Syrischer Bub auf seinem Fahrrad in der Grenzstadt Tal Abyad
APA/AFP/Bakr Alkasem
Syrien

USA und Türkei einigen sich auf Waffenruhe

Nach den heftigen Gefechten der vergangenen Tage in Nordsyrien hat die Türkei am Donnerstagabend zugesichert, alle militärischen Aktionen für 120 Stunden zu unterbrechen. Das sagte US-Vizepräsident Mike Pence nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. In dieser Zeit solle die Kurdenmiliz YPG aus der Region abziehen, hieß es. Die von den Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) wollen die Feuerpause akzeptieren.

Der Militäreinsatz der Türkei werde enden, sobald die YPG komplett abgezogen ist. Laut Pence will US-Präsident Donald Trump die gegen die Türkei wegen der Militäroffensive verhängten Sanktionen bei einer dauerhaften Waffenruhe in Nordsyrien wieder aufheben. Vorerst würden keine weiteren Strafmaßnahmen gegen die Türkei verhängt, sagte er.

Die kurdischen Kämpfer im Norden Syriens sind bereit, die zwischen den USA und der Türkei ausgehandelte Feuerpause zu akzeptieren. „Wir werden alles tun, damit die Waffenruhe ein Erfolg wird“, sagte der Kommandant der SDF, Maslum Abdi, heute Abend dem kurdischen Fernsehsender Ronahi TV. Allerdings gilt nach seinen Worten die Vereinbarung nur für das Gebiet zwischen den Städten Ras al-Ain und Tal Abjad.

Pence sagte zuvor, dass sich die Türkei und die USA zusätzlich zu dem Abkommen über die Waffenruhe dazu verpflichtet hätten, die Aktivitäten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Nordostsyrien zu bekämpfen. Dabei soll es auch um die Koordinierung von Maßnahmen zu Gefangenenlagern und zu Binnenflüchtlingen in vormals vom IS kontrollierten Gegenden gehen.

Türkei soll angestrebte „Sicherheitszone“ errichten

Ein hoher türkischer Regierungsvertreter bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass die Türkei mit den USA eine Vereinbarung zum Abzug der YPG-Miliz von der türkischen Grenze getroffen habe, um dort eine „Sicherheitszone“ einzurichten. In der Vergangenheit hieß es, dass die Türkei jenseits ihrer Südgrenze einen 30 Kilometer breiten Streifen für diese Zone ziehen würde. Erdogan hatte noch kurz vor dem Besuch aus den USA betont, dass eine Waffenruhe nicht infrage komme, solange das Ziel einer „Sicherheitszone“ nicht erreicht sei.

Türkischer Premier Erdogan und US-Vizepräsident Pence
AP/Presidential Press Service
Erdogan und Pence trafen sich am Donnerstag zu Gesprächen

Die „Sicherheitszone“ war ebenfalls Gegenstand der Verhandlungen. Man habe sich dazu verpflichtet, „eine friedliche Lösung für die Zukunft der ‚Sicherheitszone‘“ zu schaffen, sagte Pence. In dieser Zone will die Türkei außerdem Millionen syrische Flüchtlinge ansiedeln, die derzeit noch in der Türkei leben. An diesem Plan scheint die Regierung auch nach dem Abkommen zum Abzug der Kurdenmilizen festzuhalten. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, der nach Pence sprach, sagte: „Es geht auch darum, dass Menschen, die ihre Häuser in Syrien verlassen mussten, Menschen, die bei uns sind und die in Syrien verdrängt wurden, und Migranten in diese Regionen zurückkehren.“

Trump sieht „Millionen Leben gerettet“

Eine US-Delegation unter Führung von Pence sowie der türkische Präsident Erdogan hatten das Abkommen am Donnerstag in mehrstündigen Verhandlungen erzielt. US-Präsident Donald Trump twitterte: „Tolle Neuigkeiten aus der Türkei. … Millionen Leben werden gerettet.“

Die Türkei will unterdessen die Vereinbarung mit den USA zur Aussetzung der Kämpfe gegen die Kurdenmiliz YPG nicht als Waffenruhe verstanden wissen. Die Offensive werde nicht gestoppt, sondern „unterbrochen“, sagte Cavusoglu in Ankara. Wenn die YPG innerhalb von fünf Tagen abgezogen sei, ihre schweren Waffen abgelegt und ihre Stellungen zerstört habe, werde die Offensive aber enden, fügte er hinzu.

Heftige Kämpfe in Grenzstadt

Untertags hielten die Kämpfe im Norden Syriens noch an. Schauplatz war einmal mehr die Grenzstadt Ras al-Ain. Von „intensiven Kämpfen“ in Ras al-Ain berichtete am Mittwoch der im nordirakischen Erbil sitzende kurdische TV-Sender Rudaw. Mit Verweis auf Vertreter der autonomen nordsyrischen Kurdenregion berichtete Rudaw auch vom möglichen Einsatz verbotener Waffen wie Napalm und Phosphor.

„Im offensichtlichen Verstoß gegen das Recht und die internationalen Verträge wird die türkische Aggression gegen Ras al-Ain mit allen Arten von Waffen geführt“, zitierte AFP einen Vertreter der auch als Rojava bezeichneten autonomen Kurdenregion. Während auch ein Sprecher der Kurdenmiliz YPG der Türkei den Einsatz „unkonventioneller Waffen“ vorwarf, sprach die Türkei von „falschen Anschuldigungen“.

„Keine chemischen Waffen im Inventar“

„Es ist allgemein bekannt, dass die türkischen Streitkräfte keine chemischen Waffen in ihrem Inventar haben“, sagte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar nach einem Treffen mit dem US-Sicherheitsberater Robert O’Brien, der mit der hochrangigen US-Delegation in Ankara war.

Netzwerk aus Informanten

Die Angaben der in Großbritannien sitzenden Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die sich auf ein Netzwerk aus Informanten in Syrien beruft, sind von unabhängiger Seite schwer überprüfbar.

Laut einem Vertreter der Gesundheitsbehörden von Rojava wird noch untersucht, „welche Art von Waffen gegen uns eingesetzt werden“. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien gibt es keine Bestätigung, sehr wohl aber Indizien für die Vorwürfe: Verletzte seien mit Verbrennungen in ein nahe Ras al-Ain gelegenes Krankenhaus eingeliefert worden.

Gefechte seit rund einer Woche

Die Türkei hatte vor rund einer Woche einen Militäreinsatz gegen die kurdische YPG-Miliz in Nordsyrien begonnen. Die YPG kontrolliert dort ein großes Gebiet. Die Türkei betrachtet sie als Terrororganisation. Für die USA waren die Kurdenkämpfer dagegen lange Verbündete im Kampf gegen den IS. Der türkische Einsatz war international auf scharfe Kritik gestoßen, teilweise aber erst durch einen US-Truppenabzug aus dem Grenzgebiet ermöglicht worden.