Bundesheer-Hubschrauber
ORF.at/Roland Winkler
Heer in Nöten

Parteien fordern schnelles Handeln

Der Zustandsbericht über das Bundesheer ist einem Hilfeschrei gleichgekommen: Verteidigungsminister Thomas Starlinger zeichnete ein dramatisches Bild von den Geldnöten des Heeres. Der flächendeckende Schutz der Bevölkerung sei schon jetzt nicht mehr gewährleistet. SPÖ, FPÖ und NEOS forderten schnelle Abhilfe.

Der Bericht, den Starlinger am Dienstag präsentierte, stützt sich auf in- und ausländische Expertise. Er empfiehlt eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets im kommenden Jahr von derzeit 2,2 auf 3,1 Milliarden Euro und eine schrittweise Anhebung auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2030 (fünf Mrd. Euro) sowie eine unverzügliche Entscheidung über die Ausgestaltung der Luftraumüberwachung. Sollte es hingegen so weitergehen, werden in zehn Jahren die militärischen Fähigkeiten auf null Prozent heruntergefahren sein, hieß es.

Der Bericht solle dazu dienen, den politischen Verantwortungsträgern „fundierte Entscheidungsgrundlagen“ zu liefern. Er zeige, dass das Bundesheer an einem Scheideweg stehe und dessen Fähigkeiten „in den vergangenen Jahrzehnten durch fehlende Investitionen massiv eingeschränkt wurden“. Der Schutz der Bevölkerung könne schon heute nur noch sehr eingeschränkt gewährleistet werden.

Verteidigungsminister Starlinger zum Bundesheerbudget

Verteidigungsminister Thomas Starlinger nimmt in der ZIB2 Stellung zum präsentierten Zustandsbericht „Unser Heer 2030“.

Der Bericht zeigt auf, dass auf Österreich unsichere Zeiten zukämen. „Die nächste Dekade ist gekennzeichnet von einer Verschlechterung nahezu aller relevanten Parameter." Es drohten hybride Angriffe, systemische Terrorangriffe und Extremereignisse wie etwa Massenmigration, Blackout, Pandemien, Natur- und technische Katastrophen. "Ganz Österreich muss sich daher die Frage stellen: Wie viel ist uns unsere Sicherheit wert?“, schrieb Starlinger in dem Bericht und fügte heute hinzu: „Ich hoffe, dass der Bericht einen erhellenden und erleuchtenden Effekt auf die Politik hat.“

SPÖ für Investitionsprogramm

Und die Politik reagierte – erst einmal in Form von Forderungen. Die SPÖ will das unter dem SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil beschlossene Investitionsprogramm wiederaufleben lassen. Das forderte SPÖ Landesverteidigungssprecher Rudolf Plessl in einer Aussendung. „Türkis-Blau hat die Katastrophenhilfe und internationale Einsätze aufs Spiel gesetzt. Das heute präsentierte Weißbuch zeigt schonungslos die Misswirtschaft der Kurz-Strache-Regierung auf.“

Die Wiederaufnahme der von Doskozil geplanten Investitionsoffensive bedeute, „dass für das Jahr 2020 das Bundesheerbudget auf 2,6 Mrd. Euro erhöht wird und im Folgejahr 2021 auf 3 Mrd. Euro. So sieht es auch ein Entschließungsantrag vor, der am 3. Juli von der SPÖ und der FPÖ beschlossen wurde“, so Plessl. Ein striktes Nein erteilte Plessl Forderungen, den Wehrdienst und Zivildienst zu verlängern.

FPÖ: ÖVP-Aktion „entlarvend“

FPÖ-Wehrsprecher Reinhard Bösch forderte nach der „neuerlichen eindeutigen Diagnose“ über den Zustand des Bundesheeres nun den „raschen Beginn einer effizienten Therapie“. Gefordert sei die nächste Bundesregierung. „Der sehr realistische und ernüchternde Bericht, den Verteidigungsminister Starlinger präsentierte, schließt nahtlos an den von Bundesminister (Mario, Anm.) Kunasek an und muss nun endlich auch bei der ÖVP ein rasches Umdenken bewirken. Die Ablehnung der ÖVP des Antrages zur Erhöhung des Heeresbudgets auf drei Milliarden für das Jahr 2021, war schon eine sehr entlarvende und somit kurzsichtige Aktion“, meinte er.

