Soldaten naher der Grenze zu Syrien
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Syrien

Türkei will vor Einmarsch „alle informieren“

Nach der Ankündigung Ankaras, „in Kürze“ eine Militäroffensive in Syrien zu starten, will die Türkei offenbar zuvor „alle beteiligten Länder“, darunter auch Damaskus selbst, über den Einmarsch informieren. Das sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Mittwoch. Die Kurden im Norden Syriens bereiten sich unterdessen auf den Einmarsch vor – und schlossen auch Unterstützung durch die syrische Regierung nicht aus.

Im Rahmen einer Pressekonferenz sagte Cavusoglu, dass die Operation im Einklang mit dem Völkerrecht durchgeführt werden soll und dass das einzige Ziel der Offensive Kämpfer in der Region seien, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.

Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nordsyrien waren für die USA im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) einer der wichtigsten Verbündeten. Ankara stuft die YPG-Miliz wegen ihrer Nähe zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) hingegen als „Terrororganisation“ ein. Seit 2016 ist die Türkei bereits zweimal gegen die YPG-Miliz in Nordsyrien vorgegangen.

Soldaten in Lastwagen naher der Grenze zu Syrien
APA/AFP/Bulent Kilic
Die Türkei verstärkte ihre militärische Präsenz an der Grenze zu Syrien

Im Gespräch ist die Errichtung einer „sicheren Zone“ in Nordsyrien, über die USA und Türkei verhandeln, wie der türkische Nachrichtensender NTV berichtete. Ein Mitarbeiter des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan soll mit dem Nationalen Sicherheitsberater der USA, Robert O’Brien, in einem Telefonat Details dazu besprochen haben.

Kurden verkünden Generalmobilmachung

Die Kurden im Norden Syriens reagierten am Vormittag auf die Pläne der Türkei und kündigten eine dreitägige Generalmobilmachung an. Angesichts der zunehmenden Drohungen der Türkei und ihrer syrischen „Söldner“ würden alle aufgerufen, sich an die Grenze zu begeben, um in diesen „kritischen historischen Momenten“ Widerstand zu leisten, hieß es in einer Erklärung.

Die kurdische Autonomieverwaltung rief die im Ausland lebenden Kurden dazu auf, gegen die Pläne der Türkei auf die Straße zu gehen. Sie kündigte zudem an, die USA und die gesamte internationale Gemeinschaft für eine mögliche „humanitäre Katastrophe“ verantwortlich zu machen. Die USA hatten zu Wochenbeginn Soldaten aus Stellungen in Nordsyrien abgezogen und damit das Feld für eine türkische Militäroffensive bereitet.

Grafik zeigt Karte Syriens
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Ein Sprecher der Kurden in Nordsyrien sagte, man werde sich „alle Optionen offenhalten“, wenn die Türkei in Syrien einmarschiert. Er schloss auch nicht aus, mit der syrischen Regierung und anderen regionalen Kräften zusammenzuarbeiten, um die Türkei zurückzudrängen. Er nannte jedoch keine weiteren Details. Aus Damaskus gab es Kritik an den Plänen Erdogans: Bei den „rücksichtslosen Erklärungen und feindlichen Absichten des türkischen Regimes“ handle es sich um einen offenen Verstoß gegen die Souveränität des Landes, hieß es aus dem Außenministerium in Damaskus.

Sprecher kündigte Offensive an

Der türkische Regierungssprecher Fahrettin Altun schrieb in der Nacht auf Mittwoch, dass man die Grenze zu Syrien „in Kürze“ überschreiten werde. Nach dem Abzug der USA aus dem Gebiet hätten die Kurden zwei Möglichkeiten, so Altun in einem Gastbeitrag in der „Washington Post“. „Wenn sie wirklich daran interessiert sind, den Islamischen Staat zu bekämpfen, können sie ohne Verzögerung überlaufen. Oder sie können ihren Kommandanten zuhören, die sagen, dass sie die türkischen Streitkräfte bekämpfen werden. In diesem Fall haben wir keine andere Wahl, als sie daran zu hindern, unsere staatlichen Bemühungen gegen den IS zu unterbrechen“, so Altun.

