Palace of Westminster, Sitz des britischen Parlaments in London, bei Nacht
Reuters/Luke MacGregor
Keine Mehrheit für Neuwahl

Britisches Parlament nun in Zwangspause

Das Unterhaus im britischen Parlament hat in der Nacht zum Dienstag einem Neuwahlantrag von Premier Boris Johnson eine klare Absage erteilt. Für das britische Parlamant gibt es nun fünf Wochen Zwangspause. Eine Neuwahl vor dem geplanten Brexit-Datum am 31. Oktober steht damit wohl nicht mehr zur Debatte. Die nächste Parlamentssitzung gibt es am 14. Oktober.

Bevor sich das Parlament in die, auf Initiative Johnsons verlängerte herbstliche Sitzungspause verabschiedete, gab es noch eine heftige Debatte. Ein sichtlich wütender Johnson warf den Abgeordneten dabei vor, den Brexit ohne Grund hinauszögern zu wollen. Er empfahl den Abgeordneten zudem, die kommenden Wochen zum Nachdenken zu nutzen. Laut Johnson werde seine Regierung in der Zeit der Zwangspause weiterarbeiten – erklärtes Ziel bleibe ein Brexit mit Abkommen. Großbritannien werde aber auf alle Fälle am 31. Oktober die EU verlassen – notfalls eben ohne Deal.

Das Unterhaus hatte Johnson bereits vergangene Woche mit seiner Forderung nach einer Neuwahl auflaufen lassen. Diesmal stimmten 293 Abgeordnete für die den neuerlichen Anlauf des konservativen Regierungschefs und 46 dagegen – 303 gaben keine Stimme ab. Für die von Johnson anvisierte Neuwahl wären 434 Stimmen notwendig gewesen.

Das neuerliche Scheitern an der Zweidrittelmehrheit zeichnete sich bereits vor Johnsons Neuwahl-Antrag und dann auch in der Debatte darüber ab. Geht es nach Labour-Chef Jeremy Corbyn werde es keine Neuwahl geben, so lange ein ungeregelter EU-Austritt weiter auf dem Tisch liegt. So wie andere Oppositionsvertreter kündigte dann etwa auch die schottische Abgeordnete Jo Swinson von den Liberaldemokraten ihr Nein zum Neuwahlantrag an.

Parlament will Einblick in Brexit-Planspiele der Regierung

Im Brexit-Poker haben die britischen Abgeordneten zuvor noch mit einer unerwarteten Karte überrascht. Konkret wurde ein Beschluss mit 311 zu 302 Stimmen angenommen, mit dem man nun die Regierung auffordert, Dokumente über die Planungen für einen EU-Austritt ohne Abkommen herauszugeben – ebenso wie über die unmittelbar nach der noch laufenden Parlamentsdebatte anstehende Zwangspause des Parlaments.

Kritiker werfen Johnson vor, die Parlamentspause taktisch eingesetzt zu haben, um die Handlungsfähigkeit der Abgeordneten vor dem geplanten EU-Austritt am 31. Oktober einzuschränken. Nun wollen sie die Kommunikation von Regierungsmitarbeitern im Vorfeld der Entscheidung sehen, bis hin zu privaten E-Mails und Nachrichten aus WhatsApp und ähnlichen Messenger-Diensten.

Auch die Planungen für einen Brexit ohne Abkommen in der „Operation Yellowhammer“ sollen nach dem Willen der Parlamentarier bis zum 11. September offengelegt werden. Ob die Regierung der Forderung nachkommen wird, bleibt offen. Unklar ist, welche Zwangsmittel die Abgeordneten haben, um ihre Forderung durchzusetzen.

