EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Aktenordnern
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Auf den letzten Metern

Von der Leyen kämpft um Zustimmung in EU

Am Dienstag entscheidet das EU-Parlament, ob Ursula von der Leyen die nächste EU-Kommissionschefin wird. Die bisherige deutsche Verteidigungsministerin kämpft bis zum Schluss um Zustimmung – zuletzt versuchte sie mit mehr Klimaschutz und neuen Rechten für das EU-Parlament auch Liberale und Sozialdemokraten auf ihre Seite zu bekommen. Denn von der Leyen kann jede Stimme brauchen.

In Schreiben an die europäischen Sozialdemokraten und Liberalen kündigte von der Leyen am Montag unter anderem einen neuen Vorstoß zur Reduktion von Treibhausgasen an. Er soll bis 2030 eine Senkung der Emissionen um 55 Prozent ermöglichen und geht damit weit über die bisherigen Pläne mit 40 Prozent Reduktion hinaus.

Auch für Klimaneutralität bis spätestens 2050, eine CO2-Steuer und eine europäische Klimabank und globale Initiative für ambitionierte Klimaschutzziele will sie sich einsetzen. Mit Blick auf eine Forderung der Sozialdemokraten verspricht die CDU-Politikerin weiters, die rechtlichen Voraussetzungen für eine EU-weite Durchsetzung fairer Mindestlöhne schaffen zu wollen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Statement
APA/AFP/Frederick Florin
Von der Leyen wirbt seit ihrer Nominierung für Stimmen bei der Wahl im EU-Parlament

Mehr Rechte für EU-Parlament

Das EU-Parlament soll im EU-Gesetzgebungsprozess zudem eine stärkere Rolle bekommen. Konkret erwähnt von der Leyen die langjährige Forderung der Abgeordneten eines Initiativrechts bei Gesetzesprojekten. Werde eine Resolution, die einen Gesetzesentwurf von der Kommission fordert, von der Mehrheit des Parlaments angenommen, verpflichte sie sich, darauf mit einem Rechtsakt zu antworten. Die Kommissare sollen zudem bei jedem Schritt der Gesetzgebung „Hand in Hand“ mit dem Parlament zusammenarbeiten.

Einen verbindlichen Mechanismus zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit samt Strafen, wie von den Liberalen verlangt, erwähnt sie nicht. Das EU-Parlament soll lediglich eine „größere Rolle“ im Rechtsstaatlichkeitsprozess erhalten, weiters soll es schärfere Umsetzung von jüngst getroffenen Entscheidungen des EU-Gerichtshofs geben. Auch die Verhandlungen für einen „Neuen Pakt für Migration und Asyl“ will sie wieder anstoßen und sich für eine gerechte Besteuerung von Technologieunternehmen einsetzen. Sie zeigte sich zudem für eine weitere Verschreibung des Brexit-Termins offen.

Knappe Mehrheiten im EU-Parlament

Die zahlreichen Zugeständnisse sind der Versuch von der Leyens, aus allen Lagern Stimmen für sich zu gewinnen. Aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse ist sie auf die Stimmen von Liberalen und Sozialdemokraten angewiesen, um die notwendigen 374 Stimmen der derzeit 747 Abgeordneten zu erreichen. Grüne und Linke im EU-Parlament haben bereits ein Nein angekündigt, Widerstand kommt auch aus den Reihen der Sozialdemokraten. Echte Unterstützung hat von der Leyen bisher nur von der eigenen Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP), mit 182 Sitzen.

Die Sozialdemokraten haben 153 Stimmen – davon 16 aus Deutschland, die alle für von der Leyen stimmen wollen –, die Liberalen 108, die Grünen 74 und die Linken 41 Stimmen. Die Wahl folgt einer Bewerbungsrede der Kandidatin Dienstagfrüh und einer anschließenden Debatte am Abend. Eine Verschiebung ist nicht völlig ausgeschlossen, sollte keine Mehrheit in Sicht sein. Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung hat von der Leyen für Mittwoch bereits ihren Rücktritt als deutsche Verteidigungsministerin angekündigt.

