Leonardo DiCaprio
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Kurze Videos fürs Handy

Hollywoods liebstes Streamingprojekt

In den USA schlägt ein neuer Streamingdienst derzeit hohe Wellen: Quibi. Mit kurzen Videos fürs Smartphone will die Plattform ab 2020 zum Netflix für den kleinen Bildschirm werden. Abgesehen hat es der Dienst vor allem auf Millennials. Auch Hollywood-Größen scharen sich bereits darum – Zweifel an dem Projekt gibt es dennoch.

„Etwas Cooles aus Hollywood und dem Silicon Valley kommt“, so kündigen die Quibi-Macher den Start des neuen Dienstes an. Aufgebaut wird das Start-up vom ehemaligen Chef der Walt-Disney-Studios sowie DreamWorks-Gründer Jeffrey Katzenberg und der langjährigen eBay-Chefin Meg Whitman. Quibi steht für „Quick Bites“ oder „schnelle Happen“. Die Idee ist, hochwertige Serien in Folgen von höchstens zehn Minuten Länge exklusiv fürs Smartphones zu produzieren – seinen Machern zufolge eine Marktlücke.

Tatsächlich liegt der Fokus von Netflix und Co. nicht auf „mobile first“. Sie bieten Filme und Serien an, die oft zu lang sind, dass man sie auf dem Smartphone ansehen möchte. „Menschen schauen sich immer öfters Videos auf ihren Handys an, aber während des Tages haben sie keine Zeit, sich eine Stunde lang hinzusetzen und fernzusehen“, so Whitman, die bereits einige Projekte und Firmen im Silicon Valley leitete. Andererseits bieten Plattformen wie YouTube, IGTV und Facebook Watch zwar kurze, aber teils schlecht produzierte User-Clips an.

Quibi-Boss Jeffrey Katzenberg
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Quibi-Gründer Katzenberg gilt als bestens vernetzt in Hollywood

Hybridansatz als Alleinstellungsmerkmal?

Die Organisatoren der Fernsehmesse MIPTV in Cannes hatten zuletzt eine Studie in Auftrag gegeben, die ein erhebliches Wachstumspotenzial für das Streamen auf mobilen Endgeräten bestätigt: Demnach schauten etwa die zwischen 1995 und 2010 Geborenen im Schnitt 68 Videos pro Tag. Abgesehen hat es Quibi vor allem auf Menschen zwischen 25 und 35 Jahren.

Alleinstellungsmerkmal des Dienstes soll, neben der Länge der Videos, auch die Möglichkeit sein, problemlos zwischen zwei Videoversionen zu wechseln. Denn die Serien werden im Hochkant- und Querformat produziert. „Zudem bietet die Exklusivität für Smartphones weitere Vorteile: Filmregisseure können mit Smartphone-eigenen Layouts experimentieren, beispielsweise einem Facetime-Anruf“, heißt es in dem Onlinebranchenmedium Meedia.de.

Der Hollywood-Faktor

Mit dem Hybridansatz allein hervorzustechen scheint unwahrscheinlich. Die Macher des Dienstes bauen deshalb – wie die Streaming-Granden – auf Eigenproduktionen von und mit Hollywood-Stars. Dazu zählen Dokumentationen, Reality-TV-Shows, Dramen, Komödien und Nachrichtensegmente. Schauspieler Leonardo DiCaprio, Regisseur Antoine Fuqua („Training Day“) und Oscar-Preisträger Guillermo del Toro („Shape auf Water“) haben zugesagt, Inhalte zu produzieren.

Regisseur Steven Spielberg
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Steven Spielberg wurde für eine Horrorserie – die nur nachts angesehen werden kann – ins Boot geholt

Ebenso dabei ist laut US-Medien wie „Variety“ und „Hollywood Reporter“ Liam Hemsworth („Die Tribute von Panem“), der in einer noch titellosen Thriller-Serie die Hauptrolle eines todkranken Mannes spielen soll, der einen mysteriösen Auftrag annimmt, um damit die Versorgung seiner schwangeren Frau zu sichern. Der US-Komiker Kevin Hart wird im Zuge einer Comedy-Action-Serie zu sehen sein. Geplant sind auch Neuauflagen von Filmen wie „Wie werde ich ihn los – in 10 Tagen?“ oder „Auf der Flucht“.

