Untitled Goose Game
House House
„Untitled Goose Game“

Schnattern statt Ballern

Unabhängig davon, was über das Verhalten von Gänsen in der Forschung behauptet wird: Die schnatternden Tiere werden vor allem von Städtern als unglaublich gemein wahrgenommen. Die Frage, ob eine Gans ein ganzes Dorf ins Chaos stürzen kann, gilt es in dem Spiel „Untitled Goose Game“ zu beantworten. Schnatternd, flatternd und äußerst absurd kann so der Traum vom Ganssein ausgelebt werden.

Als neben dem Schwan wohl gefürchtetster Vertreter der Entenvögel ist das erklärte Lebensziel der Gans ganz klar: Unheil stiften. Das ist zumindest die Prämisse des einprägsam namenlosen Spiels des australischen Entwicklerstudios House House. Spielerinnen und Spieler müssen in die Rolle einer Gans schlüpfen und der Dorfbevölkerung auf die Nerven gehen.

Damit man nicht ziellos durch die charmant gezeichnete britische Gemeinde watschelt, weist zu Spielbeginn eine To-do-Liste der Gans den Weg. Darauf finden sich zahlreiche Aufgaben, die wahrscheinlich auch auf einer tatsächlichen Gans-To-do-Liste stünden: „Den Schlüssel stehlen“, lautet eines der ersten Ziele. Etwas später heißt es schon fast kriminell: „Den Buben in der Telefonzelle einsperren.“ Zur Lösung der Aufgaben stehen der Gans nur Schnabel und Flügel zur Verfügung – das Denken müssen die Spieler übernehmen.

Netzgemeinde schnattert kräftig

Ob die Gans ihre „Abschussliste“ selbst verfasst hat oder praktisch als Auftragsnervensäge ihren Dienst tut, wird im Laufe des Spiels nicht aufgelöst. Überhaupt ist der erzählerische Rahmen des unbenannten Spiels recht dünn – doch die Aufgabenstellung, die sich mit „Sei eine Gans“ zusammenfassen lässt, ist für das kurzweilige Spiel offenbar Motivation genug –, wie auch zahlreiche Reaktionen zeigen.

Denn im Netz erheitert das Spiel seit wenigen Tagen zahllose Nutzerinnen und Nutzer Sozialer Netzwerke. Die Missetaten der Gans in der Hauptrolle werden momentan Tausende Male geteilt. Für besonders viel Aufsehen sorgte zuletzt das Aufeinandertreffen des YouTube-Stars Alex the Honking Bird – ein (echter) Nymphensittich – mit der virtuellen Gans. Im Netz kursieren mittlerweile unzählige Memes – dass die Gans in Großbritannien ihr Unheil treibt, macht sie nicht zuletzt zum beliebten Motiv für Brexit-Vergleiche.

Keine dumme Gans

Bei aller Blödelei und Schabernack ist „Untitled Goose Game“ als Spiel aber durchaus eine clevere und insgesamt harmlose Variante des „Stealth“-Genres. Normalerweise müssen in namhaften Spielen wie „Hitman“, „Dishonored“ und „Metal Gear Solid“ möglichst unauffällig Gegner aus dem Weg geräumt werden. Für die schelmische Gans wurde das Spielprinzip an sich belassen, Dolch und Scharfschützengewehr jedoch durch Flattern und Schnattern ersetzt.

Gänse, Teletext und Debussy

Überhaupt spielt sich „Untitled Goose Game“ über weite Strecken so, als hätte man das düstere Ambiente vieler moderner Blockbusterspiele durch eine Portion Sonnenschein und gute Laune ersetzt – nur, um selbige durch lautes Schnattern zu zerstören. Dass das Spiel in einer bunt und detailverliebt illustrierten englischen Dorfgemeinde spielt, die vom Brexit noch nichts gehört hat – auf den Röhrenfernsehern in der Auslage des Dorfhändlers wird der BBC-Teletext gezeigt –, unterstreicht den launigen Retro-Charme.

Hinter dem auf den ersten Blick vor allem blöd anmutenden Konzept steckt also viel Liebe zum Detail, die sich auch im Soundtrack widerspiegelt. Denn das Schnattern der Gans und das Fluchen der Briten wird von Auszügen aus Claude Debussys „Preludes“ untermalt. Die Klaviersoli wurden in 400 Teile zerlegt, diese werden an die Spielsituation angepasst eingespielt, wie The Verge schreibt.

Hinweis

„Untitled Goose Game“ ist für PC, Mac und Nintendo Switch digital erhältlich.

Auch Ziegenspiel wurde zu Hit

Ganz neu ist die Idee, ein Tier im Spiel Unheil stiften zu lassen, nicht. Der Ansatz ist diesmal aber ein ganz anderer. Bereits vor einigen Jahren galt es im „Goat Simulator“ – angelehnt an die zahllosen Simulationsspiele vom Flugzeug hin zum Müllauto –, als Ziege möglichst viel Schaden anzurichten. Das Spiel war jedoch als reine Parodie auf das Genre gedacht, im Gegensatz zum durchaus ernst gemeinten Gänsespiel. Auch damals wurde das absurde Spiel weit über die Gaming-Szene hinaus bekannt – mittlerweile wurde es mehrfach erweitert und für andere Systeme veröffentlicht.

„Untitled Goose Game“ stellt die Spielebranche zwar nicht auf den Kopf, ist kein „Minecraft“, nicht „Super Mario“ und kein neues „Fortnite“. Doch das Gänsespiel ist eine willkommene Abwechslung im oft grauen Spielealltag. Ganz nebenbei wird das offenbar vorhandene Bedürfnis genährt, die fast schon demonstrativ idyllische Ruhe durch lautes Schnattern zu stören – was wohl nicht zuletzt auch den Nerv der Zeit treffen dürfte.