Wenn die Habsburgermonarchie zu Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts so manche Frage des geeinten, mehrsprachigen Europas vorweggenommen (und vielleicht auch vorhergesehen) hat, dann ist die Universität Innsbruck mit ihrer Geschichte ein Seismograf für Umgang und Debatten eines Vielvölker- und damit Mehrsprachenstaats. Braucht es eine starke, gerade die Administration verbindende Einheitssprache? Oder muss man möglichst vielen unterschiedlichen Kulturen auf jeder Ebene eine Chance zur Repräsentation geben?
Als man mit 1859 und 1866 die Lombardei und Venetien verloren hatte, kam der Universität Innsbruck eine Rolle in verstärktem Maße zu: Sie sollte die Funktion einer italienischen Universität für die italienischsprachigen Bürger Cisleithaniens übernehmen. Womit sich die Frage stellte, ob Italienisch auf Tiroler Boden offizielle Unterrichts- und vor allem Prüfungssprache sein sollte. Das immerhin in Zeiten des erstarkenden italienischen Nationalbewusstseins (Risorgimento) auf der einen Seite und des erstarktem Deutschnationalismus nach 1848 gerade im Bereich akademischer Verbände auf der anderen.
Deutsch als einende Klammer?
Der Versuch, italienischsprachige Akademiker in ihrer Landessprache zu habilitieren und damit mit einer Lehrbefugnis an der Universität auszustatten, hatte im Verlauf des späten 19. Jahrhunderts an der Uni Innsbruck zu zahlreichen Verwerfungen geführt. Die Administration in Wien, etwa in Gestalt der Reformen von Unterrichtsminister Leo Graf von Thun-Hohenstein, wollte Deutsch als einende Klammer im Reich in Verwaltungsfragen und damit auch im akademischen Bereich durchsetzen.
350 Jahre Uni Innsbruck
Auf der Grundlage eines Jesuitengymnasiums und finanziert mit einer Sondersteuer auf das Salz aus Hall wurde am 15. Oktober 1669 durch Kaiser Leopold I. eine Volluniversität mit vier Fakultäten in Innsbruck gegründet.
Die Uni begeht ihre Geschichte mit einer Reihe an Sonderveranstaltungen, darunter einer Diskussion von Altbundespräsident Heinz Fischer mit der Zeitzeugin Anita Lasker-Wallfisch am 17. Oktober 2019 im Kaiser-Leopold-Saal um 18.00 Uhr.
Dem hätten, wie etwa der Historiker Christoph Aichner erinnert, das Recht der Uni auf Gestaltungsautonomie ebenso entgegengestanden wie eine pragmatische Überlegung: „Die Universität argumentierte, dass nur bei italienischen Prüfungen garantiert sei, dass italienische Studenten die Prüfung bestehen konnten.“ Im damaligen Kronland Tirol meinte der Begriff Südtirol ja tatsächlich den italienischsprachigen Teil Tirols, also die Gebiete südlich der Salurner Klause.
Für die italienischen Studenten um 1900 sei, wie die Expertin an der Uni Innsbruck für diese Frage, Gunda Barth-Scalmani, erinnert, „eine italienische Universität in Österreich“ das Maximalziel gewesen, gipfelnd auch in der Forderung einer Anstalt auf italienischsprachigem Boden: „Trieste o nulla“ („Triest oder nichts“). In Innsbruck hatte man sich seit 1864 für einen gewissen Pragmatismus entschieden; so konnten künftige Beamte an der Juridischen Fakultät Kurse in Italienisch ablegen. Der Versuch, den Trentiner Juristen Francesco Minestrina auf Italienisch zu habilitieren, hatte zu einem ersten Kulturkampf zwischen neuerdings selbstbewussten Italienern und Deutschtreuen geführt.
Eine kakanische Lösung
Wien suchte damals einen pragmatischen Ausgleich und schuf in Innsbruck die „selbständige rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät mit italienischer Vortrags- und Geschäftssprache“, für die man außerhalb der Universität in Wilten eine Wohnung adaptierte. Die geplante Lösung, erinnert Barth-Scalmani, habe niemanden zufriedengestellt: „Die Italiener erhielten nur eine Fakultät und keine Universität, und noch dazu in Innsbruck und nicht in Triest oder Trient, die Deutschen aller politischen Couleurs wollten keine italienische Einrichtung in Innsbruck.“
Buchhinweis
Zur Geschichte der Universität erscheint bei der Innsbruck University Presse eine große dreibändige Forschungsgeschichte, herausgegeben von Margret Friedrich und Dirk Rupnow.