Spielberg für Quibi und Apple – aber gegen Netflix

Darüber hinaus konnte Katzenberg Produzent und Regisseur Steven Spielberg von der Idee überzeugen. Spielberg („E. T. – Der Außerirdische“, „Der weiße Hai“) soll eine Horrorserie produzieren, die auf Wunsch des Regisseurs nur nachts angesehen werden kann. Dazu wird ein Timer programmiert, der erkennt, wann an einem Ort die Sonne untergegangen ist. Einige der zehn Folgen von „Spielberg’s After Dark“ sind bereits abgedreht.

Dass Spielberg mit gleich zwei Streamingdiensten – Quibi und auch Apple – zusammenarbeitet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn mit Netflix liegt Spielberg seit dem Oscar-Sieg der Netflix-Produktion „Roma“ im Clinch. Er forderte eine Regeländerung bei den Oscars, mit der Netflix von Einreichungen ausgeschlossen werden sollte.

100.000 Dollar pro Minute

Doch eine Hochglanz-App mit qualitativ hochwertigen und mit Stars besetzten Serien hat seinen Preis. Laut Katzenberg soll die teuerste Sendung des Dienstes gar 100.000 Dollar pro Minute kosten. Geldsorgen hat das Start-up aber derzeit nicht. In die Schlagzeilen kam es in US-Medien etwa damit, dass es mehr als eine Milliarde Dollar an Investorengeldern – unter anderem von den Filmstudios Walt Disney, Time Warner und 21st Century Fox – lukrieren konnte.

Ähnliches Konzept scheiterte bereits

Unumstritten ist die Idee eines Streamingdienstes ausschließlich fürs Smartphone aber keineswegs. US-Medien wie „Forbes“, „Los Angeles Times“, „Vulture“ und Digiday werden in dem Zusammenhang nicht müde, auf den gescheiterten Streamingdienst „Go90“ des Mobilfunkproviders Verizon zu verweisen. „Go90“ vertraute ebenso rein auf Videos für den kleinen Bildschirm – wurde aber nach drei Jahren und Kosten von über einer Milliarde Dollar eingestellt.

Skeptisch zeigen sich Fachleute laut „Forbes“ auch in puncto Abopreise. Diese sollen bei fünf Dollar monatlich mit Werbung und acht Dollar ohne Werbung liegen und somit vergleichsweise niedrig sein – allerdings ist die Zahl der Videos im ersten Jahr auf 7.000 begrenzt. Immerhin gibt es für Millennials, so „Forbes“, bereits massenhaft kostenlose Inhalte für mobile Endgeräte. Zum Vergleich: Netflix, das nicht nur auf das Smartphone beschränkt ist, kostet zwischen 7,99 Euro und 15,99 Euro.

Und überhaupt: „Interessieren sich Millennials überhaupt für A-Promis wie Guillermo Del Toro und Peter Farrelly?“, so Forbes. „Oder interessieren sie sich am meisten für die individuellen Serien und Inhalte?“ Als problematisch wird zudem gesehen, dass die Serien wegen der unterschiedlichen Hochkant- und Querversionen voneinander abweichen und Zuseher dadurch irritieren. Geplant ist beispielsweise, dass bei gewissen Szenen darauf hingewiesen wird, das Handy für ein optimaleres Seherlebnis zu drehen. „Ich denke das Publikum ist viel fauler, als man glaubt“, so ein Produzent gegenüber „Digiday“.

Stark umkämpfter Markt

„Der wahre Test findet statt, sobald der Service tatsächlich gestartet und in die Welt der On-the-go-Konsumenten eingebettet ist“, so Jason Squire, Professor an der University of Southern California. „Ob diese Konsumenten loyale Zuseher mancher dieser Shows werden oder ob sie regelmäßig auf die Seite zurückkommen – das ist ausschaggebend.“

Nicht zuletzt ist der Streamingmarkt stark umkämpft. Apple und Disney werden noch diesen Herbst auf den Markt kommen und starten damit einen Generalangriff auf Netflix, Amazon und Co. Nicht nur Disney, auch der zu AT&T gehörende Konkurrent WarnerMedia mit seinem Bezahlsender HBO („Game of Thrones“) und NBCUniversal haben Konkurrenzservices in der Pipeline. Und auch die bei Jugendlichen extrem beliebte Videoplattform YouTube hat bereits einen Premiumdienst mit eigens produzierten Inhalten.