Schiffe im Hafen von Severodvinsk
Reuters/Oleg Kuleshov
Radioaktivität freigesetzt

Unfall auf russischer Basis weiter mysteriös

Im Norden Russlands ist bei einem missglückten Test auf einem Militärgelände offenbar Radioaktivität freigesetzt worden. Bei dem Zwischenfall starben laut Agenturberichten vom Samstag sieben Menschen. Vom Verteidigungsministerium in Moskau war zunächst von zwei Toten, von der Atombehörde Rosatom dann von fünf Todesopfern die Rede.

Die Opfer des Unglücks waren laut einer am Samstag von der Atombehörde veröffentlichten Erklärung Rosatom-Beschäftigte. Sie seien damit beauftragt gewesen, die „isotopische Energiequelle“ für die getestete Rakete zu betreiben. Das Unglück ereignete sich auf dem Testgelände Nyonoska, das rund 30 Kilometer von der Stadt Sewerodwinsk entfernt ist.

Den Rosatom-Angaben zufolge kam es zu dem Unfall beim Probelauf eines Raketenmotors für flüssigen Treibstoff. Eine Sprecherin der Stadt Sewerodwinsk hatte in einer Stellungnahme erklärt, am Donnerstag in der Früh sei erhöhte Radioaktivität gemessen worden. US-amerikanische Experten vermuten hingegen, dass es beim Test eines neuartigen Marschflugkörpers mit Atomantrieb zu einer Explosion gekommen ist.

Von Internetseite entfernt

Die Stellungnahme der Sprecherin von Sewerodwinsk war am Freitag von der Internetseite der Stadtverwaltung genommen worden. Nach Medienberichten haben sich Anrainer in der Umgebung des Raketentestgeländes mit Jod eingedeckt. In mehreren Apotheken der beiden Hafenstädte Archangelsk und Sewerodwinsk sei Jod, das bei radioaktiver Verstrahlung helfen kann, bereits ausverkauft.

Fabrrim im HAfen von Severodvinsk
Reuters
Der Hafen der Stadt Sewerodwinsk. In Sewerodwinsk wurde auch erhöhte Radioaktivität gemessen.

Experten widersprechen offizieller Erklärung

Nach dem Unglück am Donnerstag hatte das russische Verteidigungsministerium betont, dass keine Schadstoffe ausgetreten seien. „Die Strahlenwerte sind normal“, hieß es in einer offiziellen Mitteilung. Die Stadtverwaltung Sewerodwinsk maß jedoch kurzzeitig erhöhte radioaktive Strahlung. Die Messwerte hätten sich aber bereits zu Mittag wieder normalisiert, hieß es am Donnerstag.

Ankit Panda vom Amerikanischen Wissenschaftler Verband sagte, bei der Explosion eines mit flüssigem Brennstoff angetriebenen Raketentriebwerks werde keine Radioaktivität freigesetzt. Er nehme an, es habe einen Unfall mit einem mit Atomenergie betriebenen Triebwerk gegeben. Auch ein zweiter von der Nachrichtenagentur Reuters befragter US-Experte vertrat diese Ansicht.

USA: Erklärung klingt unglaubwürdig

Ein Mitglied der US-Regierung erklärte, er werde weder bestätigen noch dementieren, dass es einen Unfall mit einem atomar angetriebenen Marschflugkörper in Russland gegeben habe. „Wir beobachten weiterhin die Vorgänge im entlegenen Norden Russlands, aber die Versicherungen Moskaus ‚Alles ist ganz normal‘ klingen für uns unglaubwürdig“, sagte der Regierungsmitarbeiter, der nicht genannt werden wollte.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte im März 2018 eine neue Generation von Marschflugkörpern angekündigt. Sie seien bereits 2017 getestet worden, hätten eine unbegrenzte Reichweite und seien unangreifbar für alle existierenden Raketenabwehrsysteme.

Testgelände für Raketen für Atom-U-Boote

In der Nähe der Hafenstadt Sewerodwinsk nahe Archangelsk befindet sich ein Gelände, auf dem Raketen für Atom-U-Boote getestet werden. Sewerodwinsk mit gut 180.000 Einwohnern liegt am Weißen Meer rund 1.300 Kilometer nördlich von der russischen Hauptstadt Moskau entfernt.

In Russland war es in den vergangenen Jahren immer wieder zu schweren Unfällen und Bränden bei Arbeiten an Atom-U-Booten gekommen. Im Dezember 2015 stürzte in einem Dorf in der Nähe von Sewerodwinsk eine Rakete bei einem Testflug in ein Wohngebiet. Im selben Jahr brach in der Werft der Hafenstadt ein Feuer bei Schweißarbeiten auf einem russischen Atom-U-Boot aus. Umweltschützer warnten damals, dass der Brand ein „Alarmsignal“ sei, und forderten eine Abkehr von der Atomkraft.