Xavier Bettel
AP/Olivier Matthys
Demo bei Pressetermin

Luxemburgs Premier ließ Johnson auflaufen

Der britische Premierminister Boris Johnson hat bei seinen Brexit-Gesprächen in Luxemburg eine geplante Open-Air-Pressekonferenz mit dem dortigen Regierungschef Xavier Bettel ausfallen lassen. Bettel trat nach einem Treffen mit Johnson am Montag alleine vor die Mikrofone, nachdem sich in der Nähe eine kleine Gruppe lautstarker Brexit-Gegner eingefunden hatte. Johnson wollte den Termin nach innen verlegen lassen – doch Bettel ließ ihn auflaufen.

Johnson begründete seine Absage mit Protestlärm. „Ich glaube, unsere Standpunkte wären da möglicherweise untergegangen“, sagte Johnson nach einem Treffen mit Bettel zu Reportern vor der britischen Botschaft in Luxemburg. Von offizieller luxemburgerischer Seite hieß es, es habe keinen Raum gegeben, der groß genug gewesen sei.

Schon zuvor hatte ein paar Dutzend Demonstranten – wenige Meter vom Ort der Pressekonferenz entfernt – ihrem Ärger lautstark Luft gemacht. Luxemburgs Ministerpräsident äußerte sich schließlich alleine an einem der beiden vorbereiteten Pulte vor der britischen, der EU- und der luxemburgischen Flagge. Er zeigte sich empört, dass sechs Wochen vor dem geplanten Brexit auf britischer Seite weiter keine Klarheit herrsche. Er forderte Johnson auf, endlich Vorschläge vorzulegen. „Die Uhr tickt. Nutzen Sie Ihre Zeit weise“, sagte Bettel – und zeigte auch auf das leere Rednerpult neben ihm.

Applaus von Demonstranten

„Der Brexit ist nicht meine Entscheidung“, sagte Bettel, der sich regelrecht in Rage redete und immer wieder Applaus der Demonstranten bekam. „Ich bedauere ihn zutiefst.“ Die Briten könnten jetzt aber nicht die EU dafür verantwortlich machen, „dass sie aus dieser Situation nicht herauskommen“. Später sprach Bettel von „Chaos“. Man dürfe ein Land aus parteipolitischen Gründen nicht in Geiselhaft nehmen.

Dem luxemburgischen Regierungschef zufolge lehnte Johnson erneut ein zweites Brexit-Referendum ab. Eine erneute Verschiebung des Austritts, wie sie vom britischen Parlament bei einem fehlenden Durchbruch in den Gesprächen mit der EU gefordert wird, sah wiederum Bettel skeptisch. „Das ist ein Alptraum“, sagte er. „Die Menschen wollen Klarheit.“ Gespräche über eine Verlängerung seien „nicht im Interesse unserer Bürger“.

Demonstranten während des Treffens zwischen Boris Johnson und Jean-Claude Juncker
Reuters/Yves Herman
Ein paar Dutzend Protestierende machten ihrem Ärger in Luxemburg Luft

Britische Medien werteten die Weigerung, die Pressekonferenz in Innenräume zu verlegen, als zumindest unhöflichen Akt. Johnson sei düpiert worden. Von öffentlicher Erniedrigung sprachen andere – auch angesichts der deutlichen Worte Bettels.

Juncker vermisst britische Vorschläge

Johnson hatte in Luxemburg zuvor EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker getroffen. Die EU-Kommission erklärte danach, die britische Seite habe bisher keine umsetzbaren Vorschläge zur Lösung der umstrittenen Nordirland-Frage unterbreitet.

Die EU-Kommission werde rund um die Uhr verfügbar bleiben, um zu prüfen, „ob solche Vorschläge den Zielen des Backstop entsprechen“, hieß es mit Blick auf die umstrittene Auffanglösung zu Nordirland weiter. In dem Verfahren werde der EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober ein Meilenstein. Die 27 anderen EU-Länder blieben geeint, betonte Juncker. Er werde dem Europaparlament am Mittwoch in Straßburg Bericht erstatten.