Die Eröffnung der Fakultät am 3. November 1904 war im aufgeheizten Klima der Zeit zwar erstaunlich ruhig verlaufen; eine Feier am Abend im Gasthof Weißes Kreuz sollte aber zum Pulverfass werden und in den „Fatti d’Innsbruck“ münden. Am Ende der Feierlichkeiten im Weißen Kreuz waren italienische und deutsche Studenten unterschiedlicher Couleurs aufeinandergestoßen – und gaben einen Vorgeschmack auf die aufgeheizte Stimmung, die das Habsburgerreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs durchzog.
Ein Ladiner wird zum deutschen Märtyrer
Bei den Straßenkämpfen, die in der Nacht erst durch Beiziehung des Militärs beendet werden konnten, starb der Kunstmaler August Pezzey, ein Ladiner, den man sofort zum deutschen Märtyrer hochstilisierte. Sein Begräbnis mit 3.000 Teilnehmern wurde zum patriotischen Korso gegen die italienischen Umtriebe in Innsbruck umgedeutet. Auf italienischer Seite waren mit Cesare Battisti und Alcide De Gasperi (später bekannt durch das Gruber-De-Gasperi-Abkommen) zwei prominente Proponenten des italienischen Irredentismus beteiligt. Der Sozialist Battisti, der ja noch Abgeordneter des Reichsrats und Tiroler Landtags gewesen war, 1915 aber aufseiten Italiens im Krieg gegen Österreich eintrat, hatte ja bis zu seiner Hinrichtung 1916 in Trient die Meinung vertreten, dass die Salurner Klause die kulturelle Grenze zwischen Österreich und Italien sei. Damit stand er im Widerspruch zum Dichter und Aktivisten Gabriele D’Annunzio, der wie später der Faschist Ettore Tolomei die Grenze zwischen Italien und Österreich am Brenner gezogen sehen wollte.
Die Wissenschaft für die Einheit Tirols
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bemühte sich die Uni Innsbruck vor allem, dem drohenden Verlust Südtirols wissenschaftliche Argumente entgegenzuhalten. In verschiedensten Publikationen versuchten die unterschiedlichen Fachbereiche, wie Ina Friedmann und Dirk Rupnow erinnern, „die Einheit Gesamttirols zu untermauern“. Historiker, Ethnografen, Sprachforscher und Rechtsexperten hätten versucht, „durch wissenschaftliche Forschungsergebnisse die politische Zielsetzung zu unterstützen“. Alleine die Bemühungen der Universität blieben vergebens. Gegen die Ergebnisse des Vertrags von St. Germain gab die Universität im Frühjahr 1920 eine Erklärung heraus, um als „einer der ältesten Kulturträger in österreichischen Landen die Stimme zu erheben, um die Verzweiflung und Not eines Volkes, wie sie die Welt noch nie erlebt, der gesitteten Menschheit ins Bewusstsein zu hämmern“. In einer außerordentlichen Sitzung hielt der Akademische Senat schließlich am 10. Oktober 1920 eine „Trauerfeier“ ab und beendete so das Südtirol-Kapitel.
Die politisierte Hinwendung zur Südtirol-Frage
Als Resultat dieser intensiven Beschäftigung mit Südtirol während der Jahre 1918 bis 1920 könne „die deutschnational geprägte und politisierte Hinwendung zu dieser Region an der Universität Innsbruck“ angesehen werden.
Für den Zeithistoriker und Dekan an der Uni Innsbruck Dirk Rupnow ist die Auseinandersetzung mit den Etappen der eigenen Geschichte jedenfalls zentraler Auftrag für das jetzige Jubiläum, bei dem man auch genauer auf die Zeit des Nationalsozialismus an der Uni hinsieht.
„Es ist ein wichtiges Statement der Universität Innsbruck, sich im Jubiläumsjahr gewissermaßen selbst eine neue Geschichte zu schenken – und in dieser einen deutlich sichtbaren Schwerpunkt auf das 20. Jahrhundert mit seinen Brüchen und Verwerfungen, zwei Diktaturen und ihren Nachfolgen zu legen“, so Rupnow, der das Innsbrucker Institut für Zeitgeschichte leitet. Es gehe ja nicht darum, die 350 Jahre einfach abzufeiern, sondern einen vorbehaltlosen, durchaus selbstkritischen Blick auf die Innsbrucker Unigeschichte zu werfen, was viel zu lange unterblieben sei.
Abzuwarten ist, wie man in Tirol mit der Umgestaltung des Heldenadlers vor der Universität durch den Künstler Wolfgang Flatz reagiert. Für Freitag war eine „Intervention“ im „Heiligen Land“ und an seinen Monumenten angesetzt.