Live-Auftritt der Band Rammstein
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Rammstein in Wien

Zu nah am Feuer

Vor rund 50.000 Zuseherinnen und Zusehern hat die Deutschmetalschlagerband Rammstein ihr erstes von zwei Konzerten im Wiener Happel-Stadion gespielt. Gezündet hat vor allem der zweite Teil der Show, bei dem die Band ein routiniertes Hitfeuerwerk als Begleitmusik für eine Pyrotechnikvorstellung entfachte. Auch live zeigte sich: Ihr Spiel mit Zeichen und dem – metaphorischen und echten – Feuer bleibt kompliziert, auch wenn Rammstein da und dort deutlicher werden.

Bevor es zur Sache ging, durften als „Vorband“ zwei französische Pianistinnen genau 40 Minuten lang Rammstein-Hits irgendwo im Nirgendwo des Stadions klassisch interpretieren. Pünktlich um 20.30 Uhr ging es los, nach genau 90 Minuten war dann mal Schluss, ehe der Zugabenblock ebenfalls ziemlich genau 40 Minuten dauerte. Deutsche Gründlichkeit mit einem Schuss Management-Zickereien, die bei großen Acts schon seit Jahren überhandnehmen: Weder für ORF.at noch für die APA gab es eine Fotogenehmigung, die verwendeten Bilder sind vor Tourstart in Hannover im Juli aufgenommen worden.

Nach dem Auftaktsong „Was ich liebe“ wurde bei „Links 2 3 4“ schnell klar, was Rammstein ausmacht: Gitarrenwände, gerader Rhythmus, gemma. Mit vier zusätzlich im Publikum aufgestellten Lautsprechertürmen und eigenen Beschallungsmaßnahmen für die Sitzplätze ergab das einen für Happel-Stadion-Verhältnisse erstaunlich guten Sound, wenn man kurz ausblendet, dass die Höhen anfangs ordentlich klingelten und das Schlagzeug bei ruhigeren Passagen hinten per Hall mehrfach zu hören war.

Starker Anfang vor der Ebbe

Die Anfangseuphorie auch im Publikum verebbte dann ein wenig. Weil: Glanz und Elend des Alleinstellungsmerkmals, wenn der eigene Sound unverkennbar ist, dann klingt alles mitunter ein bisschen ähnlich. Und trotz nur sieben Alben: Nicht jeder Song kann, höflich formuliert, ein Heuler sein. Auch die angekündigte Pyroshow blieb bis auf einen Kracher zu Beginn aus: Hatte da jemand die Gasflaschen zu füllen vergessen?

Fotostrecke mit 6 Bildern

Live-Auftritt der Band Rammstein
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Bassist Oliver Riedel im schicken Spitzenstrumpf-Look. Alle Bilder stammen aus Hannover.
Live-Auftritt der Band Rammstein
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Richard Kruspe an der Gitarre, aufgenommen in Hannover
Live-Auftritt der Band Rammstein
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Lindemann in Schlangenleder (und in Hannover, haben wir das schon erwähnt?)
Live-Auftritt der Band Rammstein
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Christian „Flake“ Lorenz, der personifizierte Comic Relief der Band
Live-Auftritt der Band Rammstein
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Gitarrist Paul Lander, hier beim Rock ’n’ Roll in Hannover
Live-Auftritt der Band Rammstein
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Nochmal Riedel (in Hannover!)

Das Publikum schien sich jedenfalls während der gesamten Show einigermaßen zu amüsieren. Gerne und oft in die Trendfarben Schwarz und Schwarz nach 30-mal waschen gekleidet, gar nicht so männlich dominiert, wie man oberflächlich meinen hätte können. Rein optisch waren sämtliche Motorradclubs Österreichs vertreten, reine Herrenverbände akustisch gefühlt vor allem aus der Steiermark. Wieso auch immer.

Schwierige Sichtverhältnisse

Dass Rock, in welcher Spielform auch immer, an sich eher ein Nachwuchsproblem hat, ist bekannt. Das Publikum bewegte sich mehrheitlich zwischen 25 und 55 Jahren, öfter mal mit Ausreißern nach oben und weniger nach unten. Allerdings: Um sich die nicht ganz billigen Tickets leisten zu können, muss man eher im Erwerbsleben stehen.

