Der Britische Premierminister Boris Johnson
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Johnsons Brexit-Kurs

Wales vermisst „ernsthafte Antworten“

Am Tag nach seinem Besuch in Schottland hat der britische Premier Boris Johnson am Dienstag auch in Wales heftigen Gegenwind für seinen Brexit-Kurs zu spüren bekommen. Dabei stimmten die Waliser im Gegensatz zu den Schotten beim folgenschweren Brexit-Referendum am 23. Juni 2016 noch für den Ausstieg des Vereinten Königreichs aus der EU.

Angesichts der wiederholten Ankündigung eines ungeregelten EU-Austritts steigt nun aber auch in Großbritanniens südwestlichem Landesteil zunehmend die Sorge vor einem Brexit ohne Deal. Nach Angaben von Experten kamen zuletzt rund 80 Prozent der Einkünfte von Bauern dort aus Töpfen der Europäischen Union. Nach Angaben des Finanzausschusses der Walisischen Nationalversammlung erhielt Wales zuletzt umgerechnet rund 680 Millionen Pfund (750 Mio. Euro) pro Jahr für Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum, Strukturhilfe und Direktzahlungen an die Landwirte von der EU.

Noch bevor er Johnson in der Hauptstadt Cardiff begrüßte, warnte der walisische Regierungschef Mark Drakeford von der Labour-Partei auf dem Kurznachrichtendienst Twitter vor möglichen katastrophalen Auswirkungen eines „No Deal“-Brexits für die Industrie und vor allem die Landwirtschaft. Mit Blick auf Johnsons Brexit-Kurs vermisst Drakeford zudem „ernsthafte Antworten“.

Der Britische Premierminister Boris Johnson
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Johnson besuchte in Wales unter anderem eine Hühnerfarm

Johnson verspricht Besserstellung

Johnson, der bei seiner Werbetour für seinen Brexit-Kurs am Dienstag unter anderem auch eine Hühnerfarm besuchte, versprach unterdessen, die britischen Landwirte nach dem EU-Austritt besserzustellen. „Wenn wir die EU am 31. Oktober verlassen, werden wir die historische Chance haben, neue Maßnahmen zur Unterstützung der Landwirtschaft einzuführen – und wir werden sicherstellen, dass die Bauern einen besseren Deal bekommen“, wie Johnson bei einem Treffen mit walisischen Bauernvertretern dazu sagte.

Bereits am Tag zuvor war Johnson bei seinem ersten Besuch als Premier auch in Schottland ein scharfer Wind entgegengeweht. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon warf Johnson vor, insgeheim einen Brexit ohne Austrittsabkommen anzustreben. „Hinter allem Bluff und Getöse ist das eine Regierung, die gefährlich ist“, sagte Sturgeon nach dem Treffen mit Johnson am Montag in Edinburgh. „Das ist eine Regierung, die eine ‚No Deal‘-Strategie verfolgt, so sehr sie das auch bestreiten mag.“ Johnson zeigte sich bei seinem ersten Besuch in Schottland als Premierminister hingegen „zuversichtlich, dass wir ein Abkommen bekommen“.

Die schottische Ministerin Nicola Sturgeon
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Sturgeon befürchtet, dass Johnson das Land mit seinem Brexit-Kurs in eine „Katastrophe“ treibe

Nichtsdestotrotz würden aber auch Vorbereitungen für einen „No Deal“-Brexit laufen, wie Johnson hier bestätigte. Journalisten gegenüber bekräftigte er, dass das von seiner Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen „tot“ sei. Vor seinem Treffen mit Sturgeon hatte Johnson eine „strahlende Zukunft“ nach dem Brexit vorhergesagt. Das Vereinigte Königreich sei eine „globale Marke“, sagte er. Es sei „lebenswichtig“, die Bande zu „erneuern“, die die britischen Landesteile zusammenhielten.

Abfuhr aus Dublin

Eine Abfuhr holte sich Johnson am Dienstag unterdessen auch bei seinem ersten Telefongespräch mit Irlands Premier Leo Varadkar. Konkret ließ dieser Johnson mit der Forderung nach einer Neuverhandlungen des Brexit-Vertrags mit der EU abblitzen. Varadkar habe Johnson erklärt, die Europäische Union sei sich darin einig, dass das mit May verhandelte Austrittsabkommen nicht wieder aufgeschnürt werde, teilte die Regierung in Dublin mit. Die umstrittene Sonderregelung für die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und der britischen Provinz Nordirland könne zwar später durch andere Vereinbarungen ersetzt werden. Zufriedenstellende Optionen lägen aber noch nicht vor.

Johnson bekräftigte in dem Telefonat nach Angaben seines Büros, dass Großbritannien am 31. Oktober die EU mit oder ohne Vertrag verlassen werde, „komme, was wolle“. Zudem forderte er erneut, dass auf die „Backstop“-Regelung für die Nordirland-Grenze verzichtet werden müsse. Gleichzeitig schloss Johnson die Wiedereinführung physischer Grenzkontrollen an der Grenze zwischen Irland und Nordirland auch im Fall eines vertragslosen Brexits aus. Es bleibt somit weiter völlig unklar, wie die durch die Brexit-Pläne aufgeworfene Grenzfrage zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland gelöst werden könnte.

Varadkar ließ in diesem Zusammenhang zuletzt mit der Einschätzung aufhorchen, wonach ein „No Deal“-Brexit letztlich zu einer Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands führen könnte. Am Dienstag brachten nun auch nordirische Nationalisten eine Wiedervereinigung des britischen Nordirlands mit der Republik Irland ins Spiel. Die Chefin der nordirischen Partei Sinn Fein, Mary Lou McDonald, erklärte, Johnson sei nicht ihr Premierminister. Nach dem Amtsantritt des „hurrapatriotischen und sturen“ Johnson sei genau der Zeitpunkt gekommen, um über eine irische Wiedervereinigung zu diskutieren, wie die Vorsitzende der größten nationalistischen Partei in Nordirland zudem sagte.

Johnson sieht EU am Zug

Johnson selbst versuchte die Verantwortung für die festgefahrenen Verhandlungen über den Brexit der EU zuzuschieben. Laut Johnson liege es nun an der EU, den nächsten Schritt zu machen. Gleichzeitig bekräftige er, er wolle zwar die EU nicht ohne Vertag verlassen. Aber er müsse sich auf diesen Fall vorbereiten.

Ein Brexit ohne Vertrag wird wegen der dann erwarteten Schockwirkungen auf die globale Wirtschaft gefürchtet. Die Blockade in den Trennungsgesprächen wirkt sich bereits jetzt auf die britische Wirtschaft aus. Das britische Pfund verlor seit dem Amtsantritt von Johnson 2,4 Prozent gegenüber dem Dollar.