Präsident Donald Trump
Reuters/Jonathan Ernst
„Bisschen kämpfen lassen“

Syrien-Konflikt für Trump wie Kinderstreit

US-Präsident Donald Trump hat die militärische Auseinandersetzung zwischen der Türkei und Kurdenmilizen in Nordsyrien mit einem Gerangel zwischen zwei Kindern verglichen. „Manchmal muss man sie ein bisschen kämpfen lassen“, sagte Trump am Donnerstagabend (Ortszeit) bei einem Wahlkampfauftritt im US-Bundesstaat Texas.

„Wie zwei Kinder (…), und dann zieht man sie auseinander.“ Beide Seiten hätten mehrere Tage gekämpft, doch US-Vizepräsident Mike Pence und US-Außenminister Mike Pompeo hätten am Ende eine Einigung erzielt, ohne dass auch nur ein Tropfen amerikanisches Blut vergossen worden sei. Seit Beginn des türkischen Einmarschs in Nordsyrien vor einer Woche wurden Aktivisten zufolge aber Dutzende Zivilisten und Zivilistinnen sowie Hunderte Kämpfer getötet.

Nun habe man sich auf „eine Pause oder eine Waffenruhe“ verständigt, sagte Trump. Das sei ein großartiger Erfolg. Die USA hatten am Donnerstag überraschend eine Waffenruhe im Nordsyrien-Konflikt verkündet. Die Türkei habe zugesagt, ihren Militäreinsatz gegen kurdische Milizen für fünf Tage zu stoppen, sagte Pence nach Gesprächen in Ankara. Das Ziel sei es, dass die Kämpfer der Kurdenmiliz YPG abziehen können. Nach dem vollständigen Abzug solle die Offensive ganz beendet werden.

Eine Grafik zeigt die derzeitige Lage in Nordsyrien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Institute for the Study of War

Türkei: Keine Waffenruhe, Unterbrechung der Offensive

Die Kurdenmilizen stimmten der Einigung zunächst zu. Die türkische Seite sprach ausdrücklich nicht von einer Waffenruhe, sondern von einer Unterbrechung der Offensive. Die Türkei betrachtet die YPG, die an der Grenze zur Türkei ein großes Gebiet kontrolliert, als Terrororganisation. Für die USA waren die Kurden dagegen lange Verbündete im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der türkische Einsatz wurde international scharf kritisiert und teilweise erst durch einen US-Truppenabzug aus dem Grenzgebiet ermöglicht.

Die Gespräche zwischen der hochkarätigen US-Delegation unter Führung von Pence und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hatten in angespannter Atmosphäre begonnen. Erdogan hatte vor Anreise der Delegation keinen Hehl daraus gemacht, dass er an einer Vermittlung im Konflikt sowie einer Waffenruhe kein Interesse habe. Die USA hatten zu Beginn der Woche Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Man begrüßte einander am Nachmittag zunächst mit versteinerten Mienen.

Rückschlag zeichnete sich bereits ab

Nach der Einigung zeichnete sich ein möglicher Rückschlag schon ab: Die kurdischen Kräfte im Nordosten Syriens ließen zwar verlauten, dass sie bereit seien, die zwischen den USA und der Türkei ausgehandelte Feuerpause zu akzeptieren. „Wir werden alles tun, damit die Waffenruhe ein Erfolg wird“, sagte der Kommandant der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Maslum Abdi, am späten Abend dem kurdischen Fernsehsender Ronahi TV. Allerdings gilt nach seinen Worten die Vereinbarung nur für das Gebiet zwischen den Städten Ras al-Ain (kurdisch: Sere Kaniye) und Tal Abjad (Gire Spi).

Türkischer Premier Erdogan und US-Vizepräsident Pence
AP/Presidential Press Service
Erdogan und Pence trafen sich am Donnerstag zu Gesprächen

Das wäre nur ein kleiner Teil der „Sicherheitszone“, die die Türkei seit Langem entlang der Grenze einrichten will und aus der sie mit ihrer Offensive alle Kurdenmilizen vertreiben wollte. Die gemeinsame Erklärung der USA und der Türkei definiert die Ausmaße der betroffenen Zone jedoch nicht. „Wir haben nicht über das Schicksal anderer Gegenden gesprochen“, sagte Abdi mit Blick auf die von der Türkei angestrebte „Sicherheitszone“ im Nordosten Syriens.

Netzwerk aus Informanten

Die Angaben der in Großbritannien sitzenden Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die sich auf ein Netzwerk aus Informanten in Syrien beruft, sind von unabhängiger Seite schwer überprüfbar.

Trotz der Waffenruhe gebe es in der Grenzstadt Ras al-Ain „vereinzelt“ Gefechte, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitagvormittag mit. Es seien Schüsse und Artilleriefeuer zu hören. Nach Angaben der Beobachtungsstelle wurden bisher fast 500 Menschen getötet, darunter Dutzende Zivilisten und Zivilistinnen. Mehr als 300.000 Menschen wurden laut den Angaben vertrieben.

Türkei will vollkommene Kontrolle

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu betonte, dass die Türkei nach wie vor danach strebe, „dass auf 20 Meilen, also 32 Kilometer Tiefe und östlich des Euphrat bis zur irakischen Grenze, also auf einer Länge von 444 Kilometern, kein Terrorist übrig bleibt und die gesamte Region zur Sicherheitszone etabliert wird“. Cavusoglu sagte auch, dass die Türkei die Kontrolle über die Zone haben werde. „Es wurde vollkommene Einigung erzielt, dass die Kontrolle dort von den türkischen Streitkräften übernommen wird.“

In der lange geplanten Zone will die Türkei außerdem Millionen syrische Flüchtlinge ansiedeln, die derzeit noch in der Türkei leben. An diesem Plan scheint die Regierung auch nach dem Abkommen zum Abzug der Kurdenmilizen festzuhalten. Cavusoglu sagte: „Es geht auch darum, dass Menschen, die ihre Häuser in Syrien verlassen mussten, Menschen, die bei uns sind und die in Syrien verdrängt wurden, und Migranten in diese Regionen zurückkehren.“

Sollte die Waffenruhe halten, wollen die USA ihre Sanktionen gegen die Türkei wieder aufheben, sagte Pence und betonte, vorerst würden keine weiteren Strafmaßnahmen gegen die Türkei angeordnet. Die USA hatten wegen der Offensive Sanktionen gegen türkische Minister und Ministerien verhängt sowie die Anhebung von Strafzöllen auf Stahlimporte aus der Türkei und den Abbruch von Gesprächen über ein Handelsabkommen angekündigt.