Boris Johnson
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„Auf Hochtouren“

Briten bereiten sich auf „No Deal“-Brexit vor

Trotz der vollmundigen Ankündigung, mit Brüssel neu verhandeln zu wollen, stellen sich der neue britische Premier Boris Johnson und seine Regierung auf einen Brexit ohne Abkommen ein. Die gesamte Maschinerie der Regierung werde „auf Hochtouren“ an der Vorbereitung eines „No Deal“-Brexit arbeiten, so Staatsminister Michael Gove. Bis zu einer Milliarde Pfund (1,11 Mrd. Euro) plant die Regierung dafür ein.

Gove, der als rechte Hand Johnsons über die „No Deal“-Planungen wacht, sagte der „Sunday Times“, die Regierung gehe nun von der Annahme aus, dass Brüssel kein neues Abkommen aushandeln werde. Das war bisher auch immer konsequent der Standpunkt Brüssels, während Johnson mit dem Versprechen, den anderen 27 EU-Staaten bei neuen Verhandlungen weitere Zugeständnisse rausverhandeln zu wollen, um Stimmen für seine Wahl als neuer Premier warb.

Großbritannien werde die EU am 31. Oktober verlassen, so Gove weiter, „mit einem neuen Premierminister, einer neuen Regierung und neuer Klarheit (..) Ohne Wenns. Ohne Abers. Keine weiteren Verschiebungen.“ Am Donnerstag hatte Johnson in seiner ersten Rede im neuen Amt im Parlament in London bereits deutlich gemacht, dass seine Regierung an dem Datum 31. Oktober festhalten werde – „unter allen Umständen“.

Michael Gove
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Gove pocht auf einen Brexit am 31. Oktober

Bis zu einer Milliarde Pfund für Vorbereitungen

Für den Fall eines harten Brexit stockt die britische Regierung auch die Kriegskasse auf. Der britische Finanzminister Sajid Javid sagte dem „Sunday Telegraph“, es würden erhebliche zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um Großbritannien auf einen Brexit ohne Abkommen mit der EU vorzubereiten. Mit dem zusätzlichen Geld von bis zu einer Milliarde Pfund solle eine der größten öffentlichen Kampagnen aller Zeiten finanziert werden, um sicherzustellen, dass Einzelpersonen und Unternehmen für einen „No Deal“ bereit seien.

Unter seiner Führung werde das Finanzministerium neue Prioritäten setzen und dabei helfen, den Brexit zu liefern, so Javid weiter. Er plane, 500 neue Grenzschutzoffiziere zu finanzieren. Darüber hinaus wolle er neue Infrastruktur rund um die Häfen des Landes prüfen, um die Verkehrsbelastung zu vermindern und zu sichern, dass der Warenverkehr fließen könne. Ein ungeregelter EU-Ausstieg, der Handelsströme und Lieferketten zu unterbrechen droht, wird als britischer Konjunkturkiller gefürchtet. Er dürfte die Wirtschaft nach Ansicht der britischen Notenbank letztlich in die Rezession stürzen.

Sajid Javid
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Bis zu einer Milliarde Pfund stellt Finanzminister Javid für einen „No Deal“-Brexit bereit

Auf Kollisionskurs mit britischem Unterhaus

Mit dem harten Brexit-Kurs dürfte Johnson im britischen Unterhaus ohnedies auf Widerstand stoßen. Es hatte sich Mitte März eindeutig gegen einen ungeregelten Brexit ausgesprochen. Allerdings fand auch der von Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsvertrag im Parlament keine Mehrheit.

Stein des Anstoßes darin ist die „Backstop“-Regelung zur Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Land Irland. Dort soll es nach dem Willen Brüssels auf keinen Fall erneut Grenzkontrollen geben, weil ein Wiederaufflammen der Gewalt wie vor dem Nordirland-Friedensabkommen von 1998 gefürchtet wird. Der „Backstop“ hält Großbritannien de facto in einer Zollunion mit der EU, da auf beiden Seiten weiterhin Binnenmarkt- und Zollregeln der EU gelten sollen. Damit können Warenkontrollen an der inneririschen Grenze entfallen.

Johnson pocht auf Aufgabe des „Backstop“

Teile Großbritanniens, darunter die neue Regierung und die Brexit-Befürworter, interpretieren diese Lösung allerdings als Einschränkung der eigenen nationalen Souveränität und fordern einen Verzicht darauf. Er sei bereit, auf die EU zuzugehen, doch müsse zuvor der „antidemokratische ‚Backstop‘“ fallen, sagte Johnson am Wochenende in Manchester.

Gelöst werden könnte das Problem einer möglichen inneririschen Grenze durch einen neuen Handelsvertrag zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Der kann aber erst nach dem Brexit verhandelt werden. Daher hält die EU an dem „Backstop“ als eine Art Rückversicherung entsprechend fest.

Johnsons harter Brexit-Kurs könnte in Irland zudem die Frage einer Wiedervereinigung auf den Tisch bringen. Derzeit gebe es zwar keine Pläne dafür, sagte Ministerpräsident Leo Varadkar. „Aber im Falle eines harten Brexit kommen diese Fragen auf.“ Beim Brexit-Referendum 2016 stimmten 56 Prozent in Nordirland für einen Verbleib in der EU.

Torys wieder im Aufwind

Trotz aller Widerstände – Johnsons kompromissloser Brexit-Kurs kommt bei den Briten offenbar gut an: Die britischen Konservativen haben in Umfragen zugelegt. Der Zeitung „Sunday Times“ zufolge liegen die Torys laut einer YouGov-Erhebung bei 31 Prozent. Das seien sechs Prozentpunkte mehr als bei der vorherigen Umfrage und zehn Punkte vor der Labour-Partei.

Der „Boris Bounce“ dürfe Spekulationen über Neuwahlen befeuern. Allerdings zeigte eine zweite Erhebung des Meinungsforschungsinstituts ComRes für den „Sunday Express“, dass die Torys in diesem Fall Sitze verlieren würden. Die Konservativen sind bereits jetzt im Unterhaus auf Unterstützung der kleineren Nordirland-Partei DUP angewiesen.

Labour will sich unterdessen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen einen harten Brexit stemmen, wie Oppositionschef Jeremy Corbyn ankündigte. Auch die Möglichkeit eines Misstrauensvotums gegen Johnson werde man sich nach Ende der parlamentarischen Sommerpause im September „nach Lage der Dinge anschauen“.