Der britische Premier Boris Johnson und der französische Präsident Emmanuel Macron in Paris
Reuters/Gonzalo Fuentes
Johnson in Paris

„Backstop“ für Macron „unverzichtbar“

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson hat am Donnerstag seine Bemühungen um Änderungen am EU-Austrittsabkommen fortgesetzt. Bei seinem Antrittsbesuch beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris zeigte er sich optimistisch, dass es zu einem geregelten Brexit kommen werde. Macron sagte, es liege an Johnson, über das Schicksal Großbritanniens zu entscheiden – die EU sei auf jedes Szenario vorbereitet.

Vor einem gemeinsamen Mittagessen betonten Macron und Johnson die lange gemeinsame Vergangenheit der beiden Länder und die spezielle Beziehung zwischen London und Paris. Macron sagte, er „bereue“ die Entscheidung Großbritanniens, die EU zu verlassen. Aber man müsse dieses Ergebnis umsetzen. „Letztlich“, so Macron, bereite man sich auf alle Szenarien vor – und damit wohl auch auf einen ungeregelten Brexit.

Im Hinblick auf die Grenze zwischen Nordirland und Irland und den damit verbundenen „Backstop“, der eine Notlösung darstellt, sollte es zu keiner Einigung zwischen der EU und Großbritannien kommen, sagte Macron, dieser sei ein „Schlüsselelement“. Damit würde man den Frieden in Nordirland sicherstellen und die Integrität des Binnenmarktes wahren. Der „Backstop“ sei damit keine Formalie, sondern „wirklich unverzichtbar“, so Macron.

„Backstop“-Regel

Diese Regel galt als größter Kritikpunkt am Brexit-Paket der nunmehrigen Ex-Regierungschefin Theresa May. Sie sieht vor, dass Großbritannien mit der EU in einer Zollunion bleibt, wenn keine andere Vereinbarung getroffen wird. Hardliner eines Austritts fürchten eine Bindung an die EU auf unabsehbare Zeit.

Johnson fordert „Energie und Kreativität“

Johnson zeigte sich zuversichtlich, dass man ein Abkommen schließen werde – „Ich will einen Deal“, so die Forderung des britischen Premiers. „Mit Energie und Kreativität“ könne man einen gangbaren Weg für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger finden, sagte Johnson. „Was auch immer“ mit dem Brexit passieren werde, man wolle jedenfalls die wirtschaftlichen Beziehungen mit Frankreich stärken, so Johnson im Hinblick auf einen möglichen „No Deal“-Brexit. Gefragt nach dem „Backstop“ betonte Johnson mehrmals, dass er „keine Grenzkontrollen jedweder Art“ einführen werde.

Französischer Präsident Macron und englischer Premier Johnson, der sein Bein auf den Tisch stellt
AP/Christophe Petit Tesson
Fauxpas in Paris: Johnson stellte einen Fuß auf den Tisch

Bevor Macron und Johnson sich zu einem gemeinsamen Mittagessen verabschiedeten, sagte der britische Premier abschließend, dass man den Brexit über die Bühne bringen wolle: „Lasst uns nicht warten, lasst uns gleich beginnen“ – und: „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“, dem Macron entgegnete: „An die Arbeit.“

Für hämische Kommentare in Frankreich sorgte nicht nur Johnsons Versuch, den Brexit wieder verhandeln zu lassen. In den Sozialen Netzwerken sorgte vor allem Johnsons Benehmen bei dem offiziellen Anlass im Elysee für Kopfschütteln. Der britische Premier stellte bei seinem Antrittsbesuch einen Fuß auf einen Beistelltisch und ließ sich so fotografieren. Die User quittierten das mit dem Spitznamen „Boorish Johnson“: „boorish“ wird mit „flegelhaft“ übersetzt.

Johnson wirbt bei Macron für Neuverhandlungen

Für neuerliche Brexit-Verhandlungen sei nicht genug Zeit, meint Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ist für den 31. Oktober 2019 festgesetzt.