Und an Bierpreise von sechs Euro hat man sich vielleicht bei solchen Events schon gewöhnt, bis vor einiger Zeit hätte man das als Wegelagerei bezeichnet. Geraunzt wurde wenig, auch nicht darüber, dass Lautsprechertürme, Mischpult und Nebenbühne jede Menge tote Winkel ohne Bühnenblick in den Stehplatzbereich brachten. Auch Großbildleinwände vom Bühnengeschehen: praktisch Fehlanzeige, was bei einer Band, die so sehr auf Optik setzt, seltsam anmutet.

Till Lindemann
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Sänger Till Lindemann beim Tourstart in Hannover

Kinder der DDR

Auf Optik haben sie von Anfang an gesetzt: 25 Jahre gibt es Rammstein mittlerweile. Aufgewachsen sind alle sechs Bandmitglieder in der DDR, in durchwegs – im Westen würde man sagen – bürgerlich-intellektuellen Familien, die musikalische Sozialisierung geschah in diversen Ostpunkbands. Immer wieder klingt in Interviews durch, dass Westdeutschland, oder die BRD, wie sie sagen, den mittlerweile doch nicht mehr ganz jungen Herren suspekt ist. Die Wendejahre schienen Phasen der Desorientierung gewesen zu sein. Doch dann: Till Lindemann wechselte vom Schlagzeug ans Mikrofon, und mit dem ausgedachten Konzept zog man den Jackpot: Schon das erste Album „Herzeleid“ schlug 1995 ein.

Das Spiel mit den Zeichen

Dabei sind die Zutaten jetzt nicht ganz abwegig: Textlich nehme man „schwarze Romantik“ mit Wut, Tod, Verlust, Trauer, Misanthropie, würze das mit „Huch!“-Sexspielarten und dann noch mit richtigen Pfui-Gack-Themen wie Inzest, Nekrophilie, Missbrauch und Kannibalismus. Optisch spielt man „Mad Max“ – und kann sich freuen, dass die Performancekunst-Gruppe Mutoid Waste Company bereits in den 80er und 90er Jahren die Mischung aus endzeitlichen Lederröcken, zusammengeschweißten Metallgefährten und Flammenwerfern auf Bühnentauglichkeit überprüft hatte. Auch und besonders in Berlin.

Vor allem aber jonglieren Rammstein seit Beginn mit Zeichen, die sie mehrdeutig einfach in den Raum stellen – mit jeder Textzeile, jedem Detail in den Musikvideos, sogar in Gesten und Bewegungen. Rammstein verweigern aber, eine Bedeutung mitzuliefern, und verschließen sich auch der Verantwortung für die Zeichen. Und, und vor allem: Immer wieder kreisen diese Zeichen um das wahrscheinlich größte deutsche Tabu: Nazis.

Erfolgreiche Empörungsbewirtschaftung

Lindemanns rollendes Führrerr-R beim Gesang ist da nur ein Bestandteil, der teutonische Gesamteindruck, immer wieder mehrdeutige Textzeilen und vor allem aber Anleihen bei einer zumindest kryptofaschistischen Ästhetik: Gekippt wäre das Spiel mit den Codes fast, als Rammstein die Depeche-Mode-Coverversion „Stripped“ im Video mit Szenen aus „Olympia“ von Leni Riefenstahl illustrierten. Gerettet hat sie vor allem eines: Dass Kultregisseur David Lynch für seinen Film „Lost Highway“ zwei Rammstein-Songs verwendete, verlieh ihnen das Pickerl „künstlerisch wertvoll“, in den USA wahrscheinlich sogar einen Avantgarde-Status.

Rammstein-Konzert in Hannover
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Auf der Bühne wird das Spektakel großgeschrieben – wie hier beim Tourauftakt

Ansonsten lief und läuft die gezielte Provokation nach Wunsch: Die Empörungsbewirtschaftung durch erregte Medien machten Rammstein nur noch bekannter. Dass dieses Spiel auch jetzt noch funktioniert, zeigte sich heuer bei der Single „Deutschland“. Vorab bekannt wurde von dem aufwendig produzierten Video einer Zeitreise durch die Jahrhunderte natürlich jene Szene, die die Bandmitglieder als KZ-Insassen zeigte.

