Szene aus dem Film „Late Night“
Centoix Film
„Late Night“

Emma Thompson im Haifischbecken

Haifischbecken Writer’s Room: In „Late Night – Die Show ihres Lebens“ spielt Emma Thompson das Talkshow-Urgestein Katherine Newbury – und „The Office“-Star Mindy Kaling als Molly Patel ihre vielversprechende Gagschreiberin.

Sie räuspert sich, strafft die Schultern, richtet den BH und tritt ins Scheinwerferlicht: Katherine Newbury (gespielt von Thompson) hat schon wieder einen Comedy-Preis bekommen. Seit 30 Jahren steht sie auf der Bühne, ihre Talkshow „Late Night with Katherine Newbury“ ist aus dem Business nicht wegzudenken, sie hat mehr Emmys zu Hause stehen als andere Leute Kaffeehäferl. Und trotzdem: Katherine ist ein Auslaufmodell.

Ihre Kollegen laden Superstars aus dem Showbiz in ihre Talkshows, Newbury hat lieber politische Schwergewichte auf ihrer Couch sitzen, und das passt der Senderchefin gar nicht. Was aber wirklich schlimm ist: Ihre Schmähs sind feige und altmodisch geworden. „Du hasst Frauen“, wirft ihr ein gekränkter Mitarbeiter entgegen, dem sie mit feministischen Argumenten eine Gehaltserhöhung ablehnt. Doch der Vorwurf trifft ins Schwarze: Alle ihre Gagschreiber sind weiße Männer, etwas Vielfalt würde einer zeitgemäßen Optik vielleicht nicht schaden.

Szene aus dem Film „Late Night“
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Newbury im Kreis ihrer (männlichen und weißen) Autoren

So richtig alt und weiß

„Stell mir eine Frau ein, egal welche“, weist Newbury daraufhin ihren Assistenten an. Und so wird statt des kleinen pickeligen Bruders eines der bisherigen Autoren unerwartet Molly Patel (gespielt von Kaling) eingestellt. Molly hat bisher privat Stand-up-Comedy gemacht und ansonsten in einem Chemiewerk gearbeitet. Sie hat zwar kaum Erfahrung, aber sie ist eine Frau, noch dazu mit indischen Wurzeln – gar nicht schlecht, so von der Optik her.

Die Komödie „Late Night – Die Show ihres Lebens“ unter der Regie von Nisha Ganatra ist aus dem Leben gegriffen: Die Komikerin Kaling ist nicht nur zweite Hauptdarstellerin, sondern auch Autorin des Films und kann auf 15 Jahre Erfahrung in Autorenteams zurückblicken. Mit dieser Erfahrung schreibt sie Dialoge wie folgenden: „Sie sind ein bisschen alt und ein bisschen weiß.“ – „Dagegen kann ich aber nichts tun. Also bin ich eben so richtig alt und weiß!“

Die Quote wirkt

Die Quotenfrau sein oder, noch schlimmer, die Quotenmigrantin, die alle der Inkompetenz verdächtigen – Kaling kennt dieses miese Gefühl gut. Sie selbst wurde mit Mitte 20 als Teil eines Diversity-Programms von NBC ins Autoren- und Darstellerteam der Serie „The Office“ aufgenommen und sagt, sie habe sich jahrelang dafür geniert – aber sie sei heute heilfroh darüber. Eine Szene bringt das auf den Punkt, in der Patel ihrer Chefin vorwirft, sie habe sie nur eingestellt, weil sie mehr Diversität im Team gebraucht hatte. „Das stimmt zwar“, antwortet die, „aber Tatsache ist: Jetzt bist du da. Mach etwas daraus.“

Szene aus dem Film „Late Night“
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Newbury und „Quotenfrau“ Patel (Kaling)

Kaling hat aus ihrer Chance einiges gemacht: Für „The Office“ bekam sie mehrere Auszeichnungen, sie hatte ihre eigene Comedy-Serie „The Mindy Project“, und letztes Jahr war sie eine aus dem Team von „Ocean’s 8“. „Late Night“ ist nun ihr erstes Filmdrehbuch, Kaling hat auch produziert, und nach der Premiere beim Sundance Festival wurde der Film mit Rekordgewinn an Amazon Studios verkauft.

Mehr Biss, bitte

Der Erfolg liegt auch am Team: Die kanadische Regisseurin Ganatra kennt sich bestens aus mit Stand-up-Comedians, sie hat mehrfach mit der legendären Komikerin Margaret Cho zusammengearbeitet und führt immer wieder Regie bei Fernsehserien, die Diversität in der amerikanischen Gesellschaft thematisieren, von „Transparent“ bis „Dear White People“.

Szene aus dem Film „Late Night“
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Komikerin Kaling – „Late Night“ ist aus dem Leben gegriffen

Und dann ist da noch die fantastische Emma Thompson in der Rolle der arroganten Talkshow-Moderatorin, die nach viel Hin und Her endlich wagt, mit von Patel geschriebenen riskanten Witzen etwa über Abtreibungsgegner – „Ich hätte nie gedacht, dass ich das sage, aber ich bin echt froh, in der Menopause zu sein!“ – wieder Kante zu zeigen.

Doch gerade diese Kante fehlt dem Film über weite Strecken. Die bissigen Momente, rasanten Dialoge und bitteren Wahrheiten sind eingebettet in eine allzu nette Geschichte von zwischenmenschlicher Reife und Versöhnung. „Late Night“ vertraut nicht auf den Reiz der Talkshow-Welt und wagt keinen wirklich schmerzhaften Sarkasmus. Happy End, schön und gut – aber „Late Night“ fühlt sich an wie eine verpasste Gelegenheit.