Frau und Mann auf der Straße
ORF.at/Dominique Hammer
Aufholbedarf für EU

Geschlechtergleichheit im Schneckentempo

67,4 von 100 Punkten – das erreicht die EU im Gender Equality Index, der am Dienstag vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) in Brüssel präsentiert worden ist. „Im Schneckentempo“, wie es heißt, bewege sich die EU langsam in Richtung Geschlechtergleichheit. Spitzenreiter unter den Mitgliedsländern ist Schweden, Österreich liegt hinter dem EU-Durchschnitt.

„Es gibt noch viel Raum für Verbesserungen“, schrieben die Autorinnen und Autoren in ihrem Bericht, denn seit 2005 hat sich der EU-Wert um nur 5,4 Punkte erhöht – und seit 2015 gar nur um 1,2 Punkte. Schaut man auf die ganze EU, liegen die Bereiche Gesundheit (88,1 von 100 Punkten) und Geld (80,4 Punkte) noch am nächsten beim Optimalwert, also der vollständigen Gleichheit zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft. In anderen Sparten aber sieht die Situation bedenklicher aus. Der Bereich Einfluss etwa, erzielte in der EU insgesamt nur 51,9 Punkte.

Jedoch muss zwischen den Mitgliedsstaaten differenziert werden. Schweden liegt auf Platz eins (83,6), gefolgt von Dänemark (77,5). In Griechenland (51,2) und Ungarn (51,9) ist die Geschlechtergleichheit unter allen EU-Mitgliedsstaaten noch am wenigsten erreicht. Italien (+ 13,8) und Zypern (+ 10,4) entwickelten sich indes im Vergleich zur letzten Studie 2005 am bedeutsamsten weiter, während sich in Litauen am wenigsten Veränderung abgezeichnet hat.

Einfluss und Zeit drückt Österreichs Wert

Blickt man auf das Länderranking, hat sich in Österreich nicht viel getan. Platz 13 hatte Österreich auch schon vor über zehn Jahren inne. „Wir sehen, dass der Fortschritt seit 2005 extrem langsam vonstatten ging“, sagte die an der Studie beteiligte Genderforscherin Blandine Mollard im Interview mit ORF.at. „Wir sehen, dass der Fortschritt wirklich im Schneckentempo verläuft.“

Grafik zeigt den Vergleich zwischen Österreich und der EU im Bezug auf den Gender-Equality-Index
Grafik: ORF.at; Quelle: Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen

Der aktuelle Wert Österreichs von 65,3 Punkten ist um 2,1 Punkte niedriger als der EU-Durchschnitt. Was Österreichs Wert drückt, sind die Sektoren Einfluss (39,9) und Zeit (61,2). Mollard erklärte im Gespräch mit ORF.at, was es mit den beiden Bereichen auf sich hat. Einfluss bedeutet, dass in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Soziales eine große Lücke zwischen den Machtverhältnissen von Frauen und Männern klafft.

Der Zeitaspekt bezieht sich auf den zeitlichen Aufwand, den Frauen und Männer für Pflege und Betreuung anderer in Anspruch nehmen. „Wir sehen eine große Ungleichheit zwischen jener Zeit, die Frauen in den Haushalt, in das Umsorgen von Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen stecken, und jener Zeit, die Männer investieren“, so Mollard.

Österreich in der Teilzeitfalle

Das zeige sich außerdem darin, dass Frauen in Österreich häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer. „Viermal so häufig“, spezifizierte die Forscherin. Das hänge auch damit zusammen, dass Österreich viele Ziele bei der Kinderbetreuung noch nicht erreicht habe. „In Österreich sind nur 18 Prozent der Kinder unter drei Jahren in institutioneller Kinderbetreuung“, so die Forscherin. „Da die Infrastruktur der Kinderbetreuung nicht ausreichend vorhanden ist, bedeutet das eine besondere Herausforderung für Frauen, Verantwortlichkeiten in der Familie und jene in der Arbeit unter einen Hut zu bringen.“

Das Um und Auf, um den Gender Equality Index in die Höhe zu treiben, ist laut Mollard das genaue Monitoring aller Bereiche der Gesellschaft und vor allem „absolute Transparenz“. Das schließe Gehältertransparenz mit ein und in Folge auch gleiche Bezahlung von gleicher Arbeit. Auch sei die ausgeglichene Repräsentation von Frauen und Männern in großen Firmen und politischen Ämtern wichtig, um Vorbild für die Gesellschaft zu sein.

„Nachhaltige Maßnahmen unausweichlich“

Obwohl Österreich hinter dem EU-Schnitt zurückbleibt, ist die Lücke zwischen Österreich und der EU mit der Zeit immerhin kleiner geworden. Am wenigsten Ungleichbehandlung erfahren Frauen bzw. Männer in Österreich übrigens in den Bereichen Gesundheit (91,7) und Geld (86,4). Die größten heimischen Fortschritte gab es bei Einfluss (+ 10,4) und Wissen (+ 5,2), weniger rasch aufwärts ging es indes im bereits hoch im Ranking stehenden Gesundheitssektor (+ 0,3), aber auch bei der Zeit (+ 1,0) und bei der Arbeit (+ 2,9).

