Vizekanzler und Justizminister Clemens Jabloner
picturedesk.com/SEPA.Media/Martin Juen
„Zivilisatorischer Rückschritt“

Gewaltschutzpaket trotz scharfer Kritik durch

In der letzten Sitzung des Nationalrats sind am Mittwoch viele Punkte abgearbeitet worden. Ein großer Brocken war das Gewaltschutzpaket, das noch von der Regierung ÖVP und FPÖ initiiert worden war. Das Paket wurde auch mit ihren Stimmen beschlossen. Schon im Vorfeld war die Kritik daran scharf gewesen. Eine Aburteilung kam auch von Justizminister Clemens Jabloner.

Jabloner machte schon in seiner Einleitung klar, dass er zu der Vorlage der Vorgängerregierung „eine reservierte Haltung“ einnehme, auch wenn er die Opferschutzmaßnahmen begrüßte. Praktisch die gesamte Fachwelt lehne die Verschärfungen mit der Erhöhung der Strafen vor allem für Sexualdelikte und Delikte gegen Minderjährige „mit unterschiedlicher Vehemenz ab“. Da diese Einwände einfach vom Tisch gefegt würden, werde das Gefühl vermittelt, Kritik sei unerwünscht.

Besonders stieß sich der Vizekanzler daran, dass junge Erwachsene von 18 bis 21 Jahren bei mehreren Delikten mit Erwachsenen gleichgestellt werden. Immerhin gebe es für sie kein Lebenslang, denn sonst wäre man gleich ins Jahr 1851 zurückgeführt worden, merkte er nicht ohne Sarkasmus an. Ungeachtet dessen sieht Jabloner einen „zivilisatorischen Rückschritt“.

Anzeigepflicht für medizinisches Personal ausgeweitet

Der freiheitliche Justizsprecher Harald Stefan versuchte, die aus seiner Sicht richtigen Relationen herzustellen. Er betonte, dass nur bestimmte besonders schwerwiegende Delikte aufgenommen worden seien, bei denen diese Altersgruppe besonders gehäuft als Täter vorkomme. Das bedeute Strafen, die mit fünf Jahren Minimum bedroht seien – bei Delikten, die gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität gingen, bei Völkermord, Kriegsverbrechen oder Beteiligung an terroristischen Vereinigungen.

ÖVP und FPÖ setzen sich bei höheren Strafen für Gewaltdelikte durch

Die ehemaligen Koalitionspartner ÖVP und FPÖ haben am Mittwoch als Reaktion auf eine Frauenmordserie in Österreich vor wenigen Monaten höhere Strafen für Gewaltdelikte im Nationalrat beschlossen.

Zu den weiteren Kritikpunkten von Opferschutzvereinen zählte, dass die Anzeigepflicht für medizinisches Personal ausgeweitet wird. Hier wurde mittels Abänderungsantrags noch eine Einschränkung vorgenommen, wie ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker ausführte. Demnach sollen Volljährige ein volles Recht haben, der Anzeigepflicht zu widersprechen. Es sei denn, es drohe unmittelbare Gefahr, wie Stefan ergänzte.

SPÖ spricht von „Schmarren“

Dass beispielsweise bei Vergewaltigung eine Mindeststrafe eingezogen wird, hielt Steinacker für gerechtfertigt: „Wir wollen nicht, dass ein verurteilter Vergewaltiger nicht einen Tag im Gefängnis verbringen muss.“ Die höheren Strafausmaße werden nach Meinung Steinackers präventive Wirkung erzielen.

Das bezweifelten die anderen Parteien. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim bezeichnete die Vorlage als „Schmarren“, SPÖ-Frauenchefin Gabriele Heinisch-Hosek zeigte sich überzeugt, dass die geplanten Verschärfungen dem Opferschutz nicht dienlich seien.

Griss ortet „Stammtischpolitik"

So werde die Verdoppelung von Mindeststrafen dazu führen, dass Frauen sich zurückziehen und keine Anzeige erstatten. Sinnvoller wäre es nach Meinung der SPÖ-Mandatarin, dass ein Aktionsplan für Frauen zum Schutz vor Gewalt, eine Stärkung der Prozessbegleitung sowie einschlägige Weiterbildung für Richter und Staatsanwälte etabliert wird und verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter festgeschrieben werden, aber erst nach der Verurteilung.