Es habe viel Wohlwollen für einen Brief von der Leyens an die europäischen Sozialdemokraten gegeben, hieß es am Montagabend aus Kreisen der Fraktion in Straßburg. Das Schreiben sei konkreter und sozialdemokratischen Zielen näher als der Auftritt der CDU-Politikerin bei einem Treffen mit der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten am Mittwoch vergangener Woche in Brüssel. Anderseits herrscht demnach aber Misstrauen, ob die Versprechen wirklich eingehalten werden.

Warnungen vor Annäherungen ans rechte Lager

Von der Leyen war nach schwierigen Verhandlungen von den Staats- und Regierungschefs Anfang Juli als Nachfolgerin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagen worden. Viele EU-Parlamentarier stoßen sich daran, dass mit ihrer Nominierung das Spitzenkandidatensystem umgestoßen wurde. Seit der Nominierung tourte von der Leyen durch Europa und konnte sich auch in anderen Fraktionen zumindest Wohlwollen sichern, etwa bei der rechtskonservativen Gruppe EKR mit 62 Abgeordneten. Offen zeigte sich auch die rechte Lega um den italienischen Innenminister Matteo und die Abgeordneten der Fünf-Sterne-Bewegung aus Italien.

Die Zustimmung aus dem rechten Lager brachte von der Leyen umgehend Kritik ein, sowohl von Liberalen als auch Sozialdemokraten. Aber auch den Grünen. Diese bleiben laut Aussage des EU-Abgeordneten Sven Giegold bei ihrem Nein. Es brauche nicht nur mehr Einsatz gegen die Klimakrise und eine politische Lösung gegen das Sterben im Mittelmeer, Europa müsse auch entschlossener gegen den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in manchen Mitgliedsstaaten eintreten. Von der Leyen wolle sich auch nicht für ein volles Initiativrecht des EU-Parlaments einsetzen.

Bei ihrem Nein bleibt auch SPD-Europapolitikerin Katarina Barley. Mit Aufgabe des Spitzenkandidatenprinzips hätten die Staats- und Regierungschefs der EU das Parlament „bewusst überfahren“, so Barley am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Es gehe um mehr als eine Personalie. Barley forderte eine gemeinsame Lösung von Europäischem Rat und Parlament, ohne einen Gegenvorschlag zu nennen. Sie verwies darauf, dass auch die Wiederwahl von Jose Manuel Durrao Barroso für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsident 2009 mehrere Monate gedauert habe. Die Koalition sieht sie durch den Streit nicht belastet.

Söder: Scheitern wäre „peinlich für Deutschland“

Aus den Reihen der EVP und der deutschen Unionsparteien gab es unterdessen Warnungen, sollte von der Leyen nicht gewählt werden, komme die EU und auch die deutsche Koalition in Bedrängnis. „Es geht hier nicht um die Abstimmung eines Ortsvereins“, meinte etwa CSU-Chef Markus Söder am Montag, sondern um Verantwortung für ganz Europa. Ein Scheitern wäre „peinlich für Deutschland“. Der als EVP-Spitzenkandidat gescheiterte Manfred Weber sagte, er erwarte eine „klare Mehrheit“ für von der Leyen.

Die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sagte, von der Leyen habe eine große Europaerfahrung, sei klug und habe eine klare Positionierung zur EU. Europa wundere sich nicht darüber, dass von der Leyen als Kommissionspräsidentin vorgeschlagen wurde, sondern über das Blockadeverhalten der SPD, so die stellvertretende CDU-Vorsitzende. Am Wochenende sprach sich auch der frühere SPD-Politiker Otto Schily für von der Leyen aus.

Außenminister Alexander Schallenberg geht abseits des innerdeutschen Streits durchaus von einer Zustimmung des EU-Parlaments für von der Leyen aus. „Ich kann es mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das Votum negativ ausgeht“, so Schallenberg. Sollte es keine Zustimmung geben, dann gebe es eine „veritable institutionelle Krise. Dann müssen wir Mitgliedsstaaten wieder zurück zum Reißbrett gehen.“ Das Europäische Parlament sei sich seiner Verantwortung sehr wohl bewusst.