In einer Stellungnahme Johnsons war von einem „konstruktiven Treffen“ die Rede. Er habe erneut sein Festhalten am Karfreitag-Abkommen in der Irland-Frage bekräftigt – wie auch seine „Entschlossenheit, eine Einigung zu erzielen, die die britischen Parlamentarier unterstützen könnten“.

Gespräche sollen intensiviert werden

Er hielt auch am Austrittstermin 31. Oktober fest, er wolle keine Verlängerung bei der EU beantragen. Genau das sieht aber das vom britischen Parlament beschlossene Gesetz vor – wenn bis kurz vor dem Austrittstermin keine Einigung auf den Deal zustande kommt.

Boris Johnson und Jean-Claude Juncker
AP/Olivier Matthys
Erstmals seit Monaten gibt es wieder Brexit-Gespräche auf höchster Ebene

Man sei sich zudem einig gewesen, die Diskussionen zu intensivieren, hieß es in der Stellungnahme des britischen Premiers weiter. Demnächst soll es tägliche Treffen geben, der britische Brexit-Beauftragte Stephen Barclay und EU-Unterhändler Michel Barnier sollen ebenfalls regelmäßig miteinander sprechen. Zudem sollten die Gespräche zwischen Juncker und Johnson fortgesetzt werden. In einem Statement für britische TV-Sender sagte Johnson, es gebe noch genügend Zeit für eine Einigung.

Optimismus vor dem Treffen

Johnson will bis zum Gipfel Änderungen am EU-Austrittsabkommen durchsetzen, was die EU ablehnt. „Ich glaube leidenschaftlich, dass wir das schaffen können“, hatte Johnson vor dem Gespräch gemeint. Allerdings bezeichnete er die Erwartungen daran als „vorsichtig“. Juncker sagte dazu, er sei „vorsichtig optimistisch“ und „verliere nie die Geduld.“

Johnson und Juncker trafen sich zu einem Arbeitsessen – das erste direkte Gespräch der beiden, seit Johnson im Juli Premierminister wurde. Schon nach dem Arbeitsessen wurde Johnson von ein paar Dutzend Schaulustigen ausgepfiffen, Medien zufolge soll es sich vor allem um britische Expats gehandelt haben.

EU skeptisch

Johnson hatte zuvor auch in der britischen Zeitung „Telegraph“ geschrieben, er glaube an eine Einigung: „Wenn wir in den nächsten Tagen genug Fortschritte erzielen, werde ich zu diesem entscheidenden Gipfel am 17. Oktober gehen und eine Vereinbarung abschließen, die die Interessen der Wirtschaft und der Bürger auf beiden Seiten des Ärmelkanals und auf beiden Seiten der Grenze in Irland schützt.“ Eine Verschiebung des Brexits lehnte er jedoch erneut ab.

Die EU-Seite ist viel skeptischer als Johnson und wartet immer noch auf konkrete Vorschläge aus London. Außenminister Alexander Schallenberg meinte am Montag in Brüssel: „Wenn Premierminister Johnson nicht mit etwas Neuem im Gepäck zum Gespräch und Besuch mit Juncker kommt, dann gibt es ehrlicherweise auf unserer Seite keinen Bedarf mehr, dann wird es einen Hard Brexit geben. Die Briten müssen uns sagen, was sie brauchen, um das Parlament in London überzeugen zu können.“

Die Zeit läuft

Viel Zeit bleibt Johnson nicht in Luxemburg, denn schon am Dienstag beschäftigt sich das oberste britische Gericht mit einem heiklen Brexit-Aspekt: Der Supreme Court beginnt dann mit der Anhörung zu der Frage, ob die von Johnson auferlegte fünfwöchige Zwangspause des Parlaments überhaupt rechtmäßig ist. Ein schottisches Gericht hatte die Schließung bis zum 14. Oktober für unrechtmäßig erklärt und Johnson vorgeworfen, die Abgeordneten kaltstellen zu wollen.

Angesichts der heftigen Brexit-Streitereien und auch Tricksereien haben viele Britinnen und Briten einer Umfrage zufolge kein großes Vertrauen mehr in ihr Parlament. 74 Prozent der Befragten glauben, dass dieses „nicht fit für das 21. Jahrhundert“ ist. Etwa 80 Prozent halten der ComRes-Umfrage zufolge Reformen für dringend notwendig.