Mann, der für Medhanie Yehdego Mered gehalten wurde
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Schlepperboss-Urteil

Falscher Verdächtiger nach drei Jahren frei

2016 haben die italienischen Behörden die Festnahme des „Schlepperkönigs“ Medhanie Yehdego Mered alias „Der General“ als großen Erfolg gefeiert. Doch schon kurz darauf wurden Stimmen laut, dass es sich bei dem im Sudan festgenommenen Eritreer um eine Verwechslung handeln könnte. Fotos, Zeugenaussagen, DNA-Tests und weitere Indizien entlasteten den Mann. Doch erst am Freitag wurde er von einem Gericht in Palermo freigelassen.

Mered galt viele Jahre als Schlüsselfigur des Schmuggels von Flüchtlingen aus Afrika in Richtung Europa. Er soll seit 2012 vor allem den Menschenschmuggel zwischen zentralafrikanischen Ländern und Libyen und auch die gefährlichen Fahrten zwischen Nordafrika und Sizilien organisiert haben. 13.000 Menschen soll er geschleppt haben.

Der Boss der Menschenschmuggler-Mafia soll auch für jenes Flüchtlingsschiff verantwortlich sein, das am 3. Oktober 2013 vor Lampedusa in Brand geraten und dann gekentert war. Dabei waren 368 Menschen ums Leben gekommen.

Sofort Zweifel an gefeiertem Fahndungserfolg

Die Festnahme 2016 war in Italien als „wichtiger Wendepunkt im Kampf gegen Menschenschmuggel“ verkündet worden. Der Verhaftete, der seinen Namen selbst als Medhanie Tesfamariam Bere angab, beteuerte aber seine Unschuld. Die BBC hatte kurz nach der Festnahme mit Angehörigen und Freunden des Beschuldigten gesprochen und schon damals den Verdacht erhoben, dass es sich beim Festgenommenen nicht um den „General“ handle, sondern um einen Mann, der nur denselben Vornamen hat.

Wenige Monate später tauchten authentische Fotos des Schleppers auf, die kaum Ähnlichkeiten mit dem Verhafteten zeigten. Auch etliche Menschen, die Mered Überfahrten nach Europa teuer bezahlt hatten, gaben an, dass es sich bei dem Festgenommenen um den falschen Mann handelte.

In Kommandoaktion verhaftet

Bere war im Mai 2016 in Karthum in einer Kommandoaktion des sudanesischen Geheimdiensts NISS mit Hilfe der britischen National Crime Agency und der italienischen Polizei verhaftet und nach Italien gebracht worden. Die schwedisch-eritreische Journalistin Meron Estefanos äußerte noch 2016 den Verdacht, dass zwar der echte Schlepper zunächst geschnappt worden sein könnte, sich dieser dann aber seine Freiheit wiedererkauft haben könnte. Der Geheimdienst NISS unter dem mittlerweile gestürzten Machthaber Omar al-Baschir galt als hoch korrupt. Offiziell heißt es, Bere sei wegen eines abgehörten Telefonats, bei dem es um Schlepperei gegangen sein soll, lokalisiert und festgenommen worden.

Verdächtiger, 2016
APA/AFP/Polizia di Stato
Der Verhaftete nach seiner Ankunft in Italien

Alles sprach für Verwechslung

Im Laufe des 2017 gestarteten Prozesses in Palermo kamen immer weitere Entlastungsbeweise für Bere, der in der sudanesischen Hauptstadt als Farmgehilfe und Tischler arbeitete, dazu: Schon 2017 reiste seine Mutter aus Eritrea nach Palermo, um per DNA-Test zu beweisen, dass ihr Sohn nicht der Schlepper ist. Auch ein DNA-Test aus der Familie des echten „Generals“ entlastete den Angeklagten: Zwischen seiner DNA und der von Mereds dreijährigem leiblichem Sohn, der in Schweden lebt, zeigte sich keine Übereinstimmung.

Mereds Frau wie auch sein Bruder sagten aus, dass es sich bei dem Mann vor Gericht nicht um ihr Familienmitglied handelt. Der Schlepperboss selbst gab wiederum schon 2017 „The New Yorker“ sogar ein Interview. Schließlich zeigte auch eine Stimmanalyse mit Tonaufnahmen des Schleppers keine Übereinstimmung mit Bere. Ein Vertreter der italienischen Küstenwache sagte im Prozess, man vermutete 2016 – also nach der spektakulären Festnahme – den echten Mered in den Vereinten Arabischen Emiraten.

Echter Schlepper in Uganda?

Die Journalistin Estefanos wiederum zeigte 2018 in einer Dokumentation gemeinsam mit dem schwedischen öffentlich-rechtlichen Sender SVT und dem „Guardian“, dass Mered mittlerweile in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, lebt. Dort sei er eine schillernde Figur im Nachtleben, hieß es in der Doku. Die italienische Justiz wollte sich zu den Recherchen nicht äußern, man begann aber Druck auf die Journalistin aufzubauen.

Staatsanwaltschaft unbeeindruckt

Noch im Schlussplädoyer des Prozesses im Juni verlangte der Staatsanwalt Calogero Ferrara 14 Jahre Haft für den Angeklagten – und das ohne einen einzigen Belastungszeugen. Richter Alfredo Montalto bestätigte am Freitag, dass es sich um eine Verwechslung gehandelt hat: Bere wurde umgehend freigelassen, war zuvor allerdings noch wegen Beihilfe zur illegalen Migration verurteilt: Er hatte seinem Cousin geholfen, nach Libyen zu kommen. In der dreijährigen Untersuchungshaft saß er diese Strafe aber schon ab.