Menschen zünden Kerzen an in Bukarest
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Drei Notrufe umsonst

Mord in Rumänien wird zum Politikum

Polizei und Justiz in Rumänien sind nach einem Mord unter Druck geraten. Obwohl eine entführte 15-Jährige mehrmals Notrufe absetzen konnte, wurde ihr nicht geholfen. Die Jugendliche wurde umgebracht – für viele Menschen ein Beleg für korrupte und ineffiziente öffentliche Institutionen.

Die 15-Jährige war Mitte der Woche entführt und verschleppt worden, als sie versuchte, per Anhalter in ihren Heimatort Dobrosloveni im Süden des Landes zu gelangen. Die Schülerin konnte später mit einem Handy, das sie ihrem Peiniger entwendet hatte, dreimal den Notruf wählen und die Polizei um Hilfe bitten: Sie sei entführt, in eine Baracke auf einem heruntergekommenen Anwesen gebracht, mit Draht gefesselt und vergewaltigt worden. „Er kommt, er kommt“, sagte sie in einem Telefonat, bevor es unvermittelt endete.

Die Ortung der Anrufe verlief aber schleppend. Nachdem der Standort schließlich ausfindig gemacht worden war, warteten die lokalen Polizisten in der Nacht auf Freitag drei Stunden vor dem Haus des mutmaßlichen Täters auf einen Durchsuchungsbefehl, bevor sie das Anwesen stürmten – der Durchsuchungsbefehl war in einem Notfall wie diesem gar nicht nötig. Zwischen erstem Notruf und Einsatz waren rund 19 Stunden vergangen. Währenddessen wurde das Mädchen getötet und seine Leiche zerteilt. Leichenteile wurden in einem Fass mit Batteriesäure aufgelöst.

Ortung „technisch unmöglich“

Zum Umgang mit den Notrufen sagte die Polizei, dass es technisch unmöglich gewesen sei, die Anruferin zu orten, die die Adresse ihres Aufenthaltsorts nicht genau angeben konnte. Dazu soll der Chef des staatlichen Telekommunikationsdienstes STS, Sorinel Vasilca, am Montag vom Verteidigungsausschuss des Parlaments befragt werden. Noch vor den Notrufen hatte eine Nachbarin des Verdächtigen nach eigenen Angaben aus dem Haus Schreie gehört und das der Polizei gemeldet – die darauf nicht reagiert habe.

Proteste nach Mord in Rumänien

In Rumänien sorgt der Mord an einem 15-jährigen Mädchen für Entsetzen und Massenproteste.

Die Ermordung sorgte für Entsetzen und schwere Kritik an den Behörden. Tausende gingen in der Hauptstadt Bukarest am Samstag auf die Straße und legten im Gedenken an das Mädchen Blumen vor dem Innenministerium nieder. Sie warfen den Ermittlern in Sprechchören „Inkompetenz“ vor und forderten auch den Rücktritt der Regierung.

Weitere Opfer

Die Polizei nahm am Samstag einen 65-jährigen Verdächtigen fest. Ermittler hatten bei der Durchsuchung seines Hauses und des Gartens menschliche Überreste und Schmuck des Mädchens gefunden. Der Mann verweigerte zunächst die Aussage, räumte die Tat dann aber ein. Zudem gestand er, eine weitere junge Frau getötet zu haben.

Die 19-Jährige galt seit April als vermisst. Ihre Eltern erhoben ebenfalls Anschuldigungen gegen die Polizei. Ein Beamter hatte gemutmaßt, ihre Tochter sei mit ihrem „Märchenprinzen“ durchgebrannt. Wie die rumänische Presse berichtete, scheinen die Ermittler inzwischen von mindestens einem weiteren Opfer auszugehen. Innenminister Nicolae Moga entließ am Freitagabend Polizeichef Ioan Buda. Es seien „drastische Maßnahmen“ in dem Fall nötig, sagte er.

Menschen demonstrieren in Bukarest
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„Rumänien wurde ermordet“: Die Demonstranten sind erschüttert vom Mord an der 15-Jährigen

Auch die Debatte über die von der EU scharf kritisierte Justizreform des Landes kochte mit dem Fall wieder hoch. Die Demonstranten in Bukarest warfen den regierenden Sozialdemokraten am Samstag vor, mit umstrittenen Änderungen das Strafrechtssystem zu schwächen. „Warum ist die Polizei nicht früher eingeschritten?“, fragte der Demonstrant Cristian Nan. Das müssten „alle“ beantworten – von Polizei über Staatsanwaltschaft bis hin zu Regierungschefin Viorica Dancila.

Auch Präsident schockiert

Staatspräsident Klaus Johannis stellte am Freitagabend klar, dass Rücktritte und Entlassungen zwar „zwingend, jedoch keineswegs ausreichend“ seien, und kündigte an, den Fall vor den obersten Verteidigungsrat des Landes zu bringen. Johannis zeigte sich schockiert über den Tod der 15-Jährigen. Johannis sieht in dem Fall ein Zeichen dafür, dass aufgrund korrupter Praktiken inkompetente Menschen bei der Polizei arbeiten dürfen.

„Solange Korruption, Inkompetenz und die Beförderung aufgrund anderer Kriterien als Fachkenntnis von politischen Entscheidern gefördert werden, leidet die ganze Gesellschaft“, schrieb der Präsident am Sonntag. Das Verhältnis zwischen der Regierung und dem bürgerlichen Staatspräsidenten ist seit Langem angespannt.

Foto der ermordeten 15-Jährigen mit Kerzen
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Das Mädchen wurde beim Autostoppen verschleppt

Auch Ministerpräsidentin Dancila warf den Ermittlungsbehörden Versagen vor. Zuletzt hatten Massendemonstrationen gegen die von den Sozialdemokraten geführte Regierung Rumänien beschäftigt. Die Regierung hatte eine Aufweichung der Korruptionsbekämpfung angestrebt. Die Demonstranten forderten mehr Härte gegen Korruption. Jüngst wurde die Partei auch durch eine Schlappe bei der Europawahl in die Krise gestürzt. Zudem wurde ihr Chef Liviu Dragnea inhaftiert: Dragnea hatte Ende Mai eine dreieinhalbjährige Haftstrafe wegen einer Scheinbeschäftigungsaffäre angetreten, nachdem ein Berufungsgericht das Urteil bestätigt hatte.

Dragnea galt bis dahin als mächtigster Politiker Rumäniens, die 2018 eingesetzte Ministerpräsidentin Dancila als seine Marionette. Dragnea galt auch als die treibende Kraft hinter der Justizpolitik, die nach Meinung von Kritikern und der EU-Kommission darauf abzielte, den Kampf gegen die Korruption zu schwächen.