 90 Prozent.