In Anlehnung an ein Zitat des „großen Steuermanns“ Mao Zedong, der am 1. Oktober 1949 die Gründung der Volksrepublik ausgerufen hatte, lautete die Botschaft zum Feiertag: „Ohne die Kommunistische Partei gäbe es kein neues China.“ Mit der Truppenschau will die kommunistische Führung nach Angaben von Experten militärische Stärke, ihren Machtanspruch und internationalen Gestaltungswillen demonstrieren. In einer schwarzen Limousine des Typs „Rote Flagge“ stehend nahm Xi Jinping als Oberkommandierender die Truppen auf der Straße des Ewigen Friedens ab.
„Es gibt keine Macht, die die Grundlagen dieser großen Nation erschüttern kann“, sagte der Präsident in einer Rede zu Beginn der Zeremonie. „Keine Macht kann den Fortschritt des chinesischen Volkes und der Nation aufhalten.“ Er rief zur Einigkeit auf und versprach dem Milliardenvolk „noch mehr Wohlstand“.
Krisen und internationale Kritik
Obwohl viele Fabriken in der Hauptstadt geschlossen worden waren, gab es zur Parade Smog. Empfohlene Grenzwerte wurden um das Sechsfache übertroffen. Die Feiern wurden gleich von mehreren Krisen und der Kritik an großen Menschenrechtsverletzungen überschattet. Dazu zählt neben den Protesten in Hongkong auch der Handelskrieg mit den USA, der das für die Ruhe im Land und damit für die Regierung wichtige Wachstum in China und auch die globale Konjunktur bremst. In China grassiert zudem die Afrikanische Schweinegrippe, sie könnte die Hälfte des Bestandes dahinraffen.
Auch steht China wegen der Inhaftierung von Uiguren in Umerziehungslagern und der Verfolgung von Tibetern in der Kritik. International zumindest skeptisch gesehen wird auch der Um- und Ausbau des Landes zum Überwachungsstaat mit Gesichtserkennung, Sozialkreditsystem und ausgeklügelter Analysesoftware. Die kommunistische Führung zensiert das Internet nach strengen Regeln. Ausländische Seiten wie Facebook, Twitter und auch jene westlicher Medien sind blockiert.
Proteste und Unruhen in Hongkong
Auch in Hongkong wurde der Nationalfeiertag gefeiert – allerdings abgeriegelt von der Öffentlichkeit. Im Messezentrum verfolgten geladene Gäste eine Flaggenzeremonie, die per Livestream übertragen wurde. Zwei Helikopter mit einer großen chinesischen und einer kleineren Hongkonger Fahne flogen über den Hafen der früheren britischen Kronkolonie. Aus Angst vor Ausschreitungen waren Straßen gesperrt und U-Bahn-Stationen geschlossen. 6.000 Polizisten wurden mobilisiert.
Trotz des Verbots gingen Zehntausende Menschen für Demokratie und Menschenrechte auf die Straße. „Freiheit für Hongkong“ und „Hongkong, gib Gas“ riefen zumeist schwarz gekleideten Demonstranten am Dienstag bei einem großen Protestmarsch im Zentrum der chinesischen Sonderverwaltungszone und stimmten die Hymne der Protestbewegung an.
Auch an anderen Orten in der Millionenstadt kamen Demonstranten zu Protestaktionen zusammen. Dabei kam es erneut zu Zusammenstößen radikaler Demonstranten mit der Polizei. Aktivisten blockierten Straßen und legten Feuer, worauf die Beamten mit Tränengas reagierten. Mehrere Personen sollen verletzt worden sein. Ein Mann soll durch Schüsse der Polizei verwundet worden sein.
China feiert 70. Gründungstag
Auf dem Platz des Himmlischen Friedens gab es die bisher größte Militärparade des Landes, wie ORF-China-Korrespondent Josef Dollinger aus Peking berichtet.
Eigene Waffensystem sollen Schwächen übertünchen
Bei der Feier in Peking war man indes um das Zeigen von Stärke bemüht: Chinas Militär präsentierte bei der Parade erstmals eine neue Interkontinentalrakete und einen sehr schnellen Gleitflugkörper. Als ein Höhepunkt wurde am Ende der Waffenschau die „Dong Feng 41“ (Ostwind) präsentiert, die nach Expertenangaben mit bis zu zehn nuklearen Sprengköpfen bestückt in einer halben Stunde die USA erreichen kann.
