Szene aus dem „Ibiza – Video“
Spiegel/Süddeutsche Zeitung/Harald Schneider
„Kronen Zeitung“ als „Hauptthema“

Tiefe Einblicke in Buch zu „Ibiza-Video“

Mit Spannung ist es erwartet worden, am Donnerstag wird es veröffentlicht: Die Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“, Frederik Obermaier und Bastian Obermayer, die das „Ibiza-Video“ zugespielt bekamen, bieten in ihrem Buch tiefe Einblicke in die Entstehung ihres Berichts und in den gesamten Inhalt des Videos. Sie zeigen, worum es an dem Abend vor allem ging: die „Kronen Zeitung“.

Der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und der damalige FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus fantasierten auf der Partyinsel nicht nur in den wenigen Minuten des veröffentlichten Videos über mögliche illegale Parteispenden, die Übernahme der „Kronen Zeitung“, die Verteilung von Staatsaufträgen und eine Teilprivatisierung des Wassers an russische Oligarchen: Es sei, so der Succus des Buches, an diesem Abend stundenlang und hauptsächlich über diese Dinge gesprochen worden. Am wichtigsten war Strache und Gudenus dabei der Zugriff auf die „Kronen Zeitung“. Das sei der „große Deal“ und das „Hauptthema“, wie Gudenus es laut Buch nannte.

Die Journalisten erklären in einem zweiten Erzählstrang sehr detailreich, aber unter absolutem Quellenschutz, wie die Zeitungsgeschichte entstanden ist – von der Kontaktaufnahme zum ersten Sichten des Materials, von den Zweifeln bis hin zur Konfrontation von Strache und Gudenus mit den Recherchen, und schließlich schildern sie auch die Folgen der Veröffentlichung.

„Krone“-Anteile von Funke-Gruppe und Dichand-Erben

An dem Abend im Sommer 2017 ging es laut den Autoren auf Ibiza schnell zur Sache: Die vermeintliche Oligarchennichte stellte Strache und Gudenus in Aussicht, Anteile an der „Kronen Zeitung“ schon sehr bald zu kaufen, und zwar von zwei der vier Dichand-Erben. Die Anteile der Funke-Gruppe wollte man sich über den Medienunternehmer Heinrich Pecina sichern und so das gesamte Boulevardblatt unter Kontrolle bringen. Zu Pecina habe man einen „sehr, sehr engen freundschaftlichen Zugang“ sagte Strache.

Das Video, über das Strache stolperte

Ex-FPÖ-Chef und -Vizekanzler Heinz-Christian Strache bot in dem geheim aufgezeichneten Video offen Deals mit Staatsaufträgen und mit Wasserprivatisierung an.

Der österreichische Investor Pecina spielt in der ungarischen Medienpolitik eine Schlüsselrolle: Er habe für Ministerpräsident Viktor Orban „alle ungarischen Medien der letzten 15 Jahre aufgekauft und für ihn aufbereitet“, behauptete Strache laut dem Buch. Gegenüber den Buchautoren dementierte Pecina allerdings sowohl die „Freundschaft“ als auch die Möglichkeit, „die ‚Kronen-Zeitung‘ in welcher Weise auch immer zu kontrollieren oder zu beeinflussen“. Strache prahlte an dem Abend jedenfalls mit seinem guten Kontakt zu Orban und meinte: „Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orban aufbauen.“

Auch Fernsehsender im Gespräch

Strache schätzte in dem Video, dass die Russin 240 Mio. Euro dafür würde zahlen müssen. Im Gegenzug würde sie „mit der Zeitung jeden Einfluss kriegen und eine Waffe in der Hand haben, dass alle dich schalten und walten lassen“.

Die Zeitung sei der „bestimmende Faktor am Zeitungsmarkt“, meinte Strache laut Transkript und sagte, wenn sie dann noch einen Fernsehsender in die Finger bekomme, bestimme sie alles. „Würden wir in einer Regierungsbeteiligung sein, würden wir uns sogar vorstellen können, einen Sender zu privatisieren“, sagte er bezugnehmend auf den ORF: „Wir könnten uns vorstellen, den ORF völlig auf neue Beine zu stellen.“

„Stundenlange Verhandlung“

Die beiden Journalisten, die alle Bild- und Tonaufnahmen aus Ibiza sehr genau kennen, stellen in dem Buch und auch in Interviews klar, „dass sich nicht nur einige wenige Unterhaltungen“ an diesem langen Abend „mit Politik und Gegengeschäften und Deals befassen, sondern der mit Abstand größte Teil – von Anfang bis Ende“. „Im Grunde wohnen wir per Video einer stundenlangen Verhandlung bei, in der beide Seiten immer wieder klarmachen, was sie sich davon versprechen. Die eine Seite, die Russin, verlangt die Zusage zur Korruption. Die andere will an die Macht und beendet deswegen das Treffen nicht.“

Journalist Obermaier über „Ibiza“-Buch

Frederik Obermaier ist einer der Journalisten, die das „Ibiza-Video“ veröffentlicht haben. Im Interview gibt Obermaier erste Einblicke, was die Leser erwartet.

Mysteriöse Geschichte über Bestechungsversuch

Strache versuchte laut den Journalisten einerseits, sich als Saubermann darzustellen, der nichts Illegales tut, kippte aber immer wieder ins Gegenteil. So stellte er dem Lockvogel staatliche Aufträge in Aussicht und erklärte ihr, wie man Parteispenden am Rechnungshof vorbeischleust, gleichzeitig wollte er aber nichts Ungesetzliches tun.