Die NEOS-Mandatarin Irmgard Griss nannte die Gesetzesvorlage eine „Mogelpackung“, anständige seriöse vernunftgeleitete Politik schaue anders aus. Stattdessen werde hier „Stammtischpolitik in Reinkultur“ betrieben. Nach Griss’ Einschätzung wird diese Vorlage „wahrscheinlich keine einzige Gewalttat verhindern“. Kein einziger Gewalttäter erkundige sich vorher, wie hoch die Mindest- oder die Höchststrafe sei.

Ein Ordnungsruf zum Abschied

Frauenministerin Ines Stilling mahnte ein, dass man auf die Meinung der Expertinnen und Experten mehr hätte hören können. Die mit dieser Thematik befassten Stellen wüssten besser „als wir alle hier“ Bescheid, was Betroffene brauchen. Gewarnt wurde von Stilling vor unbedachten Fehlern, etwa wenn die gut gemeinte Ausdehnung des Betretungsverbots die Folge habe, dass damit ein Verzicht auf eine Bannmeile bei Schulen einhergehe.

Seitens des JETZT-Klubs sprach der Abgeordnete Alfed Noll von „reinem Aktionismus“ und einer postfaktischen Politik. Vielmehr müsse mehr Geld lockergemacht werden, es fehle sowohl an den Gerichten als auch bei Opferschutzeinrichtungen.

Noll nützte seine letzte Rede im Nationalrat auch gleich für eine Abrechnung mit seinen Abgeordnetenkollegen, die er unter anderem „verbrecherischer Unterlassungen“ zieh. Sein Abschiedsgruß: „Sie sind Fürstendiener, aber keine Volksvertreter.“ Die Zweite Präsidentin Doris Bures (SPÖ) verabschiedete Noll mit einem Ordnungsruf.

Kein Bargeld in der Verfassung

Auf der Tagesordnung des Nationalrats stand am Mittwoch auch der Versuch, das Recht auf Bargeld in der Verfassung zu verankern. Dieser scheiterte jedoch. Weder ein Abänderungsantrag der SPÖ, noch ein von FPÖ und ÖVP gemeinsam eingebrachter und der ursprüngliche FPÖ-Initiativantrag erreichten die nötige Zweidrittelmehrheit. Das Bargeld in der Verfassung sei eine „lange freiheitliche Forderung“, sagte FPÖ-Mandatar Erwin Angerer vor dem Votum: „Wir stehen für Selbstbestimmung und Freiheit.“

Der Anlauf, die „Schuldenbremse“ in der Verfassung zu verankern, ging hingegen durch. Dafür gestimmt hatten ÖVP, FPÖ und NEOS sowie die fraktionslosen Mandatare David Lasar und Efgani Dönmez. Mit der „Schuldenbremse“ soll die Einhaltung der EU-Budgetvorgaben zur verfassungsrechtlich abgesicherten Verpflichtung werden. Demnach dürfte das jährliche Defizit des Bundes maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen, jenes von Ländern und Gemeinden maximal 0,1 Prozent. Bisher war das einfachgesetzlich sowie im Finanzausgleich geregelt. Das Vorhaben zur „Schuldenbremse“ hat jedoch eher symbolischen Charakter – es wird voraussichtlich im Bundesrat scheitern, weil SPÖ und Grüne dagegen sind und daher in der Länderkammer die nötige Zweidrittelmehrheit fehlt.

Peschorn für neues Asylregulativ

Den Beginn der Sitzung am Mittwoch hatte zuvor die „Aktuelle Europastunde“ der FPÖ markiert. Dabei wurden die Themen Asyl und Zuwanderung behandelt. Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) warb dabei für den australischen Weg, der da laute „No way“. Österreich müsse keine Asylwerbenden aufnehmen, da das Land von sicheren Drittstaaten umgeben sei. Der ÖVP-Abgeordnete Reinhold Lopatka stellte einen starken EU-Außengrenzenschutz in den Mittelpunkt seiner Rede. Seitens der SPÖ wurde die ÖVP-FPÖ-Regierung dafür kritisiert, kein einziges Rückführungsabkommen abgeschlossen zu haben. Er würde sich daher schämen, so eine Debatte zu initiieren, meinte Klubvize Jörg Leichtfried.

