In der Schwedischen Akademie wird der Nobelpreis vergeben
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Literaturnobelpreis

Heuer doppelt ungewöhnlich

Nach dem Vergewaltigungsskandal und den darauffolgenden Querelen in der Schwedischen Akademie ist die Vergabe des Literaturnobelpreises im Vorjahr ausgefallen. Heuer wird die Auszeichnung dafür gleich doppelt verliehen. Die Chancen stehen gut, dass er an zwei Schriftstellerinnen geht.

Am Donnerstag werden die Preise für die Jahre 2019 und 2018 vergeben. Was die Quoten bei den Wettanbietern betrifft, spielen Autoren dieses Mal nur eine Nebenrolle. Am höchsten gehandelt wird die kanadische Dichterin, Übersetzerin und Wissenschaftlerin Anne Carson. Die 69-Jährige unterrichtet klassische griechische und römische Literatur an der Universität Toronto. Ihre Faszination für die Erzählkunst der Antike spiegelt sich in ihrem Werk wider.

In Österreich ist Carson vergleichsweise unbekannt. Anders verhält es sich mit einer weiteren großen Favoritin: Margaret Atwood. Ihr im Jahr 1985 erschienener dystopischer Roman „Der Report der Magd“ begeisterte mehrere Generationen. Der Inhalt des Buches wurde zur Vorlage für die Serie „The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd“, was Atwood einem noch größeren Publikum bekannt machte. Vor wenigen Wochen löste die mittlerweile 79 Jahre alte Kanadierin mit „Die Zeuginnen“, der Fortsetzung des „Reports der Magd“, einen weltweiten Hype aus.

Autorin Anne Carson
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Favoritin Carson: In Österreich ist die Dichterin und Wissenschaftlerin vergleichsweise wenig bekannt

Handke als Geheimtipp

Neben Carson und Atwood gelten die im französischen Überseegebiet geborene Autorin Maryse Conde, die polnische Erzählerin Olga Tokarczuk und Ljudmila Ulizkaja, die russische und jüdische Erzähltraditionen zusammenführt, als Favoritinnen für den wichtigsten Literaturpreis der Welt. Ebenfalls auf der Liste steht die Chinesin Deng Xiaohua, die unter dem Pseudonym Can Xue bekannt ist. Ihre Werke werden der experimentellen Literatur zugerechnet und sind bisher nicht auf Deutsch erschienen.

Bei den Schriftstellern sind es die „Dauerbrenner“ der vergangenen Jahre, die heuer zum Zug kommen könnten. Allen voran Haruki Murakami („Kafka am Strand“) und der Kenianer Ngugi wa Thiong’o („Abschied von der Nacht“). Außenseiterchancen werden auch Peter Handke eingeräumt, der zuletzt 2017 einen Roman veröffentlichte („Die Obstdiebin – oder – Einfache Fahrt ins Landesinnere“).

Skandal erschütterte Akademie

Mit der doppelten Preisvergabe versucht die Schwedische Akademie, wieder für positive Schlagzeilen zu sorgen. Die Querelen um das mittlerweile ausgetretene Akademiemitglied Katarina Frostenson und ihren Ehemann Jean-Claude Arnault haben den Ruf der Institution ramponiert.

Der Skandal war bereits im November 2017 im Zuge der „#MeToo“-Enthüllungen ins Laufen gekommen. Arnault wurde in Schweden wegen Vergewaltigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, nachdem 18 Frauen in der schwedischen Zeitung „Dagens Nyheter“ Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung und Übergriffen gegen den Franzosen vorgebracht hatten. Zudem warf die Akademie Frostenson und Arnault vor, die Literaturnobelpreisträger vorab ausgeplaudert und damit gegen ihre Geheimhaltungspflicht verstoßen zu haben.

Autorin Maryse Conde
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Ebenfalls hoch gehandelt bei den Wettanbietern wird Conde

Der Umgang mit dem Skandal um Arnault sorgte innerhalb der Akademie für großen Streit: Es entbrannte ein Machtkampf um das weitere Vorgehen, und die sonst so diskreten Mitglieder überhäuften einander öffentlich mit Gehässigkeiten. Sieben der 18 Mitglieder traten schließlich zurück, daraufhin war die Akademie nicht mehr beschlussfähig: Zum ersten Mal seit 70 Jahren musste die Ernennung des Literaturnobelpreisträgers deshalb im vergangenen Jahr verschoben werden.

Hoffen auf Neubeginn

Inzwischen hat sich die Akademie erneuert. Es gibt einen neuen Vorsitzenden, neue Mitglieder und neue Statuten, die künftig für mehr Transparenz sorgen sollen. Unter anderem sei intensiv daran gearbeitet worden, die Abläufe in der Organisation zu klären und Verantwortlichkeiten abzustimmen, um so die Transparenz sowohl innerhalb der Institution als auch zwischen der Akademie und der Außenwelt zu verbessern, sagte der neue Ständige Sekretär Mats Malm der dpa. Das Nobelkomitee sei zudem erweitert worden und bestehe nun zur Hälfte aus externen Mitgliedern.

Autor und Literatur-Nobelpreisgewinner2017 laureate Kazuo Ishiguro erhält Nobelpreis
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Der bisher letzte Literaturnobelpreisträger: Kazuo Ishiguro („Was vom Tage übrigblieb“, l.) wurde 2017 ausgezeichnet

Ob die Akademie bei der Doppelvergabe lieber auf Nummer sicher geht und von kontroversen Entschlüssen wie der Vergabe des Preises an den US-Musiker Bob Dylan 2016 absieht, wird sich zeigen. Für 2018 hat sich die Akademie nach dpa-Informationen 194 Kandidatinnen und Kandidaten angeschaut, für 2019 insgesamt 189. Diese Namen werden traditionell für 50 Jahre unter Verschluss gehalten.

Erst weisen muss sich, ob die Entscheidung der Akademie, zwei Literaturnobelpreise zu vergeben, die richtige ist. Die frühere Ständige Sekretärin Sara Danius hält das Vorgehen für einen Fehler. Aus Respekt vor den Frauen, die Opfer des Mannes im Zentrum des Skandals geworden seien, hätte man sich entschließen sollen, für 2018 auch nachträglich keinen Preis zu vergeben, sagte sie im März im schwedischen Fernsehen. „So hätte man in Erinnerung behalten können, dass tatsächlich etwas passiert ist. Wie ein Sprung in der Scheibe.“