Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam
Reuters/Kai Pfaffenbach
Geleakte Tonaufnahme

Zerreißprobe für Hongkongs Regierung

Eine am Montag geleakte Tonaufnahme zeigt das Dilemma von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam, den seit drei Monaten anhaltenden Konflikt mit den Zehntausenden Demonstrierenden zu lösen. Deutlich wird darin, wie gering offenbar der von Peking akzeptierte Handlungsspielraum von Lam ist. Von Peking hieß es am Dienstag, Lam habe volle Unterstützung.

Lam selbst ging am Dienstag mit einer Erklärung in die Offensive, in der sie jegliche Rücktrittsabsicht vehement dementierte: „Ich habe in den vergangenen drei Monaten wiederholt gesagt, dass ich und mein Team bleiben sollten, um Hongkong zu helfen.“ Sie habe es „nicht einmal in Erwägung gezogen“, mit der chinesischen Regierung über einen Rücktritt zu diskutieren. „Der Konflikt, dass ich zurücktreten möchte, aber nicht kann, existiert nicht.“

Damit versuchte sie sich offenbar in Schadensbegrenzung. Am Montag hatte die Nachrichtenagentur Reuters aus einer geleakten Tonaufnahme zitiert. Darauf war Lam vergangene Woche vor einer Runde von Unternehmern zu hören: „Wenn ich eine Wahl hätte, wäre es das Erste zurückzutreten, sich aufrichtig zu entschuldigen“, sagte Lam auf Englisch laut diesem Audio. Es sei „unverzeihlich“ für eine Regierungschefin, dieses große Chaos in Hongkong verursacht zu haben.

„Sehr beschränkte“ Möglichkeiten

Sie habe aber laut der Tonaufnahme „sehr beschränkte“ Möglichkeiten, die Krise in Hongkong zu lösen, da sie „zwei Herren“ diene. Denn die Massendemonstrationen seien für die Regierung in Peking eine Angelegenheit nationaler Sicherheit und Souveränität geworden. Die Angelegenheit sei auf eine „nationale Ebene“ gehoben worden.

Pressekonferenz von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam
Reuters/Kai Pfaffenbach
Lam bei ihrer Presseerklärung am Dienstag: „Keine Rücktrittsabsichten“

Lam dementierte am Dienstag zwar Rücktrittsabsichten, leugnete aber die Existenz des Audios nicht. Drei Beteiligte dieses Hintergrundgesprächs bestätigten zudem Lams Äußerungen. Hongkongs Regierungschefin zeigte sich enttäuscht, dass die Aussagen an die Öffentlichkeit gelangt waren. Sie betonte in ihrer Erklärung aber auch, dass ihre Regierung das Vertrauen von Peking habe, selbst die Unruhen in Hongkong zu lösen. Anders sieht das der in Hongkong für Sicherheit zuständige Minister John Lee Ka Chiu. Die chinesische Sonderverwaltungszone sei „nahezu außer Kontrolle“.

Schüler und Studenten streiken

Die politische Krise in Hongkong verschärft sich zunehmend. Seit drei Monaten halten die Proteste an. Zunächst richteten sie sich vor allem gegen eine von Lam eingebrachte Gesetzesvorlage, mit der Auslieferungen von Hongkong an Festland-China ermöglicht werden sollten. Ein stärkerer Einfluss Chinas auf Hongkong wurde befürchtet. Dieser Entwurf wurde auf Eis gelegt, die Forderungen der Demonstrierenden weiteten sich inzwischen auf demokratische Reformen und Lams Rücktritt aus.

Am Dienstag setzten Zehntausende Schüler, Schülerinnen und Studierende die Proteste fort und boykottierten den zweiten Tag nach den Sommerferien den Unterricht. Schwarz gekleidete Demonstranten blockierten auch am Montag zudem im morgendlichen Berufsverkehr die Türen zahlreicher U-Bahnen und hielten sie so von der Weiterfahrt ab. Tausende Studenten boykottierten die Lehrveranstaltungen, Schüler bildeten Menschenketten.

Demonstration in Hongkong
AP/Kin Cheung
Tausende Schüler und Studenten setzten ihren Unterrichtsboykott am Dienstag fort

Schlagstöcke und Tränengas gegen Proteste

Die Hongkonger Polizei setzte in den vergangenen Wochen mehr und mehr auf Gewalt in ihrer Reaktion auf die Proteste. Seit Juni wurden bereits über 1.100 Teilnehmer und Teilnehmerinnen festgenommen. Erst am Wochenende gab es zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräfte die bisher schwersten Zusammenstöße. Die Polizei setzte Tränengas, Schlagstöcke und Wasserwerfer mit blauer Farbe gegen die Demonstranten ein. Aufgrund der Belagerung des Flughafens am Sonntag mussten mehrere Flüge gestrichen werden.

Peking verurteilt die Proteste und wirft ausländischen Regierungen vor, die Unruhe zu schüren. „Die gegenwärtigen Demonstrationen in Hongkong haben komplett den Rahmen der Freiheit, sich zu versammeln und zu protestieren, verlassen und sich zu extremer Gewalt entwickelt“, sagte etwa Außenamtssprecher Geng Shuang mit Blick auf die Proteste vom Wochenende in Peking.