Aus dem Büro Macrons hieß es laut Reuters am Nachmittag, dass die Gespräche zwischen dem französischen Präsidenten und dem britischen Premier „konstruktiv“ gewesen seien. Man habe sich darauf geeinigt, die Gespräche zwischen London und der EU bis Ende September fortzusetzen und eine Lösung für den Brexit zu finden. Macron hatte aber schon am Vorabend klargemacht, dass er nicht viel von Johnsons Plänen zur Änderung des Brexit-Abkommens hält. Sollte es zu einem ungeregelten Ausscheiden Großbritanniens aus der EU kommen, sei das auf die Regierung in London zurückzuführen und nicht auf die Europäische Union.

Lösung in Irland-Frage für Merkel vorstellbar

Am Mittwoch traf Johnson bereits mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zusammen. Einmal mehr war das Thema in Berlin der „Backstop“. „Der ‚Backstop‘ weist große, große Mängel auf für ein souveränes, demokratisches Land wie das Vereinigte Königreich. Er muss einfach gestrichen werden“, so Johnson.

Merkel selbst zeigte sich recht zuversichtlich. Der „Backstop“ sei nur als Übergangsregel für die nicht endgültig gelöste Irland-Frage gedacht. Man sei bisher davon ausgegangen, eine endgültige Lösung in den nächsten zwei Jahren zu finden. „Aber man kann sie vielleicht ja auch in den nächsten 30 Tagen finden. Warum nicht? Dann sind wir ein ganzes Stück weiter“, sagte sie. Am Donnerstag stellte Merkel klar, dass die von ihr erwähnten 30 Tage „sinnbildlich“ gemeint gewesen seien. Großbritannien wolle am 31. Oktober austreten, sagte Merkel – bis dahin müsse eine Lösung angestrebt werden.

Merkel deutete weiter an, dass die Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland überflüssig würden und die Integrität des Binnenmarktes gewahrt werden könne. Allerdings erst dann, wenn klar sei, wie die künftige Beziehung zwischen Großbritannien und der EU aussieht.

Abkommen vs. Deklaration

Der „Backstop“ ist in dem bereits zwischen London und der EU ausgehandelten Austrittsabkommen festgeschrieben. Die EU will dieses nicht mehr aufschnüren. Zugeständnisse will man nur bei der – rechtlich nicht bindenden – politischen Deklaration über die künftige Zusammenarbeit zwischen London und der EU machen.

Vorschläge stoßen auf wenig Gegenliebe

Damit bleibt, rund zwei Monate vor dem geplanten Ausstieg aus der EU, der „Backstop“ weiter die große Hürde für London. Bereits am Montag adressierte Johnson einen Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk, in dem er die Streichung der Notlösung für die irische Grenze forderte.

Bis zum Ende einer Übergangsperiode sollen „alternative Vereinbarungen“ gefunden werden, die Grenzkontrollen überflüssig machen und Teil eines künftigen Handelsabkommens wären. Aus Brüssel hieß es jedoch, dass Johnson keine „realistischen Alternativen“ zur „Backstop“-Regelung biete.

Treffen mit Tusk bei G-7-Gipfel

Johnsons nächster Stopp wird nun der G-7-Gipfel im französischen Biarritz sein. Auch dort wird erwartet, dass er seine Forderungen nach einer Aufschnürung des Deals, den seine Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelt hatte, erneuert. Der „Guardian“ schrieb schon Anfang der Woche, dass Johnson der Öffentlichkeit demonstriere, an einem besseren Deal zu arbeiten. Sollte es zu keiner Einigung kommen, könnte Johnson der EU die Schuld zuschieben, London in einen „No Deal“-Brexit getrieben zu haben.

Am Wochenende wird Johnson nun mit Tusk reden. „Wir wollen Details“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen hochrangigen EU-Beamten, der im Vorfeld des Gipfels anonym bleiben wollte. Tusk werde bei dem Treffen mit Johnson jedenfalls im „Zuhörmodus“ sein, heißt es.