Das schwimmende russische AKW Akademik Lomonosow
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Russland

Schwimmendes AKW nimmt Fahrt auf

Das schwimmende Atomkraftwerk „Akademik Lomonossow“ sticht demnächst nach jahrelangen Bauverzögerungen und scharfer Kritik in See. Umweltschutzorganisationen, die die Plattform als „nukleare ‚Titanic’“ und „Tschernobyl on Ice“ bezeichnen, fürchten etwa Verstrahlung im Fall einer Havarie. Doch für Russland ist es ein bedeutendes Prestigeprojekt, mit dem man große Ziele in der Arktis verfolgen will.

Noch liegt die „Akademik Lomonossow“ im Hafen von Murmansk vor Anker. Bald soll sie aber ihre rund 4.000 Kilometer weite Reise in die russische Hafenstadt Pewek am Nördlichen Seeweg antreten. Dort soll das schwimmende AKW, das zwei Druckwasserreaktoren an Bord hat, noch im Lauf des Augusts ankommen und ab dem Winter die Stadt mit Strom versorgen.

Das AKW wird rund 70 Megawatt produzieren, die dann ins lokale Stromnetz eingespeist werden. Laut dem russischen Atomunternehmen Rosenergoatom, Teil der staatlichen Atombehörde Rosatom, kann damit eine Stadt mit etwa 100.000 Menschen versorgt werden. In den äußersten Nordosten Russlands wird die „Akademik Lomonossow“ mit Eisbrechern und Schleppern gebracht. Auch wenn sie künftig Energie produzieren soll, einen eigenen Antrieb hat sie nicht.

Pool und Bar für die Crew

Die Bauweise mit den beiden KLT-40S-Reaktoren erinnert an die riesigen Atomeisbrecher, die im Norden Russlands seit Jahrzehnten mit Nuklearantrieb unterwegs sind. Auf der „Akademik Lomonossow“ wird es aber zusätzlich extravagante Angebote für die Crew geben, etwa ein Fitnessstudio, einen Pool und eine Bar (ohne Alkoholika). Der Bau des russischen Prestigeprojekts hat mehr als zehn Jahre gedauert, mehrmals wurde die Fertigstellung verschoben. Offizielle Angabe zu den Kosten gibt es nicht, Schätzungen gehen von rund 300 Millionen Euro aus.

Das schwimmende russische AKW Akademik Lomonosow
Reuters/Ritzau Scanpix Denmark
Die „Akademik Lomonossow“ vor der Umlackierung: Im Mai wurde sie nach Murmansk geschleppt

Wenn die Plattform einmal in Betrieb ist, wird sie auf der Welt einzigartig sein. Es ist ein Prestigeprojekt Russlands, das auch den technologischen Wagemut zeigen soll. „Ich fühle mich wie einer der ersten Kosmonauten im Weltall“, sagte einer der Chefingenieure des AKW, Wladimir Irminku, zum „Guardian“. Die „Akademik Lomonossow“ sei „geradezu unversenkbar“, heißt es von Rosatom.

Greenpeace warnt vor Hilflosigkeit im Notfall

Für Kritiker hingegen steht die Plattform sinnbildlich für Gefahren für das zerbrechliche ökologische Gleichgewicht in der Arktis. Greenpeace sprach von einem „schwimmenden Tschernobyl“, von einer „nuklear betriebenen ‚Titanic‘“. Rosatom könne bei einem potenziellen Vorfall kaum rasch handeln, so Raschid Alimow von Greenpeace gegenüber der dpa. „Allen muss klar sein, dass die Infrastruktur in dem abgelegenen Gebiet im Notfall fehlt.“

Die Folgen für die Region wären im Fall eines Problems dramatisch, lautet die Warnung. Andere Sorgen betreffen die Angreifbarkeit der Anlage selbst: Sie sei weniger gefeit vor Terrorangriffen, Uran könne in falsche Hände gelangen, meinten einige Politiker.

Ingenieur Irminku zeigte sich wiederholt gelassen. „Man sollte schon immer skeptisch sein, aber das ist übertrieben.“ Zu Tschernobyl etwa bestehe ein Unterschied wie jener von Tag zu Nacht. Sollte es tatsächlich einen Unfall geben, könne das eiskalte Wasser unter den Reaktoren als Kühlung verwendet werden, bis Hilfe kommt. Zudem sei die Anlage massiv gebaut, sie sei stark genug, um Kollisionen mit Eisbergen und Tsunamis zu überstehen.

Anspruch in der Arktis

Die Stadt Pewek brauche eine neue Energieversorgung, das bisherige Kraftwerk der Region sei veraltet und auf Permafrostboden gebaut, der auftaue. Das schwimmende AKW produziere sauber und sicher Energie für entlegene Orte – das seien unschlagbare Vorteile. Die „Akademik Lomonossow“ soll zudem Gas- und Ölbohrinseln vor der Küste mit Energie beliefern. Auch ist für die Zukunft die serienmäßige Produktion geplant, die Versorgung der Hafenstadt ist also auch ein Testlauf.

Die Plattform kann Energie in Regionen bringen, deren Rohstoffe begehrt sind. Für die Arktis ist das von großer Bedeutung. Die Klimakrise lässt das Eis in der Region schmelzen und eröffnet so neue Seewege. Mit einer Infrastruktur wie Stromversorgung sind die dort vermuteten Rohstoffe leichter auszubeuten. Auch die geopolitische Bedeutung von ganzjährig befahrbaren Seewegen in der Arktis ist groß.

Russland hat seine Präsenz dort in den vergangenen Jahren in der Hoffnung ausgebaut, dort führende Wirtschafts- und Militärmacht zu werden. Mehrere Militärstützpunke, die nach dem Ende der Sowjetunion aufgegeben worden waren, wurden wiedereröffnet. Für Russlands Ansprüche in der Arktis könnte ein Erfolg der „Akademik Lomonossow“ daher ein Meilenstein sein – allen kritischen Stimmen zum Trotz.