Sie zählt zu den mächtigsten Raketen in der Welt. Ihre Reichweite beträgt zwischen 12.000 und 15.000 Kilometer. Die 21 Meter lange Rakete kann von mobilen Startrampen auf Lastwagen oder Zügen sowie aus Silos gestartet werden. Die Zahl der Sprengköpfe im chinesischen Nukleararsenal wird auf 290 geschätzt. Rund 180 bis 190 sollen für landgestützte Raketen sein, während die anderen von Schiffen oder U-Booten sowie von Flugzeugen gestartet werden können. Die USA hingegen verfügen über 6.185 Atomsprengköpfe in ihrem Arsenal, so das Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI).
Gleitflugkörper mit fünffacher Schallgeschwindigkeit
Mit Spannung war auch der neue Hyperschallgleiter „DL-17“ erwartet worden. Der Gleitflugkörper gilt als gefährliche Waffe, da er fünffache Schallgeschwindigkeit erreicht, niedrig fliegen und Luftabwehrsysteme überwinden kann. Der Gleiter kann mit konventionellen und atomaren Sprengköpfen ausgerüstet werden. Eine Standardrakete startet ihn, doch trennt sich der Gleiter mit einem eigenen Triebwerk bei einer bestimmten Höhe von dem Trägersystem und sucht sich sein Ziel. China verfolgt nach eigenen Angaben eine Nukleardoktrin, wonach es nicht als erstes Land Atomwaffen einsetzen würde, sondern nur als Vergeltung für einen nuklearen Angriff.
TV-Hinweis
Das „Weltjournal“ widmet sich am Mittwoch um 22.30 Uhr in ORF2 den gefährlichen Gegensätzen zwischen Arm und Reich in Hongkong. Anschließend beleuchtet das „Weltjournal +“ um 23.05 Uhr die Proteste in Hongkong.
Die präsentierte Ausrüstung sei „komplett selbst produziert“, sagte Generalmajor Cai Zhijun, Vizedirektor des Generalstabs. Es solle die „unabhängige Innovationsfähigkeit“ der chinesischen Verteidigungsindustrie demonstrieren. „Das chinesische Militär wird resolut die nationale Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen verteidigen.“
Xi positioniert sich zu Hongkong und Taiwan
Mit Blick auf die seit fünf Monaten anhaltenden Proteste in Hongkong forderte Xi bei seiner Festrede „langfristige Stabilität“ in der chinesischen Sonderverwaltungsregion. Er bekräftigte den Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“, nach dem die frühere britische Kronkolonie autonom regiert wird. Er betonte aber auch mit Blick auf Taiwan den Grundsatz der „friedlichen Wiedervereinigung“. Peking betrachtet die demokratische Insel als Teil der Volksrepublik. „Der Kampf für eine vollständige Wiedervereinigung des Vaterlandes muss fortgesetzt werden.“
Alles muss auf Linie sein
Auch präsentiert die chinesische Propaganda am Nationalfeiertag die Errungenschaften Chinas, das mit seiner Reform- und Öffnungspolitik seit den 1980er Jahren zur zweitgrößten Volkswirtschaft nach den USA aufgestiegen ist. „Wir sind nicht mehr das arme China von vor 70 Jahren“, sagte Zhu Lijia, Professor der Verwaltungshochschule: „China ist stark und reich geworden.“ Es geht nach Angaben der Expertin Kristin Shi-Kupfer vom Berliner China-Institut MERICS „um die Kampfbereitschaft der Kommunistischen Partei unter Xi Jinping“ – „deswegen die Militärparade“.
Innenpolitisch sei „eine ideologische Disziplinierung“ gefordert, sagte Shi-Kupfer. Aus Sicht Pekings brauche es absolut ergebene Parteikader, die „zuallererst der Linie des Parteivorsitzenden folgen“ und in der Lage seien, die „Kämpfe“ des 21. Jahrhunderts zu führen. Dazu zählten das langsamere Wirtschaftswachstum und die Auseinandersetzung mit „feindlichen Kräften“.