Forensisches Zentrum Asten
APA/Helmut Fohringer
Justiz in Nöten

Überfüllte Gefängnisse, erschöpfte Beamte

Bedenkliche Zwischenfälle im forensischen Zentrum Asten, starke Überbelegung in der Justizanstalt Josefstadt, sich stapelnde Aktenberge am Wiener Landesgericht für Strafsachen: Medienberichte der vergangenen Tage zeichnen ein düsteres Bild von Österreichs Justizsystem. Selbst der Justizminister warnte kürzlich vor einem „stillen Tod“ der Justiz – eine Besserung scheint nicht in Sicht.

Die Justizanstalt Asten in Oberösterreich gilt eigentlich als Vorzeigeanstalt für psychisch kranke Rechtsbrecher und Rechtsbrecherinnen. Statt Zellen gibt es offen gestaltete Wohngruppen mit Einzel- und Doppelzimmern, und das psychiatrisch-fachärztliche Behandlungsprogramm ist individuell auf Betroffene abgestimmt. Dennoch häuften sich in den vergangenen Wochen Medienberichte über Missstände hinter den Anstaltsmauern.

Von Personalmangel, Regelverletzungen, Ausbrüchen, Übergriffen und Handel mit Kinderpornos war etwa in der „Kronen Zeitung“ die Rede. Missstände, von denen auch ein ehemaliger Insasse berichten kann. Zwischen Asten und „normalen“ Gefängnissen gebe es keinen großen Unterschied: „Es gibt Drogen, es gibt sexuellen Missbrauch, es gibt völlig überfordertes Personal, es gibt Kämpfe“, schilderte der Insider die Zustände gegenüber ORF.at.

„Man behandelt uns wie Tiere“

Einmal wurde er eigenen Aussagen zufolge Zeuge einer Messerattacke, ein anderes Mal konnte er gerade noch einen Suizidversuch eines Mitinsassen verhindern. Einzig bei den Kinderpornos würde es sich lediglich um ein Gerücht handeln, so der Insider. Er vermute einen Zusammenhang zu einem internen Streit in der Führungsetage der Anstalt.

Scharfe Kritik äußert er vor allem am Umgang der Justizwachebeamten mit den Insassen und Insassinnen: „Einige behandeln uns wie Tiere, wie Aussätzige.“ Inwiefern es in Asten tatsächlich zu Übergriffen gekommen ist, ist derzeit Thema einer parlamentarischen Anfrage, zu der sich Justizminister Clemens Jabloner bis 4. September äußern muss. Denn Insiderinformationen sind von unabhängiger Seite nur schwer überprüfbar.

Gang in der Justizanstalt Josefstadt in Wien
ORF.at/Patrick Wally
Die Justizanstalt Josefstadt ist wie viele andere österreichische Gefängnisse derzeit stark überbelegt

Mit den Vorwürfen der Medienberichte konfrontiert, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesministeriums gegenüber ORF.at, dass sich die Generaldirektion derzeit „prioritär der Sonderanstalt Asten und ihrer Entwicklung“ widme: „Aktuell werden mit allen beteiligten Personen Gespräche geführt, wobei selbstverständlich die Themen der parlamentarischen Anfragen, Beschwerden sowie die Meldungen des Leitungsteams und der gesamten Personalvertretung berücksichtigt werden.“ Auf die einzelnen im Raum stehenden Missstände wurde jedoch nicht genauer eingegangen, sondern auf die (noch ausstehende) Beantwortung der parlamentarischen Anfrage verwiesen.

Viele Justizanstalten überbelegt

Doch Asten ist kein Ausnahmefall in Österreich. Während in dem forensischen Zentrum derzeit lediglich 212 Rechtsbrecher und Rechtsbrecherinnen untergebracht sind, bietet Österreichs größtes Gefängnis, die Justizanstalt Josefstadt, offiziell Platz für 990. Im Durchschnitt waren die vergangenen Jahre jedoch 1.150 Personen inhaftiert.

Gefangene in Österreich

Insgesamt sitzen in Österreich derzeit 9.350 Menschen hinter Gittern.

Laut einem Bericht des „Kurier" (Dienstag-Ausgabe) kämpfen aber auch die Justizanstalten Wiener Neustadt, Feldkirch, Göllersdorf, Graz-Jakomini und Mittersteig mit Überbelegung. Vor allem für die Justizwache stellt das eine Herausforderung dar, schildert Gewerkschafter Albin Simma: „Wir reden in der öffentlichen Diskussion von einer 60-Stunden-Woche. Da können unsere Kollegen nur sarkastisch lachen, das ist schon lange nicht mehr möglich. 70, 80, 90 Stunden sind an der Tagesordnung, das ist einfach nicht mehr tragbar“ – mehr dazu in wien.orf.at.

Richter mit Akten
ORF.at/Zita Klimek
Für sich stapelnde Aktenberge gibt in den Gerichten nicht nur zu wenig Platz, sondern auch zu wenig Personal

Über 600 unbesetzte und fehlende Stellen

Bundesweit waren zum Stichtag 1. Mai 2019 210 Justizwacheplanstellen unbesetzt. Das geht aus einer Antwort auf die Anfrage der Nationalratsabgeordneten und NEOS-Justizsprecherin Irmgard Griss hervor. Doch auch die Gerichte scheinen am Limit angelangt zu sein. So herrscht am Wiener Landesgericht für Strafsachen etwa akute Platz- und Personalnot. Bald sind die letzten leeren Regale im Archiv voll, dann ist im größten Gericht des Landes definitiv kein Platz mehr für Akten, zudem mangelt es an nichtrichterlichem Personal – mehr dazu in wien.ORF.at.

