Architektin mit einem Grundriss
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Frauen in der Technik

Steiniger Weg zur eigenen Firma

Die Zahl der Absolventinnen in technischen Studienfächern ist in Österreich in den vergangenen Jahren gestiegen. Den Sprung in die Selbstständigkeit wagen anschließend aber nur die Wenigsten. Laut Expertinnen fehlt es an Vorbildern, Netzwerken – und dem Umdenken in einer Gesellschaft, in der Kinderbetreuung und -erziehung nach wie vor Frauensache sind.

„Der Wunsch, nicht etwas zu tun, was ein anderer mir vorgibt – sowohl in kreativer Hinsicht als auch hinsichtlich der persönlichen Gestaltungsfreiheit“, antwortet die Grazer Architektin Bettina Dreier auf die Frage, warum sie den Schritt in die Selbstständigkeit gemacht hat. Dreier ist ehrenamtliche Funktionärin in der Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen, die selbstständige Architektinnen und Architekten sowie Ingenieurskonsulentinnen und Ingenieurskonsulenten gesetzlich vertritt.

In der Mitgliederliste der Kammer spiegelt sich das Missverhältnis zwischen den Geschlechtern, was die Gründung einer eigenen Firma betrifft, deutlich wider. Der Frauenanteil unter den aktuell 7.654 Mitgliedern liegt insgesamt bei knapp 13 Prozent. Im Bereich der Architektur sieht es mit 15 Prozent minimal besser aus. Das Ingenieurswesen ist dagegen beinahe eine reine Männerdomäne, nur drei Prozent der Mitglieder sind weiblich.

Höher gebildet, aber weniger Umsatz

Einer Untersuchung der KMU Forschung Österreich zufolge sind rund ein Drittel der Selbstständigen in Österreich Frauen. Der Frauenanteil an den Einzelgründungen habe ein Allzeithoch erreicht, heißt es in der 2017 vorgestellten Untersuchung. Der Teufel liegt im Detail: Zwei Drittel dieser Firmen sind Einpersonenunternehmen (EPUs). Zu finden sind sie zu einem Gutteil im Gesundheits- und Sozialwesen, in persönlichen Dienstleistungen und Gastronomie. Im Produktionssektor, Information, Kommunikation, Verkehr und Bau sind sie stark unterrepräsentiert.

Unternehmerinnen gehören zu den Bevölkerungsgruppen mit dem höchsten Bildungsgrad. Ein Drittel der weiblichen Selbstständigen besitzt einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss, gefolgt von Frauen mit Lehrabschluss. Bei Männer ist es umgekehrt, es dominiert die Gruppe mit Lehrabschluss. Dennoch machen nur 30 Prozent der von Frauen geführten Firmen Umsätze über 100.000 Euro jährlich. Bei Männern liegt dieser Wert bei 60 Prozent.

Hürde Kinderbetreuung

Gemeinsam mit anderen Funktionärinnen hat es sich Architektin Dreier zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil in der Kammer zu erhöhen und Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit zu erleichtern. Die Hürden für den Eintritt in die Standesvertretung seien in den vergangenen Jahren abgebaut worden, sagt sie gegenüber ORF.at: Die Eintragungsgebühr sei wesentlich reduziert und in einigen Länderkammern sogar ganz abgeschafft worden, zudem können sich Ziviltechnikerinnen, die Mütter geworden sind, von der Kammerumlage befreien lassen. „Trotzdem haben wir keinen eklatanten Zuwachs an weiblichen Mitgliedern verzeichnen können“, so Dreier.

Frau zeigt auf am Tische liegenden Bauplan
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Frauen in technischen Berufen sind nicht nur mit branchenspezifischen Problemen konfrontiert

In anderen Bereichen des täglichen Lebens sind die Hürden unverändert hoch. Die Hauptgründe, warum Technikerinnen vor der Unternehmensgründung zurückschrecken, liegen für Dreier in der Kinderbetreuung und Erziehungsarbeit, die in Österreich größtenteils an Frauen hängenbleiben. Das werde sich wohl erst ändern, „wenn es in der Gesellschaft selbstverständlich wird, dass Männer die Hälfte der Erziehungsarbeit übernehmen und die Hälfte der Zeit oder überhaupt zur Gänze in Karenz gehen“, sagt Dreier. In puncto staatlicher Kinderbetreuungsangebote ortet sie in vielen Regionen sogar Rückschritte. „Es wird immer schwieriger, Kindergärten und Tagesstätten zu finden, die ganztägige Betreuung anbieten.“

Weitere Belastungen

Bei den Architektinnen spielt noch ein anderer Umstand hinein: das Wettbewerbswesen. „Wettbewerbe werden von den Architektinnen natürlich gutgeheißen, die Teilnahme an Wettbewerben zur Erlangung von Aufträgen aber belastet die Büros aufgrund des hohen erforderlichen Aufwands ungemein, denn meist gibt es keine oder eine geringe Aufwandsentschädigung für die Teilnahme, und um einen Wettbewerb zu gewinnen, nehmen die Kolleginnen an vielen Wettbewerben teil“, so Dreier.

