Britischer Premier Boris Johnson
Reuters/Hannah Mckay
Johnson ist Premier

Brexit „ohne Wenn und Aber“

Boris Johnson ist seit Mittwoch neuer britischer Premierminister. Am späten Nachmittag hielt er seine erste Rede – vor dem Amtssitz Downing Street 10. Vor allem schwor er – als Hardliner in dieser Frage – die Briten auf einen entsprechenden Brexit-Kurs ein. Die Liste seiner Versprechen ist lang, die seiner Minister lässt Turbulenzen erwarten.

Großbritannien werde den Brexit meistern. Aber die Briten würden nicht noch „99 Tage warten“, sie hätten bereits genug gewartet, sagte Johnson mit Blick auf die langwierigen Verhandlungen mit den Noch-EU-Partnern. Er versprach eine „starke Führung“. Sein Job sei es, „euch, dem Volk, zu dienen“. In Johnsons Rede mischten sich zwischendurch laute Anti-Brexit-Sprechchöre von außerhalb der Absperrungen vor der Downing Street 10.

Die britische Flagge „steht für Freiheit, freie Rede“, Gesetz und Demokratie. „Deshalb werden wir am 31. Oktober aus der EU austreten.“ Das sei die „fundamentale Entscheidung“ der Britinnen und Briten gewesen. Schon zuvor hatte er versprochen, den Brexit „ohne Wenn und Aber“ über die Bühne zu bringen, seine Vorgängerin Theresa May wünschte ihm dafür viel Glück.

„Zweifler, Schwarzmaler, Weltuntergangspropheten“

Die Briten wollten keinen EU-Austritt ohne Abkommen, trotzdem werde er sein Land auch auf diese „entfernte Möglichkeit“ vorbereiten, sagte Johnson. Seine neue Regierung werde „einen neuen Deal, einen besseren Deal“ erlangen. An die EU gerichtet sagte er: „Ich bin überzeugt davon, dass wir einen Deal hinbekommen können.“ Unmittelbar vor seiner Ansprache war der 55-Jährige
von Königin Elizabeth II. zum Premierminister ernannt worden.

Britischer Premier Boris Johnson
AP/Matt Dunham
Johnson verspricht viel – vor allem: keine Kompromisse beim Brexit

Es sei viel Pessimismus entstanden, nachdem sich der Austritt schon über Jahre ziehe, sagte Johnson. Aber „die Zweifler, die Weltuntergangspropheten, die Schwarzmaler“ lägen falsch. Nach drei Jahren unbegründeten Selbstzweifels – die Briten hatten 2016 für den EU-Austritt gestimmt – sei es Zeit für einen Kurswechsel. Johnson strich „Mut, Courage und Ehrgeiz“ der Briten hervor, die unterschätzt worden seien bzw. immer noch würden.

Neue britische „Führungsrolle“ versprochen

„Es ist Zeit, dass wir nicht auf die Risiken, sondern die Chancen blicken, die wir haben.“ Johnson schloss seine erste Rede als neuer Premier mit dem Versprechen, seinem Land „die Führungsrolle, die es verdient“, zurückgeben zu wollen, „diese Arbeit beginnt heute“. Inhaltlich versprach er politische Initiativen, angefangen von einer Steuer- über eine Pflegereform bis zum Tierschutz. Auf Twitter berichtete ein Reporter der BBC, dass sich auch Buhrufe aus dem Zuhörermenge unter Johnsons Rede mischten.

Glückwünsche aus Wien

Glückwünsche erreichten Johnson von Washington über Brüssel und Wien bis Moskau. Der erste Gratulant war US-Präsident Donald Trump, der via Twitter meinte: „Er wird großartig sein.“ EU-Ratspräsident Donald Tusk schrieb: „Ich freue mich darauf, unsere Zusammenarbeit bei einem Treffen detailliert zu besprechen.“ Er gilt in der EU als einer derjenigen Politiker, die noch immer Hoffnungen auf einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Union haben.

Österreich bleibe dem zwischen der EU und London ausverhandelten Brexit-Abkommen „voll verpflichtet“, betonte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Via Twitter übermittelte sie Johnson ihre Glückwünsche und zollte der aus dem Amt geschiedenen Premierministerin May „Dank und tiefen Respekt“. Österreich werde „die exzellenten bilateralen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern weiterhin stärken“.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wünschte dem neuen britischen Premier „eine glückliche Hand und viel Erfolg zum Wohl“ Großbritanniens. Der russische Präsident Wladimir Putin wünschte Johnson ähnlich „viel Erfolg bei seiner verantwortungsvollen Arbeit“. Johnsons Vorgängerin hatte den Kreml-Chef zuletzt aufgefordert, „verantwortungslose und destabilisierende“ Aktivitäten zu beenden.