Minister: Vorbereitungen in vollem Gange

Medienberichte, wonach der Militäreinsatz bereits begonnen habe, wies der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar am Mittwoch zurück. Die Truppenverlegung und „Vorbereitungen“ auf die Offensive „sind noch in vollem Gange“, sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.

Die Türkei verstärkte in den vergangenen 24 Stunden ihre militärische Präsenz in der Grenzregion. Ein AFP-Reporter berichtete von einem Konvoi mit Dutzenden gepanzerten Fahrzeugen nahe der Stadt Akcakale in der Provinz Sanliurfa. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, verschiedene Arten von Baumaschinen seien Teil des Konvois gewesen, der zur Verstärkung der militärischen Einheiten an die Grenze geschickt worden sei.

Auch Fahrzeuge und Kämpfer der von der Türkei unterstützten syrischen Rebellen wurden in Stellung gebracht. Sie seien aus der Region westlich des Flusses Euphrat Richtung Osten unterwegs, meldete Anadolu. Bei der Stadt Manbidsch, die westlich des Flusses liegt, sollten die Rebellen mögliche Angriffe „der PKK“ abwehren, hieß es.

Militärschlag an syrisch-irakischer Grenze

Die Türkei griff nach eigenen Angaben eine Nachschubroute der kurdischen Kämpfer an der syrisch-irakischen Grenze an. Eines der Hauptziele des Militärschlags in der Nacht auf Dienstag sei es gewesen, „vor dem Einsatz in Syrien“ eine häufig von Kurden genutzte Transitstrecke zwischen dem Irak und Syrien zu unterbrechen, sagte ein Vertreter der Sicherheitskräfte. „Auf diese Weise sind der Transit der Gruppe nach Syrien und Versorgungslinien einschließlich Munition abgeschnitten.“

Türkische Präsident Tayyip Erdogan
Reuters/Djordje Kojadinovic
Der türkische Präsident Erdogan kündigte eine baldige Militäroperation an

UNO ruft zu „maximaler Zurückhaltung“ auf

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres mahnte im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen alle Beteiligten zu „maximaler Zurückhaltung“ im Norden Syriens. Er verfolge die jüngsten Kommentare in dieser Hinsicht „mit großer Sorge“, sagte Guterres laut Mitteilung am Dienstag in New York. Zivilistinnen und Zivilisten sowie zivile Einrichtungen müssten geschützt werden, und der humanitäre Zugang zu Bedürftigen müsse gewährleistet bleiben, forderte der UNO-Chef.

Trump: Haben Kurden nicht im Stich gelassen

US-Präsident Donald Trump bestritt unterdessen, die Kurden im Stich gelassen zu haben. Die USA seien vielleicht dabei, Syrien zu verlassen, „aber wir haben die Kurden, die besondere Menschen und wunderbare Kämpfer sind, in keiner Weise im Stich gelassen“, twitterte Trump am Dienstag. Die USA unterstützten die Kurden finanziell und mit Waffen.

Trump warnte die Türkei, dass jede „ungezwungene oder unnötige" Kampfhandlung der Türkei für die Wirtschaft und Währung“ des Landes „verheerend“ wäre. Zugleich lobte er die Türkei als Handels- und NATO-Partner. Der türkische Präsident soll am 13. November nach Washington kommen, wie aus einem von Trumps Tweets hervorging.

Kritik an Trumps Entscheidung, Truppen aus Syrien abzuziehen, kam nicht nur von den Kurden, sondern auch aus den eigenen Reihen. Führende US-Republikaner warfen ihm vor, die Kurdenmilizen in Nordsyrien im Stich zu lassen und damit ihr Leben angesichts der erwarteten türkischen Militäroffensive aufs Spiel zu setzen.

Lawrow: Abzug könnte „ganze Region in Brand setzen“

Auch Russland kritisierte die US-Politik. Außenminister Sergej Lawrow sagte am Mittwoch, der Truppenabzug der USA aus Nordsyrien könne „die ganze Region in Brand setzen“. Die Äußerungen aus Washington hätten die Kurden „extrem beunruhigt“. Die USA spielten ein „sehr gefährliches Spiel“, indem sie widersprüchliche Signale zum US-Truppenabzug nach Syrien schickten, sagte Lawrow.