Die meisten Architekturbüros in Österreich, insbesondere jene der Frauen, sind Kleinbetriebe. „Kleine Büros leiden natürlich besonders unter unerwartetem Verlust von Aufträgen beispielsweise durch Verzögerungen oder politische Änderungen“, sagt Dreier. Oftmals müssten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in solchen Situationen entlassen werden.

Fehlende Vorbilder

Die Architektur, besonders aber die Ingenieurskunst, eröffnen Absolventinnen ein breites Betätigungsfeld. Ziviltechnikerinnen arbeiten in den unterschiedlichsten Feldern, von der Baubranche über die technische Chemie bis hin zur Raumplanung oder Wasserwirtschaft. Die Nachfrage nach Technikerinnen und Technikern ist in Österreich generell hoch – Stichwort Fachkräftemangel –, entsprechend gut sind potenziell Verdienstmöglichkeiten und Auftragslage.

Was fehlt, sind Vorbilder, wie auch eine 2017 von Microsoft veröffentlichte Studie zeigte. Bei der europaweiten Untersuchung kristallisierten sich vier zentrale Faktoren heraus, die das Interesse junger Frauen an technischen Fächern deutlich sinken lässt: der Mangel an weiblichen Vorbildern, fehlende Praxiserfahrungen, Ungleichbehandlung sowie fehlende Kenntnisse über Anwendungsgebiete im echten Leben – mehr dazu in science.ORF.at.

Best-Practice-Beispiele werden erhoben

In anderen Ländern sei die Differenz zwischen Studentinnen und weiblichen Berufstätigen weniger groß, so die ZiviltechnikerInnenkammer. Im Rahmen eines EU-geförderten Projektes soll nun mit Partnerorganisationen aus dem Ausland erhoben werden, was Staaten wie Slowenien, Spanien und Frankreich besser machen als Österreich.

Auf Basis eines „Career Tracking Systems“ wird dabei die Situation in den einzelnen Ländern erhoben. Die Ergebnisse sollen Best-Practice-Beispiele liefern für Unterstützungs- und Weiterbildungsmaßnahmen. Der Startschuss für das Projekt fällt am 7. November bei einer Konferenz in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana.

Ein Licht auf die Arbeit von Architektinnen und Ingenieurinnen wirft unterdessen ein 2017 von der Kammer veröffentlichter Katalog, der heuer überarbeitet wurde. Darin gesammelt sind 75 Projekte aus dem Themenbereich „Planen und Bauen in historischer Umgebung“, die seit 2015 in Österreich im Rahmen einer Wanderausstellung zu sehen waren. Am Nationalfeiertag wird die Ausstellung in den Räumlichkeiten des Bundeskanzleramts gezeigt.

Netzwerke gegen Vorurteile

Ein weiterer Punkt ist das Netzwerken. Auch hier versuche die Kammer angehenden Ziviltechnikerinnen und Absolventinnen zu helfen und sie ganz allgemein von der Wichtigkeit eines Netzwerks zu überzeugen, sagt Dreier. Jungen Kolleginnen rät sie, ihr „Licht nicht unter den Scheffel zu stellen“ und die eigenen Projekte in kleinem oder auch großem Kreis zu präsentieren.

Die Zurschaustellung ihres Könnens fällt vielen Frauen schwer. Was oft daran liegt, dass ihnen das Meistern technischer Ausbildungen oder Berufe nicht zugetraut wird und ihnen das auch so gesagt, gezeigt, vorgelebt wird. „Frauen werden in der Gesellschaft ganz allgemein weniger ernstgenommen“, kritisiert Dreier. In der Architektur habe sich die Lage in den vergangenen Jahren allerdings deutlich gebessert, so die Architektin.

Frauenministerin sichert Unterstützung zu

Bei einem Termin im September trugen Dreier und drei weitere Kammerfunktionärinnen ihre Anliegen bei Frauenministerin Ines Stilling vor. Stilling ortete bei Frauen eine gewisse „Unsicherheit“, die viele vom Sprung in die Selbstständigkeit abhielten. Die Ressortchefin versprach, das Begehr der Kammer an die nächste Bundesregierung weiterzugeben. Passieren wird das bei den Übergabegesprächen zwischen Stilling und ihrer Nachfolgerin. Die Fragestellung laute: „Was braucht es, damit Frauen sich über die Hemmschwelle der Selbstständigkeit drübertrauen?“