Eine Person geht durch einen Tunnel
ORF.at/Christian Öser
Vor letzter NR-Sitzung

Breite Kritik am Gewaltschutzpaket

Am Mittwoch soll das von ÖVP und FPÖ geplante Gewaltschutzpaket im Nationalrat beschlossen werden – im Vorfeld ist jedoch breite Kritik von Experten und Expertinnen aufgekommen: Die Maßnahmen könnten sogar das Gegenteil bewirken und Gewalt zusätzlich steigen lassen. Und: Auch den Opfern sei mit dem Paket alles andere als geholfen, so der Tenor.

Richtervereinigung, Rechtsanwaltskammer, Gewaltschutzzentren, Interventionsstellen, Opferschutzeinrichtungen, Psychotherapieverband, Kinderschutzzentrum, SPÖ, NEOS, die Frauenministerin und der Justizminister – sie alle sind sich einig, dass das Gewaltschutzpaket seinem Namen nicht gerecht wird, und äußerten Kritik an den geplanten Maßnahmen.

Dennoch wollen ÖVP und FPÖ in der letzten Nationalratssitzung vier Tage vor der Neuwahl das gemeinsam in ihrer Koalitionszeit ausgearbeitete Maßnahmenpaket für „strengere Strafen, besseren Opferschutz und aktive Täterarbeit“ beschließen. Insgesamt gehe es um „null Toleranz“ Tätern gegenüber sowie eine Erhöhung des Opferschutzes, sagten die Justizsprecher Michaela Steinacker (ÖVP) und Harald Stefan (FPÖ) Anfang Juli.

Strafverschärfungen bei Gewalt- und Sexualdelikten

Betroffen von den Änderungen sind 25 Gesetze. Mit den Gesetzesnovellen soll es zu Strafverschärfungen bei einer Reihe von Gewalt- und Sexualdelikten kommen. Neben den Strafverschärfungen bringt das Gesetz auch einheitliche Anzeigepflichten für alle Gesundheitsberufe und eine verpflichtende Täterberatung bei häuslicher Gewalt. Viele der Maßnahmen entspringen der vor mehr als einem Jahr von der früheren Regierung eingesetzten „Taskforce Strafrecht“.

Für Gewaltopfer wird es neben der Möglichkeit der Namensänderung auch die Option geben, die Sozialversicherungsnummer zu ändern. Die Antragsfrist für Leistungen aus dem Verbrechensopfergesetz wird von zwei auf drei Jahre verlängert. Opfer von Wohnungseinbrüchen können zudem Krisenintervention und Psychotherapie beantragen, die ansonsten nur bei vorsätzlichen Gewaltdelikten gewährt werden.

Der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) übte am Montag vor allem scharfe Kritik an der geplanten Anzeigepflicht. In einem offenen Brief an die Nationalratsabgeordneten warnt der Verband davor, die Verschwiegenheitspflicht in eine Meldepflicht umzuwandeln.

„Risiko eines Anstiegs an Gewalt“ durch Anzeigepflicht

Die Verschwiegenheitspflicht abzuschaffen und ins Gegenteil zu verkehren würde potenzielle Gewalttäter vor offenen und ehrlichen Gesprächen mit Psychotherapeuten abschrecken, heißt es in dem Schreiben. Die geplante Gesetzesänderung berge somit das Risiko eines Anstiegs an Gewalt. Auch Opfer von Gewalt brauchten eine vertrauensvolle therapeutische Umgebung, die durch die Angst vor einem Verfahren gefährdet sei.

Ähnlich argumentierte am Montag auch das Kinderschutzzentrum. Eine Ausweitung der Anzeigepflicht könnte das Kindeswohl bedrohen, da eine durch die Fachperson getätigte Anzeige erneute Belastungen für das Kind mit sich bringen könnte.

Höhere Strafen „nicht zielführend“

Auch eine Erhöhung der Strafen ist aus Sicht der Wiener Interventionsstelle nicht zielführend. Stattdessen müsse der Fokus auf den Opferschutz gelegt werden. „Die Verurteilungsrate bei Gewaltdelikten ist sehr gering“, sagte Geschäftsführerin Rosa Logar bei einem Pressegespräch am Freitag. Viele Anzeigen würden eingestellt, was unter anderem auch daran liege, dass die Staatsanwaltschaften überlastet seien.

