Wegweisender „Cum-Ex“-Strafprozess gestartet

In dem milliardenschweren „Cum-Ex“-Steuerskandal hat in Deutschland ein wegweisendes Gerichtsverfahren begonnen. Die beiden Angeklagten, zwei ehemalige Aktienhändler, erschienen gestern vor dem Bonner Landgericht.

Das Geschäftsmodell der beiden habe „auf der betrügerischen Erlangung von Steuergeldern basiert“, sagte Staatsanwältin Anne Brorhilker bei der gut zweistündigen Verlesung der Anklageschrift. Es ist der erste Strafprozess gegen „Cum-Ex“-Akteure. Damit hat er große Bedeutung für die Aufarbeitung des Skandals. Erstmals könnte von einem Gericht festgestellt werden, dass „Cum-Ex“ eine Straftat ist.

Schwere Steuerhinterziehung

Den beiden Briten wird besonders schwere Steuerhinterziehung vorgeworfen, von 2006 bis 2011 sollen sie laut Anklageschrift einen Steuerschaden von rund 440 Millionen Euro verantwortet haben. Die beiden Beschuldigten im Alter von heute 41 und 38 Jahren sollen in dem Zeitraum mit einem Verwirrspiel von Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch rund um einen Zahlungsstichtag dafür gesorgt haben, dass die Finanzämter Steuern mehrfach erstatteten.

Die beiden Angeklagten waren damals zunächst bei der HypoVereinsbank in London tätig. Der 41-Jährige machte sich 2008 mit einer Finanzgesellschaft selbstständig, zu welcher der 38-Jährige ein Jahr später als Angestellter wechselte.

Dreiste Abzocke oder Straftat?

Im Vorfeld des Prozesses hatten sie gegenüber der Staatsanwaltschaft ausgepackt. Dass sie an den „Cum-Ex“-Geschäften mitgewirkt haben, ist also unstrittig. Offen ist aber, ob sie das gutgläubig taten – also im Glauben, eine deutsche Gesetzeslücke zu nutzen; oder ob sie das mit Vorsatz taten – im Wissen, dass es bei ihrem Geschäft einer doppelten Steuererstattung unmöglich mit rechten Dingen zugehen kann.

Tatsächlich ist bis heute nicht geklärt, ob „Cum-Ex“-Geschäfte nur dreist oder eine Straftat waren. Diese Frage will das Landgericht in dem Mammutverfahren beantworten, für das 32 Verhandlungstage geplant sind. „Cum-Ex“ sei eine „sehr komplizierte Materie“, betonte der Vorsitzende Richter Roland Zickler.

Schaden in Milliardenhöhe

Das Urteil ist für den 9. Jänner 2020 geplant. Danach dürfte ein Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof folgen – eine höchstrichterliche Klärung des Sachverhalts wird nicht vor Ende 2020 erwartet. Danach wiederum dürften zahlreiche weitere Verfahren gegen andere „Cum-Ex“-Akteure starten.

Die Ausmaße von „Cum-Ex“ sind gewaltig. Nach Zahlen des Finanzministeriums gehen Ermittler 499 Verdachtsfällen mit einem Volumen von 5,5 Milliarden Euro nach. Davon seien bisher 2,4 Milliarden Euro an Kapitalertragsteuer erfolgreich zurückgefordert oder gar nicht erst ausgezahlt worden.

Experten gehen von einem noch höheren Schaden aus: Deutschen Finanzämtern sind nach Berechnungen des Steuerexperten Christoph Spengel von der Universität Mannheim zwischen 2001 und 2016 mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen.