Proteste gegen Vermummungsverbot iin Hong Kong
Reuters/Tyrone Siu
Demonstrationen in Hongkong

Regierung erließ Vermummungsverbot

Die Hongkonger Regierung hat ein Notstandsgesetz aktiviert und damit ein Vermummungsverbot bei Protesten in der chinesischen Sonderverwaltungszone erlassen. Das teilte Regierungschefin Carrie Lam am Freitag vor der Presse mit. Das Verbot von Masken und anderer Vermummung gilt von Samstag an bei öffentlichen Versammlungen in der Sonderverwaltungszone.

Demonstranten und Demonstrantinnen in Hongkong tragen Masken, um sich vor Tränengas zu schützen. Außerdem wollen sie verhindern, dass die Polizei sie identifiziert – beispielsweise mit einer in China weit verbreiteten Software für Gesichtserkennung. Wie das Vermummungsverbot in der Praxis durchgesetzt wird, muss sich zeigen. Auch stellt sich die Frage, was mit Journalisten und Journalistinnen passiert, die über Demonstrationen berichten und sich auch mit Gesichtsmasken gegen Tränengas schützen.

Das Vorgehen ist höchst umstritten, weil sich die Regierung Hongkongs angesichts der Demonstrationen erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert auf das Notstandsgesetz beruft. „Die öffentliche Ordnung ist in einem gefährlichen Zustand“, sagte Lam. Die Gewalt habe zugenommen. Die Täter hätten fast immer ihre Gesichter bedeckt. „Wir können nicht erlauben, dass die Situation immer schlimmer wird.“ Sollte das mit dem Vermummungsverbot nicht gelingen, müssten noch andere Maßnahmen ernsthaft in Erwägung gezogen werden.

Proteste gegen Vermummungsverbot iin Hong Kong
APA/AFP/Nicolas Asfouri
Die Demonstrantinnen und Demonstranten tragen aus mehreren Gründen Gesichtsmasken

Aktivisten brachten Verbot vor Oberstes Gericht

Aktivisten brachten das Vermummungsverbot aber in einem Eilantrag vor das Oberste Gericht. Der frühere Studentenführer Lester Shum, und der „Langhaar“ genannte Veteran der Demokratiebewegung, Leung Kwok Hung, versuchten am Freitagabend, noch vor dem Inkrafttreten des Vermummungsverbotes eine einstweilige Verfügung zu erreichen. Wie Shum auf seiner Facebook-Seite berichtete, wollte sich das Gericht tatsächlich noch am Abend damit befassen, was ungewöhnlich ist.

Am Freitag demonstrierten unterdessen erneut Tausende maskierte Demonstranten gegen die pekingtreue Regierung. Unter anderem errichteten sie Straßenbarrikaden im Geschäftsviertel der Stadt. Der bekannte Demokratieaktivist Joshua Wong sagte, das Gesetz „markiert den Anfang vom Ende Hongkongs“. Es sei eine Ironie, dass „eine Waffe der Kolonialzeit von der Regierung Hongkongs und der Kommunistischen Partei Chinas genutzt wird“, sagte Wong der Nachrichtenagentur AFP.

UNO mahnte zu Mäßigung

„Das ist ein uraltes Regelwerk aus Kolonialzeiten, das nur genutzt wird, wenn keine andere Gesetzgebung mehr möglich ist“, sagte der regierungskritische Anwalt Martin Lee. „Wenn man einmal damit angefangen hat, gibt es kein Halten mehr.“ Auch Beobachter sehen das Verbot als drastischen Schritt, mit dem die in Bedrängnis geratene Regierungschefin auf Linie der Pekinger Führung die Proteste unter Kontrolle zu bringen versucht.

Das UNO-Menschenrechtsbüro in Genf mahnte die Führung in Hongkong zu Mäßigung. „Das Recht auf friedliche Versammlung ist ein Grundrecht, das ohne Einschränkungen in größtem Umfang sichergestellt werde sollte“, sagte eine Sprecherin. Insgesamt greift die Führung in Hongkong inzwischen härter durch. So erhielten Polizisten laut einer neuen Dienstvorschrift kürzlich mehr Handlungsspielraum, was den Einsatz von Gewalt angeht.

„Schätzt Hongkong – beendet die Gewalt“

Obwohl die Regierungschefin das Notstandsgesetz bemühte, versuchte sie die Kritik zu zerstreuen: „Das bedeutet nicht, dass Hongkong im Notstand ist.“ Auch werde nicht formell der Notstand ausgerufen. Sie hoffe, dass Hongkong mit dem Vermummungsverbot wieder zu Frieden zurückkehre. Dem Parlament werde die Vorschrift auf der nächsten Sitzung am 16. Oktober vorgelegt werden, um sie zu einem Gesetz zu machen.

Hong Kongs Regierungschefin Carrie Lam
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Carrie Lam war vor Verschärfung der Maßnahmen in Peking

Die Polizei kann künftig auch jede Person in der Öffentlichkeit bei hinreichendem Verdacht auffordern, zur Identifizierung einen Gesichtsschutz abzulegen. Wer dem nicht folgt, muss mit Strafen bis zu sechs Monaten Haft rechnen. Lam trat mit ihrem ganzen Kabinett vor die Presse, um Geschlossenheit zu demonstrieren. Hinter ihnen stand auf einem großen Wandbildschirm die Parole „Schätzt Hongkong – beendet die Gewalt“.

Von Zensur bis Hausdurchsuchungen

Das Gesetz „für Notfälle und bei öffentlicher Gefahr“ wurde 1922 von den britischen Kolonialherren erlassen und erst zweimal angewandt: um im selben Jahr einen Streik von Seeleuten niederzuschlagen, der den Hafen lahmgelegt hatte, und 1967 bei Unruhen und Protesten prokommunistischer Kräfte gegen die britische Kolonialherrschaft.

Das Gesetz unter Kapitel 241 ermöglicht der Regierungschefin auch noch weitere Notstandsmaßnahmen, „die als notwendig im öffentlichen Interesse betrachtet werden“. Ausdrücklich genannt werden unter anderem Zensur, erleichterte Festnahmen und Haftstrafen, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme und die Unterbrechung von Kommunikationsnetzwerken.

Proteste gegen Vermummungsverbot iin Hong Kong
Reuters/Tyrone Siu
Zum Jubiläum der Volksrepublik eskalierten die Proteste – hier friedliche Demonstranten

Eskalation der Proteste am 70. Gründungstag

Die deutliche Verschärfung des Vorgehens gegen die Demonstranten erfolgte kurz nach dem Besuch von Lam in Peking, wo sie am Dienstag an der Militärparade und den Feiern der kommunistischen Führung zum 70. Gründungstag der Volksrepublik teilgenommen hatte. Die Demonstrationen waren am Dienstag in Hongkong eskaliert. Erstmals wurde ein Demonstrant, ein 18-jähriger Student, angeschossen. Rund hundert wurden verletzt. 269 Menschen wurden festgenommen – so viele wie nie zuvor an einem Tag. Seit Ausbruch der Proteste wurden damit rund 2.000 Menschen festgenommen.

Vermummungsverbot in Hongkong

Ab Samstag ist in Hongkong das Tragen von Gesichtsmasken bei öffentlichen Versammlungen verboten. Die Regierung beruft sich dabei auf ein Notstandsgesetz aus der britischen Kolonialzeit.

Der angeschossene Demonstrant wurde angeklagt. Wie die Polizei am Donnerstag mitteilte. Der 18-jährige Tsang Chi-kin muss sich wegen Randalierens und des Angriffs auf Polizisten verantworten. Dem Studenten drohen bei einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft. Der Polizist, der den Schuss abfeuerte, gab an, in Notwehr gehandelt zu haben.

Videoaufnahmen zeigen, dass Tsang den Polizisten zuvor mit einer Eisenstange angreifen wollte. Der Schüler wurde lebensgefährlich verletzt ins Krankenhaus gebracht, nach Behördenangaben hat sich sein Zustand inzwischen stabilisiert.

Proteste weiteten sich inhaltlich aus

In Hongkong gibt es seit Monaten Massenproteste gegen die wachsende Einflussnahme der Regierung in Peking und die Beschneidung der Bürgerrechte. Die Proteste hatten sich anfänglich gegen ein geplantes Gesetz gerichtet, das Überstellungen von Verdächtigen an Festland-China vorsah. Mittlerweile richten sich die Proteste aber generell gegen die prochinesische Führung in Hongkong und die Einschränkung der Demokratie.

Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie mit einem eigenen Grundgesetz nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ autonom regiert. Die Hongkonger stehen unter Chinas Souveränität, genießen aber – anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik – mehr Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, um die sie jetzt fürchten.

BBC: Reiche Einwohner wollen sich absetzen

Unterdessen verlassen reiche Hongkonger vermehrt die Stadt und setzen sich ins Ausland ab, wie die BBC am Freitag berichtete. Sie seien auf der Jagd nach ausländischen Pässen, so die BBC weiter. Vor allem Länder mit „goldenen Visa“ werden ausgesucht, also Länder, in denen man sich gegen ein großes Investment niederlassen oder gar die Staatsbürgerschaft bekommen kann, so die BBC weiter. Einige Vermittlungsunternehmen hätten in den letzten Wochen einen großen Anstieg des Geschäfts vermeldet. Da keine Lösung für den Konflikt in Sicht sei, würden ihre Klienten „Sicherheit“ suchen, so die BBC.