Spekulationen über Schlupflöcher

Wie erwartet ist zuvor ein „No Deal“-Gesetz in Kraft getreten. Königin Elizabeth II. habe das Gesetz gebilligt, teilte der Vorsitzende des britischen Oberhauses mit. Es war vergangene Woche im Eiltempo durch beide Parlamentskammern gepeitscht worden. Das Gesetz sieht vor, dass der Premierminister eine Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden Brexit-Frist beantragen muss, wenn bis zum 19. Oktober kein Austrittsabkommen ratifiziert ist.

Johnson lehnt eine Verlängerung jedoch kategorisch ab und daran hat auch das nun in Kraft getretene Gesetz nichts geändert. „Ich werde nicht um eine weitere Verschiebung bitten“, wie Johnson dazu in der Nacht auf Dienstag im Unterhaus sagte. Er werde demnach weiter den EU-Austritt seines Landes vorbereiten – „hoffentlich mit einem Abkommen, nötigenfalls aber ohne“.

Die Abgeordneten zeigten sich über Johnsons Ankündigung empört. Angesichts des damit im Raum stehenden Gesetzesverstoßes wird von Beobachtern aber auch bereits heftig über Johnsons Optionen spekuliert. James Cook von der BBC brachte in diesem Zusammenhang etwa auch einen Rücktritt Johnsons vom Amt des Premierministers ins Spielt

„Ich will einen Deal“

Auch bei einem Besuch in Irland sagte Johnson, dass er einen geregelten Brexit seines Landes zum 31. Oktober wolle. „Ich will einen Deal erreichen“, so Johnson bei dem Treffen mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar in Dublin. Dies solle ohne die Einrichtung einer festen Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland möglich sein. Wie das umgesetzt werden soll, verriet Johnson allerdings nicht.

Der irische Premierminister Leo Varadkar und der britische Premierminister Boris Johnson
Reuters/Niall Carson
Der irische Premier Leo Varadkar und Johnson geben einander die Hand – sind aber weiterhin geteilter Meinung

Brüssel und Dublin fordern eine Garantie dafür, dass Kontrollposten an der Grenze zu Nordirland nach dem Brexit vermieden werden. Denn das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren. Bis eine andere Lösung gefunden wird, sollen für Nordirland weiter einige Regeln des Binnenmarkts gelten und ganz Großbritannien in der Europäischen Zollunion bleiben.

Diese „Backstop“ genannte Lösung lehnt Johnson jedoch strikt ab. Er sieht in der Klausel ein „Instrument der Einkerkerung“ Großbritanniens im Orbit der EU. Varadkar betonte jedoch am Montag: „Für uns gibt es keinen Deal ohne Backstop.“ Varadkar warnte, ein EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen sei alles andere als ein „klarer Bruch“.

Bercow kündigt Rücktritt an

Fest steht unterdessen eine Personalie im britischen Unterhaus: Dessen Sprecher John Bercow kündigte am Montag in einer emotionsgeladenen persönlichen Mitteilung seinen Rücktritt bis spätestens 31. Oktober an. Seine Amtszeit könnte allerdings auch früher enden, sollten die Abgeordneten über eine vorgezogene Neuwahl stimmen. Seine Amtszeit als Sprecher und als Abgeordneter enden, wenn dieses Parlament endet, wie Bercow dazu sagte.

Der Sprecher des britischen Unterhauses, John Bercow, mit Tränen in den Augen
APA/AFP/PRU

Bercow hatte sich in der Auseinandersetzung um den Brexit zwischen Regierung und Parlament immer wieder für die Rechte der Abgeordneten eingesetzt und legte die üblicherweise wenig bedeutungsvolle Rolle des Präsidenten sehr weit aus. So stoppte er Anfang des Jahres mit einem jahrhundertealten Gesetz den Versuch der damaligen Regierung, das Gesetz über den Vertrag für den EU-Ausstieg immer wieder dem Parlament vorzulegen. Zudem prägte Bercow die meist turbulent verlaufenen Brexit-Debatten der letzten Monate mit seinen Aufrufen zur Ordnung – sein „Order, Order“ wurde geradezu legendär.