Die Frauenministerin Ines Stilling drängte bereits im August auf mehr Geld für den Opfer- und Gewaltschutz. Es brauche etwa mehr Geld für Beratungseinrichtungen – denn „Strafdrohungen allein werden kein Opfer vor Gewalt schützen“, so die Frauenministerin.

Experten sehen keinen Bedarf an Verschärfungen

Die Praxis zeige zudem, dass der schonendere Umgang der Gerichte mit jüngeren Erwachsenen zum Rückgang von Wiederverurteilungen geführt habe. Nun sollen aber härtere Strafen vorgegeben werden, wodurch mit einer höheren Rückfallquote zu rechnen sei. „Mehr Rückfälle bedeuten mehr Opfer, weniger Sicherheit und weiter steigende Kosten“, hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Richtervereinigung, Opferschutzverbände und Rechtsanwaltskammer.

Bei Sexualdelikten seien alleine in den vergangenen zehn Jahren fünf Novellen beschlossen worden, in denen Straftatbestände ausgeweitet und Strafdrohungen erhöht worden seien. Auch hier bestehe kein Bedarf an einer Verschärfung.

Nationalratsabgeordnete Irmgard Griss (NEOS)
APA/Herbert Pfarrhofer
Das Gewaltschutzpaket sei eine „Scheinmaßnahme, die den Menschen vorspiegelt, wir tun was für eure Sicherheit“, meint Griss

Ausdruck einer „Law-and-Order-Politik“

Prozessbegleiterin Sonja Aziz, die Mitglied der „Taskforce Strafrecht“ war, kritisierte, dass von den 60 eingelangten Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf „keine einzige“ berücksichtigt werde. Auch Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wollf warnte davor, das Gesetzespaket „ohne Berücksichtigung der 60 fundierten Stellungnahme aus dem Begutachtungsverfahren und ohne vorherige Beratungen im Justizausschuss zu beschließen“. Selbst Justizminister Clemens Jabloner habe es abgelehnt, diesen Gesetzesentwurf dem Parlament vorzulegen. Wollf sprach sich gegen einen „massiven, gefährlichen Rückschritt in vergangene Zeiten“ aus.

Sabine Matejka, Chefin der Richtervereinigung, sieht das ähnlich. Das parlamentarische Begutachtungsverfahren werde zur vollkommenen Farce, wenn der ursprüngliche Begutachtungsentwurf jetzt ohne Änderung beschlossen werde, sagte sie zur APA. Für die Verschärfungen gebe es keine sachliche Begründung, sie dürften nur „Ausdruck einer gewissen Law-and-Order-Politik“ sein.

NEOS für Ausschuss oder Rückzug des Gesetzesantrags

Auch NEOS kritisiert die eilige Vorgangsweise von ÖVP und FPÖ beim geplanten Gewaltschutzpaket. Justizsprecherin Irmgard Griss bezeichnete sie am Dienstag als „in hohem Maße unverantwortlich“. In einer Aussendung forderte sie, das Paket entweder im Justizausschuss zu diskutieren und abzuändern oder den Antrag zurückzuziehen, und bezeichnete das Paket als „Scheinmaßnahme, die den Menschen vorspiegelt, wir tun was für eure Sicherheit“.

Rückhalt bekam sie von SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim. Er drängte am Dienstag auf einen Justizausschuss noch vor der Nationalratssitzung am 25. September. Das Gesetz solle dort beraten und die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens berücksichtigt werden.

Da jedoch kein Justizausschuss einberufen wurde, wird der von ÖVP und FPÖ eingebrachte Initiativeintrag dank Mehrheit im Nationalrat wohl angenommen werden. Die deutsche Wochenzeitung „Zeit“ schrieb dazu: „Damit beweisen Volkspartei und Freiheitliche doppelte Gleichgültigkeit: hier gegenüber den Gepflogenheiten der parlamentarischen Demokratie, dort gegenüber der harschen Kritik von Opferschutzexperten und Juristen an der Gesetzesnovelle.“