Zahlreiche Wechsel in der Regierung

Mit Johnson kommt es auch zu zahlreichen Wechseln im Kabinett. Einige EU-freundliche Minister haben das Handtuch geworfen, „Brexiteers“ brachten sich in Stellung – Letztere werden daher in der Mehrheit sein, was den tatsächlichen Austrittsprozess nicht vereinfachen wird. Innenministerin im „Kabinett des modernen Großbritanniens“ wird die frühere Entwicklungsministerin Priti Patel werden. Sie war 2017 zurückgetreten, nachdem bekanntgeworden war, dass sie sich ohne Absprache im Israel-Urlaub mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu getroffen hatte. Sie ist eine große Brexit-Anhängerin.

Die frühere britische Entwicklungsministerin Priti Patel
Reuters/Phil Noble
Priti Patel gilt als große Brexit-Anhängerin

Sie ist außerdem eine glühende Verehrerin der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher, die bis 1990 britische Premierministerin war. Sie wird dem rechten Flügel der Konservativen zugeordnet. Die 47-jährige Politikerin kommt aus einer Familie indischstämmiger Ugander, die in den 1960er Jahren nach Großbritannien einwanderte. Der bisherige Innenminister Sajid Javid wird neuer Finanzminister. Ex-Brexit-Minister Dominic Raab wird neuer Außenminister.

Schlagabtausch zwischen Johnson und Hunt

Viel spekuliert wurde über die Zukunft des bisherigen Außenministers Jeremy Hunt, der als Johnsons größter Konkurrent ins Rennen um die May-Nachfolge gegangen war. Der BBC und der „Times“ zufolge hatten einander Hunt und Johnson hinter verschlossenen Türen einen Schlagabtausch geliefert. Johnson wollte Hunt laut den Angaben das Amt des Verteidigungsministers anbieten. Hunt kündigte schließlich Mittwochabend seinen Rücktritt an.

„Leave“-Mastermind als Berater?

Erwartet wurde, dass das einstige Mastermind der „Leave“-Kampagne, Dominic Cummings, ein hochrangiger Berater des neuen Premiers wird. Seine Bestellung gilt als höchst kontroversiell. Denn Cummings, der laut „Guardian“ „nicht besonders konservativ“ sei, hat in der Vergangenheit auch bei der EU-kritischen European Research Group (ERG), deren Vorsitzender der führende „Brexiteer“ Jacob Rees-Mogg ist, angeeckt. Unbeliebt machte er sich auch damit, dass er eine grundlegende Reform der Regierung forderte.

Minister und Staatssekretäre werfen Handtuch

Aufgrund des Führungswechsels hatten gleich mehrere EU-freundliche Minister ihren Rückzug angekündigt. Viele von ihnen teilen Johnsons kompromisslose Linie in Sachen Brexit nicht. Er kritisierte das zwischen May und der EU ausgehandelte Abkommen als „Instrument der Einkerkerung“ Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. Er pocht daher darauf, mit Brüssel neu zu verhandeln – was dort strikt abgelehnt wird.

„Das ist ein Blutbad“

Gleich im Anschluss an Johnsons Rede am Dienstag kündigte Justizminister David Gauke seinen Rücktritt an. Ähnlich verabschiedete sich Entwicklungshilfeminister Rory Stewart. Auch Finanzminister Philip Hammond und der bisherige Vizepremier David Lidington sowie Immigrationsministerin Carolin Nokes erklärten am Mittwoch – wie erwartet – ihren Rücktritt. Außerdem gingen unter anderem auch die Staatssekretäre James Brokenshire, Chris Grayling, Damian Hinds, Greg Clark und Penny Mordaunt.

Der BBC-Journalist Nicholas Watt zitierte via Twitter einen namentlich nicht genannten „Unterstützer“ Johnsons im Hinblick auf den Umbau der Regierung mit den Worten: „Das ist ein Blutbad. Es gehen nicht um Bleiben oder Gehen. Es geht darum, bist du für Boris oder gegen ihn.“ Das Ganze sei eine „Revolution“, um den Brexit über die Bühne zu bringen.