John Bercow
APA/AFP/UK PARLIAMENT/Jessica Taylor
Brexit

Parlamentspräsident droht Johnson

Die Hürden für den britischen Premier Boris Johnson, den Austritt aus der EU in jedem Fall am 31. Oktober zu vollziehen, werden immer höher. Nun hat Parlamentspräsident John Bercow den Premier explizit gewarnt, das Parlament zu umgehen. In die Verhandlungen Londons mit der EU kommt unterdessen Bewegung.

Er werde das auf jeden Fall verhindern. „Sollte ich mich darin bisher nicht ganz unmissverständlich ausgedrückt haben, so lassen Sie es mich jetzt ganz klar sagen: Die einzige Form des Brexits, wann immer er eintritt, wird ein Brexit sein, den das Unterhaus explizit gutgeheißen hat“, so Bercow laut der britischen Tageszeitung „Guardian“ in einer Rede.

Bercow hat angesichts der in jedem Fall bevorstehenden Neuwahl bereits seinen Rücktritt angekündigt – allerdings erst mit 31. Oktober, dem von Johnson angepeilten Austrittsdatum. Insofern bleibt dem Premier in der entscheidenden Phase – das Parlament kommt nach der von Johnson erzwungenen Pause geplanterweise am 14. Oktober wieder zusammen – einer seiner wichtigsten Kontrahenten erhalten.

„Prozedurale Kreativität“

Bercow warnte den Premierminister, er werde nötigenfalls „zusätzliche prozedurale Kreativität“ zulassen, sollte Johnson versuchen, die ihn bindenden Gesetze zu umgehen. Gegen Johnsons Willen hatte die Opposition gemeinsam mit einigen Torys ein Gesetz beschlossen, das die Regierung zu einer weiteren Brexit-Verschiebung zwingt, wenn es bis zum 19. Oktober keinen Deal mit der Europäischen Union geben sollte.

Wenn Johnson versuchen sollte, das „No Deal“-Gesetz zu umgehen, „kann ich mir vorstellen, dass das Parlament das verhindern wird wollen. (…) Weder die Einschränkungen durch die bestehenden Regeln noch der knappe Zeitrahmen werden es daran hindern“, so Bercow in seiner Rede in London.

Boris Johnson
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
Die Optionen für Johnson werden weniger

Zentrale Rolle im Machtkampf

Parlamentspräsident Bercow spielt eine zentrale Rolle im Machtkampf zwischen dem Parlament und der Regierung. Er erlaubte den Abgeordneten mehrfach, entgegen den Konventionen die Kontrolle des Parlamentskalenders zu übernehmen und damit gegen den Willen der Regierung Gesetzesvorlagen einzubringen. Die von Johnson auferlegte umstrittene fünfwöchige Zwangspause des Parlaments kritisierte er scharf.

Bercow sprach sich auch dafür aus, Großbritannien sollte eine geschriebene Verfassung erhalten. Das könnte Amtsverstöße durch die Regierung und eine Verfassungskrise vermeiden helfen. Derzeit kämpft die Regierung als Exekutive offen mit dem Parlament, der Legislative, darum, welche Seite das Sagen beim Brexit hat. Mittlerweile liegen zwei widersprüchliche Gerichtsurteile vor – nun muss das Höchstgericht entscheiden. Welche langfristigen Folgen eine Entscheidung durch die Judikative in einer solchen Grundsatzfrage der Machtverteilung zwischen exekutiver und legislativer Gewalt hat, ist offen, aber jedenfalls ein Krisenzeichen.

Johnson trifft Juncker

Nachdem in den letzten zwei Wochen die innenpolitische Auseinandersetzung im Zentrum stand, kommt nun wieder Bewegung in die Verhandlungen Londons mit der EU. Am Montag wird Johnson EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Luxemburgs Premier Xavier Bettel in Luxemburg treffen. Juncker sagte im Vorfeld des Gesprächs mit Johnson, dass der Brexit der „Höhepunkt einer kontinentalen Tragödie“ sei. Er sei der Problemlage, die es in Europa gebe, nicht angemessen, sagte Juncker in einem Interview des Deutschlandfunks. Der Austrittsvertrag könne nicht wieder aufgemacht werden, so Juncker.

Johnson zeigte sich am Freitag dennoch „vorsichtig optimistisch“ bezüglich einer Verhandlungslösung. Es habe „viele Fortschritte“ gegeben und es sei „der grobe Umriss eines Abkommens“ zu erkennen.

Irlands Regierungschef Leo Varadkar äußerte sich hingegen pessimistischer. Zwischen Brüssel und London klaffe nach wie vor eine „sehr große Lücke“, sagte Varadkar dem irischen Radiosender RTE. Der irische EU-Kommissar Phil Hogan betonte am Freitag, das „No Deal“-Gesetz des britischen Parlaments habe die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Brexit ein weiteres Mal verschoben werde, so Hogan. Es sei die Aufgabe Londons, eine Alternative zum ungeliebten „Backstop“ an der inneririschen Grenze zu finden.

Johnson muss Lügenvorwurf dementieren

Erst am Donnerstag hatte sich Johnson zu einer öffentlichen Klarstellung genötigt gesehen, nachdem sich zuvor ein schottisches Gericht der Auffassung der Johnson-Kritiker angeschlossen und die Zwangspause des Parlaments für unrechtmäßig erklärt hatte. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass Johnson tatsächlich der Kontrolle durch das Parlament entgehen wollte.

Sein Ratschlag an Königin Elizabeth II. sei mit der Absicht erfolgt, die Abgeordneten im Brexit-Streit kaltzustellen. Das wies Johnson am Donnerstag in London weit von sich: Er habe die Queen nicht belogen. Das Gericht kündigte an, die Zwangspause – die eigentlich erst am 14. Oktober enden soll – für „null und nichtig“ zu erklären.

Aufregung um „Yellowhammer“

Außerdem publizierte die britische Regierung auf Druck des Parlaments ein internes Papier für den Fall eines ungeregelten Brexits. Das am Mittwochabend veröffentlichte „Yellowhammer“-Dokument war bereits im August an die Presse durchgesickert und enthält Prognosen darüber, was bei einem Brexit ohne Abkommen passieren dürfte. Das Szenario geht auch von Unruhen aus. Johnson versuchte zu beschwichtigen: Es sei das schlimmstmögliche Szenario, dieses werde aber nicht eintreten.