Varadkar: „No Deal“-Brexit könnte zu vereintem Irland führen

Ein „No Deal“-Brexit könnte nach Einschätzung des irischen Premierministers Leo Varadkar letztlich zu einer Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands führen. Wenn Großbritannien ohne Abkommen aus der EU austrete, werde in Nordirland die Zahl der Menschen steigen, die die Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich „infrage stellen“, sagte Varadkar irischen Medienberichten zufolge heute bei einem Besuch in der irischen Grafschaft Donegal.

Der neue britische Premierminister Boris Johnson hatte das von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Brexit-Abkommen zuvor als „inakzeptabel“ bezeichnet. Für seine Regierung hätten daher nun die Vorbereitungen auf einen ungeregelten EU-Austritt „die höchste Priorität“, sagte Johnson gestern im britischen Parlament. Ein EU-Austritt ohne Abkommen ist damit wahrscheinlicher geworden.

Varadkar sagte laut der Zeitung „Irish Independent“ und anderen Medien über die möglichen Reaktionen in Nordirland: „Leute, die man als moderate Nationalisten oder moderate Katholiken beschreiben könnte, die mit dem Status quo mehr oder weniger zufrieden waren, werden sich stärker einem vereinigten Irland zuwenden.“

Frage, „wo sie sich mehr zu Hause fühlen“

Aber auch „liberale Protestanten“ in Nordirland stellten sich zunehmend die Frage, „wo sie sich mehr zu Hause fühlen“, fügte Varadkar hinzu. Dieses Zuhause sei entweder in einem „nationalistischen Großbritannien“, das über Themen wie die Wiedereinführung der Todesstrafe diskutiere, oder in einer „gemeinsamen europäischen Heimat“ und als „Teil von Irland“, sagte der irische Regierungschef.

Varadkar bekräftigte zudem, dass es kein Brexit-Abkommen ohne die umstrittene Grenzregelung für Nordirland geben werde. Johnson will den Backstop, der eine harte Grenze mit Kontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindern soll, dagegen streichen. Das bekräftigte Johnson heute erneut vor der Presse in Manchester. Das Vereinigte Königreich sei bereit, auf die EU zuzugehen.

Johnson will Brexit „ohne Wenn und Aber“

„Aber wir können dies nicht machen, solange der antidemokratische Backstop – der Backstop, der unser Land, das Vereinigte Königreich spalten soll – bestehen bleibt.“ Ein ungeregelter Brexit, der abrupt Handelsbeziehungen kappen oder erschweren würde, wird jedoch wegen seiner negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft bis hin zu möglichen konjunkturellen Einbrüchen gefürchtet. Johnson hat angekündigt, den Brexit „ohne Wenn und Aber“ bis zum 31. Oktober abzuwickeln.

Die vergleichsweise durchlässige Grenze zwischen Irland und Nordirland ist Teil des 1998 abgeschlossenen Karfreitagsabkommens. Ziel war ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Nordirland-Konflikt. Politiker in Irland und in Großbritannien befürchten, eine harte Grenze auf der irischen Insel könnte die Gewaltbereitschaft in Nordirland wieder anfachen.