Wer hat’s erfunden?

Das Spiel mit Nazi-Codes ruft freilich immer wieder Vergleiche mit der slowenischen Band Laibach hervor, die schon seit 1980 aktiv ist, wenn auch mit völlig anderen Vorzeichen. Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe meinte in einem Interview: „Ich kann mit diesem Intellekt, den Laibach benutzt, nichts anfangen.“ Umgekehrt nannten Laibach Rammstein „Laibach für Kinder“. Laibach betreiben mit Affirmation Subversion, haben also durchaus ein politisch-künstlerisches Ziel, während Rammstein vorgeben, sich rein der Ästhetik bedienen zu wollen. Und für welchen Zweck? Wohl für künstlerischen und damit kommerziellen Erfolg, was man wahrscheinlich im real existierenden Kapitalismus auch niemandem übel nehmen kann.

Naiv aus Prinzip

Die Argumente der Band sind, vorsichtig formuliert, mager. „Wir wollten nie für die Öffentlichkeit mitdenken“, sagten sie etwa in einem „Rolling Stone“-Interview heuer. Dass man das Wirken des eigenen Tuns zumindest ein wenig einschätzen kann, gehört eigentlich schon zum zivilisatorischen Grundkonsens. Und Lindemann sagte auch: „Wenn man seine Naivität verliert, zieht man ein Korsett an, aus dem man so schnell nicht mehr herauskommt. So kann sich Kunst nicht entfalten.“

Rammstein distanzieren sich verstärkt und durchaus plausibel, auch schon seinerzeit mit dem Song „Links 2 3 4“ – wenn auch mehrdeutig – von rechter Ideologie, und meinen, eher auf der anderen politischen Seite zu stehen. Das hält sie aber nicht davon ab, mit einschlägigen Zeichen zu kokettieren: So sind beim Konzert auf der Bühne und den Lautsprechertürmen rote Fahnen mit schwarzen Fragmenten zu sehen, die an was wohl erinnern?

Es geht auch deutlicher

Deutlicher werden Rammstein dann, wenn die Provokation mehr hergibt als das Spiel mit Mehrdeutigkeiten: Bei einem Konzert in Polen schwangen sie eine Regenbogenfahne, wenige Tage zuvor war eine Gay-Pride-Demo in der Stadt Bialystok auf Hooligans und Nationalisten attackiert worden. In Russland, wo es ebenfalls regelmäßig homophobe Übergriffe gibt, küssten die beiden Gitarristen einander auf offener Bühne.

Und bei einigen Konzerten, auch in Wien, wurden die Bandmitglieder nach einer Schlauchbootfahrt über das Publikum hinweg mit einem „Willkommen“-Schild – unter sehr lautem Jubel übrigens – auf der Bühne empfangen, wohl ein Statement zum Umgang mit Flüchtlingen.

Spätes Feuer

Eben jene Schlauchbootfahrt zu „Engel“ markierte auch den Übergang zu den Zugaben. Bereits zuvor hatten Rammstein ihre Hits – und die Pyroshow – ausgepackt. Ab „Mein Teil“ nach etwas mehr als einer Stunde nach Konzertbeginn erwachte das Stadion wieder zu vollen Kräften. Neue Songs wie „Radio“ wurden zwar wohlwollend aufgenommen, große Begeisterung gab es aber erst bei Hits wie „Sonne“, auch weil da wohl das volle Feuerprogramm im Stadion aufgefahren wurde. Und spät, aber doch wurde auch klar, was die zunächst noch sparsam genutzte, aber megalomanische, das Stadion überragende Bühne eigentlich kann. Zum Beispiel nicht nur weiß, rot und blau, sondern auch, so die Erkenntnis um 22.17 Uhr, grün leuchten.