Innenminister Wolfgang Peschorn empfahl, dass sich Österreich für ein verpflichtendes Außengrenzenverfahren aussprechen sollte. Die Asylwerber sollten dort verweilen, bis rasch über ihren Asylstatus entschieden sei. Für das Funktionieren von Schengen brauche es ein neues von allen Staaten in der EU akzeptiertes Regulativ: „Erst dann werden wir es wieder schaffen, ohne Kontrollen reisen zu können“, so Peschorn.

Die „Aktuelle Stunde“ der SPÖ widmete sich dann dem Thema „Runter mit den Mieten ‐ neues Wohnrecht für leistbares Wohnen“. Die SPÖ machte die Regierung von ÖVP und FPÖ für Versäumnisse verantwortlich. ÖVP, FPÖ und NEOS wiederum sprachen den SPÖ-Vorschlägen ihre Wirksamkeit ab bzw. sahen diese als kontraproduktiv.

Klimanotstand erklärt

In einem Entschließungsantrag bekannte sich der Nationalrat schließlich dazu, einen Climate Emergency, also Klimanotstand, zu erklären und damit die Eindämmung der Klima- und Umweltkrise und ihrer schwerwiegenden Folgen als Aufgabe höchster Priorität anzuerkennen. Abgelehnt wurde das nur von der FPÖ. Deren Abgeordneter Walter Rauch sprach von einem Versuch, „Klimahysterie abseits von jeglichen Realitäten“ zu erzeugen.

Einstimmig abgesegnet wurde danach eine Ökostromoffensive. ÖVP und FPÖ bedauerten zwar, dass das große Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz durch die Neuwahl nicht mehr gelungen sei, insgesamt gab man sich fürs Erste aber sehr zufrieden. Umweltministerin Maria Patek betonte, dass die am Mittwoch beschlossene verstärkte Förderung Österreich weniger abhängig von Energieimporten mache, die teils auch aus keinen sauberen Quellen kämen. Mit dem Klimaschutz wird auch eine andere einstimmig beschlossene Maßnahme begründet: Der Einbau von Ölkesselanlagen in Neubauten wird ab 2020 verboten.

Rechtsanspruch auf Pflegekarenz

Beschlossen wurde außerdem ein Rechtsanspruch auf Pflegekarenz bzw. auf Pflegeteilzeit von bis zu zwei Wochen für Arbeitnehmende in Betrieben mit zumindest fünf Beschäftigten. Darüber hinaus besteht im Fall eines längeren Pflegebedarfs die Möglichkeit, eine Vereinbarung über eine längere Pflegekarenz bzw. Pflegeteilzeit zu treffen. Für Betriebe mit weniger als fünf Arbeitnehmern besteht die Möglichkeit eines Rechtsanspruchs durch Betriebsvereinbarung.

Die entsprechenden Neuerungen basieren auf einem Initiativantrag der SPÖ, der im Plenum des Nationalrats mittels eines von der SPÖ, ÖVP, FPÖ und der Liste JETZT eingebrachten Abänderungsantrags in die nun beschlossene Form gebracht wurde. Das Votum fiel schließlich einstimmig aus, auch wenn NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker Zweifel an der Qualität des Gesetzes äußerte.

U-Ausschüsse erledigt

Im Plenum sorgte am Mittwoch auch noch einmal der BVT-Untersuchungsausschuss für Emotionen. Dieser wurde auch formal abgeschlossen. Für den Zustand des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, der allgemein als mangelhaft beschrieben wurde, schoben sich die Parteien gegenseitig die Verantwortung zu. Nach dem BVT-Untersuchungsausschuss wurde auch jener zum Eurofighter-Komplex mit der Behandlung des Abschlussberichts im Plenum des Nationalrats formal erledigt. Einig war man sich darin, dass die dritte Auflage des Eurofighter-Ausschusses seine Berechtigung hatte.

Für einige Abgeordnete war die Nationalratssitzung am Mittwoch die voraussichtlich letzte. Sie verabschiedeten sich teilweise in ihrer letzten Rede aus dem Hohen Haus. Die prominentesten Abgänge waren die Dritte Präsidentin Anneliese Kitzmüller, die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Griss sowie der seit 1998 im Parlament vertretene SPÖ-Abgeordnete Jarolim. Auch die JETZT-Abgeordnete Stephanie Cox und die fraktionslose Abgeordnete Martha Bißmann verabschiedeten sich.