Boris Johnson, leader of the Britain’s Conservative Party, leaves a private reception in central London
Reuters/Toby Melville
Führungswechsel in Großbritannien

Großes Kommen und Gehen unter Johnson

Der Brexit-Hardliner Boris Johnson hat am Mittwoch die britische Premierministerin Theresa May im Amt abgelöst. Als fix gilt, dass der neue Tory-Chef als Premier große Teile des Kabinetts austauschen wird. Während sich einige „Brexiteers“ für wichtige Staatsjobs in Position bringen, haben erste EU-freundliche Minister bereits das Handtuch geworfen.

Britischen Medien zufolge wird das neue Kabinett zu zwei Dritteln aus Brexit-Hardlinern bestehen. Nur ein Drittel der Politiker sei für den Verbleib des Landes in der EU, wie mehrere Medien am Mittwoch berichteten. Sie zitierten eine nicht näher genannte Quelle aus dem Umfeld Johnsons.

Zum „Kabinett des modernen Großbritanniens“ sollen auch mehr Frauen und Politiker ethnischer Minderheiten gehören als bisher. Eine Schlüsselposition soll laut einem „Times“-Bericht die frühere Entwicklungsministerin Priti Patel übernehmen: Sie soll Innenministerin werden. Patel war 2017 zurückgetreten, nachdem bekanntgeworden war, dass sie sich ohne Absprache im Israel-Urlaub mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu getroffen hatte. Sie ist eine große Brexit-Anhängerin.

Die frühere britische Entwicklungsministerin Priti Patel
Reuters/Phil Noble
Priti Patel gilt als große Brexit-Anhängerin

Patel ist eine glühende Verehrerin der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher, die bis 1990 britische Premierministerin war. Sie wird dem rechten Flügel der Konservativen zugeordnet. Die 47-jährige Politikerin kommt aus einer Familie indischstämmiger Ugander, die in den 1960er Jahren nach Großbritannien einwanderten.

Schlagabtausch zwischen Johnson und Hunt

Viel spekuliert wird auch über die Zukunft des derzeitigen Außenministers Jeremy Hunt, der als Johnsons größter Konkurrent ins Rennen um die May-Nachfolge gegangen war. Der BBC und der „Times“ zufolge hätten einander Hunt und Johnson hinter verschlossenen Türen einen Schlagabtausch geliefert. Johnson wollte Hunt laut den Angaben das Amt des Verteidigungsministers anbieten.

Für Hunt käme neben seiner aktuellen Position aber nur das Amt des Finanzministers, des Innenministers oder des Vizepremiers infrage. Laut der BBC-Journalistin Laura Kuenssberg ist die Zukunft Hunts für Johnson, der am Dienstag versprach, das Land und die Partei einen zu wollen, besonders heikel. Immerhin würde ein Rücktritt Hunts die Partei weiter spalten, hieß es.

Der britische Außenministers Jeremy Hunt
Reuters/Peter Nicholls
Außenminister Hunt musste sich am Dienstag Johnson geschlagen geben

„Leave“-Mastermind als Berater?

Erwartet wird überdies, dass das einstige Mastermind der „Leave“-Kampagne, Dominic Cummings, ein hochrangiger Berater des neuen Premiers wird. Seine Bestellung gilt als höchst kontroversiell. Denn Cummings, der laut „Guardian“ „nicht besonders konservativ“ sei, hat in der Vergangenheit auch bei der EU-kritischen European Research Group (ERG), deren Vorsitzender der führende „Brexiteer“ Jacob Rees-Mogg ist, angeeckt. Unbeliebt machte er sich auch damit, dass er eine grundlegende Reform der Regierung forderte.

Weitere wichtige Posten sollen der ehemalige Brexit-Minister Dominic Raab, Innenminister Sajid Javid, Arbeitsministerin Amber Rudd, Umweltminister Michael Gove und die aktuelle stellvertretende Finanzministerin Liz Truss bekommen. Javid soll laut ITV offenbar neuer Finanzminister werden, Raab wird als Hunts Nachfolger gehandelt. Auch Rees-Mogg soll mit einem wichtigen Amt belohnt werden. Als fix gilt zudem die Bestellung des ehemaligen Botschafters David Frost als Brexit-Unterhändler.

Minister werfen Handtuch

Aufgrund des Führungswechsels hatten gleich mehrere EU-freundliche Minister ihren Rückzug angekündigt. Viele von ihnen teilen Johnsons kompromisslose Linie in Sachen Brexit nicht. Der einstige Londoner Bürgermeister will Großbritannien bis Ende Oktober aus der EU führen – mit oder ohne Austrittsvertrag.

Er kritisierte das zwischen May und der EU ausgehandelte Abkommen als „Instrument der Einkerkerung“ Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. Er pocht daher darauf, mit Brüssel neu zu verhandeln – was dort strikt abgelehnt wird. Nur Änderungen an der begleitenden politischen Erklärung seien möglich, hieß es zuletzt. Die Lenkungsgruppe des Parlaments zum britischen EU-Austritt sieht das Risiko für einen ungeordneten Brexit jedenfalls „stark erhöht“.

Gleich im Anschluss an Johnsons Rede am Dienstag kündigte Justizminister David Gauke seinen Rücktritt an. Er gratulierte Johnson auf Twitter. Es sei eine Ehre gewesen, im Justizressort zu arbeiten, er werde aber nun als Abgeordneter ins Parlament zurückkehren. Ähnlich verabschiedete sich Entwicklungshilfeminister Rory Stewart. Auch Finanzminister Philip Hammond und der bisherige Vizepremier David Lidington erklärten am Mittwoch – wie erwartet – ihren Rücktritt. Mit dem Rücktritt des EU-freundlichen Wirtschaftsministers Greg Clark wird ebenso gerechnet.

„Seine Minister werden die Richtung entscheiden“

Dem neuen Kabinett wird laut „Guardian“ eine wesentliche Rolle zukommen, weil Johnson als entscheidungsunfreudig und unfokussiert gilt. „Johnson ist kein Mann von Details oder ein Mann, der seinen Worten Taten folgen lässt, oder ein Mann mit einer starken, umfassenden Zukunftsvision. Seine Minister werden die Richtung entscheiden, die unser Land einschlägt“, so „Guardian“-Redakteurin Martha Gill.

Die bisherige Premierministerin Theresa May mit ihrem Ehemann
APA/AFP/Ben Stensall
Am Nachmittag verabschiedete sich May – hier neben Ehemann Philip – in einer kurzen Rede von den Briten

Es wird erwartet, dass Johnson die neuen Kabinettsmitglieder noch am Mittwochabend verkünden wird. Am Nachmittag trat May im Anschluss an ihre letzte Fragestunde im Unterhaus von ihrem Amt als Premierministerin zurück. In einer kurzen Rede in der Downing Street verabschiedete sie sich von den Britinnen und Briten und dankte besonders ihrem Ehemann Philip, der ihr stets zur Seite gestanden sei.

Königin Elizabeth II. nahm das Gesuch Mays am Nachmittag im Buckingham-Palast in London entgegen. Anschließend ernannte die Queen Johnson zum neuen Regierungschef. Auf dem Weg zum Buckingham-Palast wurde seinem Fahrzeug kurzzeitig von einigen Klimademonstranten der Weg versperrt.