Schlager, Schlager

Auch die Band schien ein wenig aus der Routine der notwendigerweise durchgetakteten Show aufzuwachen. Bei aller gestellten Härte, dem durchaus marschierenden Schlagzeug und Brettern der Gitarren wurde gerade live auch klar, dass man es hier – vor allem bei den Hits – mit Metal-Schlager zu tun hat: Der Schlager, eine Erfindung der österreichischen Musikkritik, heißt ja vor allem Eingängigkeit. Wechselt man das Definitionsmerkmal der heilen Welt in den Texten in das genaue Gegenteil: Voila. Und „Schlager“ würde sich auch perfekt in die Songtitelliste Rammsteins einfügen.

Ich reim dir was rein

Es ist im Übrigen ein großes Missverständnis, dass Rammstein-Texte, nur weil sie mehrdeutig sind, von manchen als besonders tiefgründig oder gar als große Lyrik eingeschätzt werden. Klar, Herr Lindemann hat auch schon Gedichtbände verfasst, wenn er nicht gerade mit seinem Kumpel Joey Kelly (ja, der aus der Kelly-Family) durch die Wildnis paddelt.

Zum größten Dichter deutscher Zunge (Grödidezu, um im Jargon zu bleiben) macht ihn das nicht, abgesehen davon ist ja Poesie an sich jetzt eher ein Nischenthema. Textprobe gefällig? Aus „Ausländer“: „Du kommen mit, ich dir machen gut.“ Ach Deutschland, noch immer Land der Dichter und Denker.

Es geht voran – ein bisschen

Immerhin: Offenbar versuchen es Rammstein zunehmend mit Selbstironie. Natürlich gab es Menschen, die Rammstein schon immer als eher satirisches Projekt sahen, auch weil die Band ja auch tief im Fundus des Rockkabaretts wühlt – aber auch dort wiederum nur die Zeichen und nicht die Bedeutungen verwendet. Metal und Ironie ist aber, bis auf sehr wenige löbliche Ausnahmen, eine schwierige Kombination: Kein Wunder, dass man die feine Klinge nicht so beherrscht, wenn man dauernd mit Bihänder und Flammenwerfer herumspielt.

Dass Humor mit Flammenwerfer nur so eine halbgute Idee ist, zeigte sich beim Song „Mein Teil“, in dem Lindemann dem in einem größeren Kannibalentopf sitzenden Keyboarder einheizt und ihn nachher noch mit einem größeren Flammenwerfer abzufackeln versucht. In die Konzertdramaturgie reißt das ein Riesenloch, aber sie machen es halt. Und: Das Publikum mit seiner Erwartungshaltung schaut wieder mal genauer auf die Bühne. Lustig?

Veranstaltungshinweis

Rammstein spielen am Freitag ein Zusatzkonzert in Wien. Am 25. Mai 2020 setzen sie ihre erste Stadiontour in Klagenfurt fort. Beide Konzerte waren, wie die gesamte Tour, binnen kürzester Zeit, ausverkauft.

Ach wie lustig

Den Humorbegriff der sechs Deutschen illustriert ganz gut das Video zur neuen Single „Ausländer“. Das fußt auf dem total originellen und völlig neuartigen Gedanken, dass jeder mal Ausländer ist, wenn er (er und nur er) auf Urlaub ist. Bei Rammstein muss es natürlich Sextourismus sein, und das Video dazu „thematisiert“, wie es heißt, das Thema Kolonialismus. Wenn dem so ist, so „thematisiert“ wohl auch jeder Porno die Frage der Geschlechterverhältnisse.

Als Satire funktioniert das „Ausländer-Video“ ungefähr so gut wie jede Satire, bei der man dazuschreibt, dass es Satire ist. Dabei könnte alles so einfach sein, nämlich auf einer ähnlichen musikalischen Schiene so oder vom Spin des Videos her so. Die kalkulierte Provokation erwies sich aber eher als Rohrkrepierer, in der Empörungsskala zählen Nazis offenbar mehr als Sexismus und Rassismus.

Aber, um mit den Stimmen der Besucherinnen und Besucher zu sprechen: Muss man das alles so eng sehen? Kann man nicht einfach Spaß haben? Kann man nach dem Konzert nicht einfach sagen: Es war toll? Kann man eh.