Friedrich Forsthuber, Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richtervereinigung, kritisiert die starken Einsparungen an Mitarbeitern, die nicht nur das Wiener Landesgericht, sondern „alle Gerichte Österreichs“ treffen. Im Bereich Fachdienst etwa verlor man in den vergangenen vier Jahren insgesamt 400 Stellen. Jabloner sprach von „beklemmenden“ Aktenbergen, die aufgrund der angespannten Personalsituation einfach liegen bleiben. Im Bereich Fremdenwesen etwa gebe es laut „Kurier“ derzeit einen Rückstau von 40.000 Verfahren.

Zu viel Arbeit für Staatsanwälte und Staatsanwältinnen

Die Kriminologin und Strafrechtsexpertin Katharina Beclin sieht im Gespräch mit ORF.at das Hauptproblem im strafprozessualen Bereich hingegen in der Überlastung von Staatsanwälten und Staatsanwältinnen sowie Richtern und Richterinnen.

Dadurch würden sich wichtige Verfahren, wo es etwa um Verfehlungen von politischen Entscheidungsträgern oder um komplexe Wirtschaftskriminalität geht, zu lange verzögern. Ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin werde an einem normalen Arbeitstag „gerade mit Müh und Not“ mit dem normalen Workload fertig, so Beclin.

Gründe für die Verschlechterungen sieht sie sowohl in der Strafprozessreform 2008 als auch in einer verfehlten Sparpolitik. Statt von einer Staatsanwaltschaft als „Anklagebehörde“ könne man mittlerweile von einer „Einstellungsbehörde“ sprechen.

Blick in das Archiv im Landesgericht für Strafsachen in Wien
APA/Robert Jaeger
Über eine Dreiviertelmillion Akten: Die Kanzleien des Wiener Landesgerichts für Strafsachen platzen aus allen Nähten

„Die Justiz stirbt einen stillen Tod“

Auch Jabloner konstatierte früheren Regierungen Versagen in Sachen budgetäre Ausstattung der Justiz. „Jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem ich Alarm schlagen muss. Wir können so nicht weitermachen“, sagte Jabloner, der kürzlich von einem „stillen Tod“ der Justiz warnte.

Straf- und Maßnahmenvollzug

Neben dem Strafvollzug, der die Unterbringung von Rechtsbrechern in eine Anstalt regelt, wendet sich der Maßnahmenvollzug an Straftäter, die unter einer schwerwiegenden psychischen Störung leiden und deshalb nicht verurteilt werden können. Er umfasst „mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahmen“ zur Unterbringung auf unbestimmte Zeit.

Aus der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage von NEOS geht hervor, dass Jabloner im kommenden Budget der nächsten Bundesregierung für den Strafvollzug mit einem finanziellen Mehrbedarf von rund 66 Millionen Euro rechnet. Mehr als 21 Millionen Euro fallen davon alleine auf die Finanzierung des Personals aus. Personal, das benötigt wird, um den Justizbetrieb aufrechtzuerhalten. „Die Anfragebeantwortung zeigt, dass der Straf- und Maßnahmenvollzug in Zukunft nur mit mehr finanziellen Mitteln funktionieren kann“, sagte Griss.

„Bürgerinnen und Bürger müssen darauf vertrauen können, dass die Gerichte ihrer für den Rechtsstaat so wichtigen Aufgabe nachkommen können. Und zwar in hoher Qualität und in angemessener Zeit“, so Griss gegenüber ORF.at. Der Notstand der Justiz sei „die Folge verantwortungsloser Politik“, dessen Auswirkungen nicht länger ignoriert werden könnten. Die Politik müsse ihrer Aufgabe gerecht werden, über die Legislaturperiode hinaus zu denken und für eine sichere Zukunft zu sorgen.

Die offene Frage nach 66 Millionen Euro

Der letzte Satz in der Anfragebeantwortung macht jedoch klar, dass Jabloner als Teil einer Übergangsregierung die Hände gebunden sind. Dieser lautet: „Inwiefern diese Budgetmittel seitens des Bundesministeriums für Finanzen zur Verfügung gestellt werden, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden.“

Laut dem „Kurier“-Bericht will Jabloner seine Zeit als Justizminister aber dafür nützen, um eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Situation zu machen und dadurch die Weichen für Maßnahmen stellen, die die nächste Regierung umsetzen könnte. Eckpunkte einer Novelle liegen dem Bericht zufolge bereits vor.

Genannt wird dabei etwa eine Entlastung der überfüllten Gefängnisse durch den verstärkten Einsatz von Fußfesseln. Übergriffe auf die Justizwache könnten künftig durch den Einsatz von Bodycams präventiv vermieden werden. Doch ohne eine handlungsfähige Regierung werden Maßnahmen wie diese wohl ebenso liegen bleiben wie die sich stapelnden Aktenberge in den Gerichten.