Wirtschaft

Deutschland, wo es reich und arm ist

Das deutsche Grundgesetz spricht im Artikel 72 von der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“, das Thema beschäftigt die Politik seit der deutschen Wiedervereinigung. Laut aktuellem „Teilhabeatlas Deutschland“ ist die Bundesrepublik davon aber noch weit entfernt.

Für die Studie hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung an die 400 Städte und Kreise anhand von acht Indikatoren untersucht. Dazu zählten die Lebenserwartung, kommunale Steuerkraft, die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher des Arbeitslosengeldes II (ALG II, Hartz IV), die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss, das jährlich verfügbare Haushaltseinkommen je Einwohner, das Wanderungssaldo der 18- bis 29-Jährigen, Internetkapazitäten sowie die Nahversorgung mit Alltagsgütern, öffentlichen Verkehrsmitteln und Dienstleistungen von Ärzten bis Schulen. Mit Hilfe der Statistiken von Bund und Ländern aus den Jahren 2013 bis 2017 errechneten die Autoren sechs Gruppen, jeweils drei Cluster für Stadt und Land.

Zu Cluster 1 zählen die reichen Großstädte München, Stuttgart, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Hamburg und Wolfsburg mitsamt ihren Speckgürteln. Insgesamt zählt die Studie fast 20 Kreise, oft in den Wirtschaftszentren der Bundesrepublik. Diese Regionen zeichnen sich durch sehr hohe Einkommen, sehr hohe Steueraufkommen, sehr viel Zuzug, eine sehr gute Nahversorgung, eine hohe Lebenserwartung, schnelles Internet und nur einen mittleren Anteil von Schulabbrechern und Hartz-IV-Beziehern aus.

Hartz IV als wichtiger Indikator

Als „ziemlich attraktiv“ klassifiziert der Atlas Cluster 2, das Großstädte wie Köln, Hannover, Dresden, Aachen, Potsdam und Jena umfasst – insgesamt rund 50 überwiegend kreisfreie Städte und Landkreise mit großen Kreisstädten.

Typisch für sie sind sehr viel Zuzug, hohe Steueraufkommen, eine sehr gute Nahversorgung und schnelles Internet. Es gibt aber lediglich mittlere Einkommen und eine mittlere Lebenserwartung. Die Zahl der Schulabbrecher liegt auch im Mittelfeld. Eine Hartz-IV-Quote von rund zehn Prozent weist allerdings bereits auf einige Problemlagen hin.

Harter Strukturwandel

Cluster 3 ist bereits eines mit „Problemzonen“ und steht für rund 50 fast ausschließlich kreisfreie Städte. Als typisch für die lange Reihe gelten zum Beispiel Berlin, Leipzig, Chemnitz, Erfurt, Bremen, viele Städte im Ruhrgebiet und Saarbrücken. Es sind vor allem Städte, die einen harten Strukturwandel hinter sich haben und bisher nicht zu den attraktiven Ballungsräumen aufschließen konnten.

Ähnliche Merkmale sind viel Zuzug, eine sehr gute Nahversorgung und schnelles Internet – aber auch sehr hohe Hartz-IV-Quoten, geringe Einkommen, nur ein mittleres Steueraufkommen, ein hoher Anteil an Schulabbrechern und geringere Lebenserwartung.

Die grünen Speckgürtel

Zu Cluster 4 zählen erfolgreiche ländliche Regionen. Die rund 90 Kreise liegen vorwiegend im wirtschaftsstarken Süden, in Baden-Württemberg und im Südwesten Bayerns. Im Norden finden sich nur vereinzelt Kreise im Speckgürtel größerer Städte, zum Beispiel im Rheinland und rund um Hamburg. In Ostdeutschland schafft es nur der Landkreis Dahme-Spreewald im Süden Berlins in diese Kategorie.

Typisch sind hohe Einkommen, ein hohes Steueraufkommen, eine geringe Harzt-IV-Quote, ein geringer Anteil an Schulabbrechern und eine hohe Lebenserwartung. Es gibt zwar schnelles Internet, aber wenig Zuzug und eine eher schlechte Nahversorgung.

Infrastruktur und Abwanderung

In Cluster 5 liegen ländliche Regionen mit vereinzelten Problemen. Als typisch gelten etwa die Landkreise Osnabrück und Oldenburg. Die rund 130 Kreise konzentrieren sich in Westdeutschland. In den östlichen Bundesländern fallen nur einzelne Kreise, die an Großstädte wie Berlin, Dresden und Leipzig angrenzen, in diese Kategorie.

Sie alle liegen bei Hartz-IV-Quoten, Einkommen, Steuern, Schulabbrechern, Internet und Lebenserwartung im mittleren Bereich. Es gibt eine leichte Abwanderung und nur eine sehr geringe Nahversorgung.

Die „abgehängten“ Regionen im Osten

„Abgehängt“ lautet das Fazit für das letzte Cluster, 6. Dieses umfasst Regionen mit sehr ungünstigen statistischen Daten. Die fast 60 ländlichen Kreise liegen überwiegend in Ostdeutschland sowie vereinzelt in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Kennzeichen sind eine hohe Hartz-IV-Quote, geringe Einkommen, geringes Steueraufkommen, ein sehr hoher Anteil von Schulabbrechern, eine geringe Lebenserwartung, starke Abwanderung, wenig Internet und eine sehr geringe Nahversorgung.