Das Heeresbudget mittelfristig auf ein Prozent des BIP anzuheben sei für die FPÖ eine „unabdingbare Voraussetzung“, damit das Bundesheer seinen verfassungsmäßigen Auftrag wieder erfüllen kann. „Diese Forderung ist für uns auch eine Koalitionsvoraussetzung“, so Bösch.

NEOS sieht „Schandfleck“

NEOS zeigte sich „alarmiert“. „Der Bericht zeichnet ein ungeschöntes, nüchternes und deshalb umso dramatischeres Bild der finanziellen Lage des Bundesheeres“, erklärte NEOS-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos. „Dieser katastrophale Zustand ist ein Schandfleck jahrzehntelanger falscher und populistischer Politik, vor allem der ÖVP, die immer nur auf Schlagzeilen, nie auf nachhaltige Lösungen gesetzt hat“, was verantwortungslos sei. NEOS setze sich für eine „endlich stabile Finanzierung für das Bundesheer“ ein, betonte er. Das bedeute eine schrittweise Steigerung des Budgets auf ein Prozent des BIP.

Grafik zum Bundesheer
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Bundesheer

Die ÖVP ließ in einer Stellungnahme gegenüber der APA wissen, man nehme den Zustandsbericht für das Bundesheer „selbstverständlich sehr ernst“. Es werde Aufgabe der künftigen Bundesregierung sein, ausreichend Budget für das Heer zur Verfügung zu stellen und das Investitionsprogramm der alten Regierung auch in einer neuen Koalition fortzusetzen. Konkrete Angaben oder Antworten auf die Vorwürfe gab es nicht.

Zehn Maßnahmen gefordert

In dem Bericht wurden zehn konkrete Maßnahmen formuliert, die für das Heer notwendig seien. Dazu zählen die Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf drei Mrd. Euro in Verbindung mit einer schrittweisen Anhebung auf ein Prozent des BIP bis 2030, der sukzessive Abbau des Investitionsrückstaus, eine unverzügliche Entscheidung über die Ausgestaltung der Luftraumüberwachung, die Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit der Miliz, eine Rückkehr zum Grundwehrdienst in der Dauer von acht Monaten mit verpflichtenden Milizübungen, Fokus auf den Schutz gegen neue hybride Bedrohungen und Cyberangriffe sowie eine schrittweise Erhöhung des Personalstandes auf 24.000 Bedienstete.

SPÖ, FPÖ und NEOS für rasche Maßnahmen

Die Parteien wollen schnell die notwendigen Budgetmittel für die Landesverteidigung aufgewendet sehen.

Zusätzlich zum erhöhten Budget für den laufenden Betrieb braucht das Bundesheer ganze 16,2 Mrd. Euro, um sich bei Ausrüstung, Waffen, Personal und Gerät auf den gewünschten Ist-Zustand zu bringen. Alleine für die gepanzerte Mobilität der Infanterietruppe braucht man sechs Mrd. Euro. Die Luftstreitkräfte benötigen inklusive Abfangjäger-Updates 2,2 Mrd. Euro.

Ausrüstungsmangel für Minister „unmoralisch“

Besonders dringlich sind laut Starlinger die Anschaffung von geschützter und ungeschützter Mobilität, die Soldatenausrüstung, Luftschutz und Digitalisierung. „Eine ganz große Baustelle ist die Drohnenabwehr. Außer ein paar Sensoren haben wir nichts“, so Starlinger. Von den 300 Schutzobjekten, die als kritische Infrastruktur im Krisenfall geschützt werden müssten, könnte man mit der derzeitigen Ausrüstung nur ein halbes Objekt schützen, so Starlinger. Indirekt scharfe Kritik an den bisherigen Verantwortungsträgern übte der Minister hinsichtlich der Soldatenausrüstung. „Ich finde es verantwortungslos und unmoralisch, Soldaten ohne Ausrüstung in Einsätze zu schicken.“

In der Militärwelt wurde der Bericht positiv aufgenommen. Die Offiziersgesellschaft begrüßte die „schonungslose Darstellung des Zustands des Bundesheeres“ und forderte eine Trendumkehr in der Verteidigungspolitik. Starlinger überreichte den Bericht den Wehrsprechern der politischen Parteien persönlich. Die Wehrsprecher hätten dem Bundesheer dabei „ihre uneingeschränkte Unterstützung zugesichert und zugestimmt, sich dafür einzusetzen, dass das Wehrbudget schrittweise signifikant erhöht und in den kommenden Regierungsverhandlungen entsprechend berücksichtigt wird“, hieß es in einer gemeinsamen Aussendung.