Grafik zeigt den Vergleich zwischen Männern und Frauen im Bezug auf den Gender-Equality-Index
Grafik: ORF.at; Quelle: Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen

Genderforscherin Mollard warnte die EU-Länder allerdings davor, sich auf ihren bereits erreichten Lorbeeren auszuruhen. Es könne auch zu Rückschritten kommen, wenn man den Genderaspekt nicht in allen Bereichen mitdenke: „Nachhaltige Maßnahmen sind unausweichlich, wenn man keinen Rückschritt möchte“, so Mollard.

Von der Leyen für verbindliche Lohntransparenz

Interesse daran, Gleichheit zwischen den Geschlechtern zu erzielen, hat auch die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie kündigte eine neue europäische Gleichstellungsstrategie an. Bereits in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit sollen verbindliche Maßnahmen zur Lohntransparenz vorgeschlagen werden.

Zudem will von der Leyen Quoten für eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in Leitungsgremien von Unternehmen. Weiters will sie bei Gewalt gegen Frauen mit neuen Rechtsvorschlägen vorangehen. Und auch der neuen EU-Kommission sollen, zumindest wenn es nach den ursprünglichen Plänen der designierten Kommissionspräsidentin geht, gleich viele Frauen wie Männer angehören.

„Finnland will Gender Equality ins Rampenlicht stellen“

Ähnliche Maßnahmen wünscht sich Finnland, das gerade den EU-Ratsvorsitz innehat. „Finnland will Gender Equality ins Rampenlicht stellen“, heißt es in einem Statement von Tanja Auvinen, Vizedirektorin der Abteilung Gender und Gleichheit des finnischen Sozialministeriums, an ORF.at. Geschlechtergleichheit sei außerdem ein „grundlegender Wert der EU“.

In der Praxis wünschen sich die Finnen und Finninnen, Geschlechtergleichheit in allen Bereichen der Politik zu verankern. Dafür müsse auch Geld in die Hand genommen werden, sagt Auvinen. „Es bedeutet auch Investitionen und Haushaltsmittel zu entwickeln, um Gleichstellungsziele zu unterstützen“, so die Genderbeauftragte. Finnland selbst befindet sich auf Platz vier des aktuellen Gender Equality Index.

EIGE-Forscherin Mollard hat eine Erklärung dafür. Regierungen wie jene in Finnland und auch das im Index erstgereihte Schweden würden es schaffen, Gender-Mainstreaming in ihre politische Arbeit miteinzubeziehen. Um welchen Bereich es auch immer gehe – ob Arbeit, Schule oder Transport – es gebe auch einen Genderbeauftragten bzw. eine -beauftragte, die sich damit befasse, erklärte Mollard. Politik und Gesellschaft müssten auch in anderen Ländern verstehen lernen, „dass Frauen und Männer unterschiedliche Bedürfnisse haben“.

Zu wenige Daten bei Intersektionalität und Gewalt

Jedes Jahr ermitteln die EU sowie alle ihre Mitgliedsstaaten, wie weit sie es in Gleichstellungsfragen gebracht haben. Dafür nutzen die Forscherinnen und Forscher eine Skala von eins bis 100, wobei eins für absolute Ungleichheit zwischen den Geschlechtern steht und 100 für absolute Gleichheit. Die Werte basieren auf den Unterschieden zwischen Männern und Frauen in sechs Bereichen: Arbeit, Geld, Wissen, Zeit, Einfluss und Gesundheit. Thematisch konzentriert sich der Gender Equality Index auch auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Die Informationen erhält EIGE von den EU-Mitgliedsstaaten direkt bzw. von Eurostat, das die Daten mittels Umfragen erhebt. „Wir sind vollständig davon abhängig, vergleichsbasierte Daten zu erhalten, sodass wir robuste und sichere Schlussfolgerungen ziehen können“, gibt Mollard ORF.at einen Einblick in ihre Forschung. Hierbei werden Zahlen zum Arbeitsmarkt, Einkommen, Lebensqualität und Gesundheit herangezogen.

Zwei weitere Bereiche sind in den Index integriert, haben jedoch keinen Einfluss auf die Endnote. Der Bereich der Überschneidung von Ungleichheiten (Intersektionalität) hebt zwar hervor, wie sich die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in Kombination mit Alter, Behinderung, Geburtsland, Bildung und Familientyp manifestieren, jedoch gibt es zu wenige vergleichbare Daten. Und auch bei Gewalterfahrungen von Frauen und Männern sind die Daten laut EIGE derzeit noch zu ungenau, um ausreichende Schlüsse und Vergleiche ziehen zu können.