Seine „Unbestechlichkeit“ untermauerte er laut Buch an dem Abend zweimal mit einer „mysteriösen“ Geschichte. Ihm seien 2004 von „Systemvertretern“ 20 Millionen Euro angeboten worden, „wenn er nicht gegen die Regierung, damals FPÖ und ÖVP, angetreten wäre“, werden die Aussagen Straches im Buch zusammengefasst. Später sagte Strache laut Video, dass ihm das Geld versprochen worden sei, wenn er 2004 zu einem bestimmten Thema „die Goschn“ halte. Um was es genau gehen könnte, bleibt offen.

Strache hin- und hergerissen

Mehrmals betonte Strache laut den Autoren, dass alles legal sein müsse, und: „Wir haben kein Programm, das wir ausrichten nach Spendern. Die Spender spenden uns wegen unseres Programms.“ „Es scheint ein Kampf in ihm zu toben, Engelchen links, Teufelchen rechts, und so geht es hin und her“, beschreiben die Autoren Straches Verhalten. Denn dann wiederum versprach Strache laut Transkript Staatsaufträge: „Dann soll sie nämlich eine Firma wie die STRABAG gründen. Weil alle staatlichen Auftrage, die jetzt die STRABAG kriegt, kriegt sie dann.“

„What do you want?“

Gudenus argumentierte direkter: „What do you want?“, fragte er die vermeintliche Russin, was sie für ihr Geld haben wolle. Die FPÖ-Politiker und die Russin wurden sich am Ende nicht einig, weil sie ganz konkrete Zusagen verlangte, die beiden Männer ihr diese aber nicht gaben. Kurz bevor sie wegfuhren, schickte Strache Gudenus noch einmal ins Haus, um ein letztes Mal eine Einigung zu versuchen. Dort sagte Gudenus leise zur vermeintlichen Oligarchennichte: „Es ist möglich, nur er (Strache, Anm.) sagt es nicht, verstehen Sie?“

Journalisten trafen Lockvogel

Bei der Schilderung der Entstehungsgeschichte beschreiben die Journalisten, dass sie monatelang auf das Video warten und den Informanten immer wieder ihre Arbeitsweise erklären mussten. Sie führten umfangreiche Recherchen durch und wurden immer wieder von Zweifeln gepackt: Ist das Video echt? Würden sie von jemandem an der Nase herumgeführt? Sie beschreiben ihre Recherchen zur Prüfung der Echtheit des Videos. Und sie schildern – sehr vage – auch das Treffen mit der „Russin“, auf das sie bestanden hätten und das viele ihrer Bedenken ausgeräumt habe.

Sie hatten nach Eigenangaben lange Gespräche mit ihren Informanten und stellten dabei viele wichtige Fragen und bekamen darauf alle Antworten, die der breiten Öffentlichkeit noch immer unbekannt sind. So fragten sie, warum das Video erst zwei Jahre später publik wurde, wer der Auftraggeber war, wer die Idee dazu hatte, wer alles bezahlte, wer die Lockvögel waren und vieles mehr. Dem Leser bleiben diese Details allerdings verborgen. Der Quellenschutz steht für die Autoren an erster Stelle.

Einordnung statt neuer Enthüllungen

Detailliert beschreiben die Journalisten auch, wie sie Gudenus und Strache mit den Recherchen konfrontierten und deren Stellungnahmen einholten. In dem Teil, der am Wochenende vorab im „Standard“ publiziert wurde, schildern die beiden auch, dass ihre Zeitung praktisch gleichzeitig – Zufall oder nicht – von einem Hackerangriff betroffen war.

Und Obermaier und Obermayer berichten schließlich über die Reaktionen auf das Video, die politischen, über jene, mit denen sie privat konfrontiert wurden, und über die journalistischen. Und sie wundern sich, „wie aus Schilderungen Einzelner ohne Weiteres Fakten werden und wie viele Falschinformationen ihren Weg in die Presselandschaft finden“.

Neue Enthüllungen gibt es in dem Buch kaum – und wenn dann nur in – durchaus interessanten – Details. Vielmehr ordnen die beiden „Süddeutsche“-Journalisten aber das im Mai veröffentlichte Video und vor allem die Geschehnisse unmittelbar danach in einen Kontext, stellen Spekulationen richtig und ordnen sie politisch wie journalistisch ein.

Strache-Reaktion auf Buch

Strache liest das Buch als Entlastung seiner Person. Das Werk würde zu seinen Lasten getroffene Aussagen „rehabilitierend richtigstellen“ und insbesondere den Vorwurf der Korruption nicht erhärten, so Strache am Mittwoch. Für ihn ungünstige Passagen im Buch blendet er dabei allerdings aus.

Unerwähnt lässt Strache das zentrale Thema des „Ibiza-Videos“, nämlich den Kauf der „Kronen Zeitung“ durch die Oligarchennichte, den er und sein Begleiter Gudenus laut ihren Aussagen in dem Video unbedingt vorantreiben und unterstützen wollten, weil sie sich davon Unterstützung durch das auflagenstarke Blatt versprochen haben. Auch seine Aussagen zu illegalen Parteispenden erwähnt Strache in seiner OTS nicht.