US-Militärkonvoi an der syrisch-irakischen Grenze
Reuters/Ari Jalal
Trumps Abzug

US-Truppen könnten in Nordsyrien bleiben

US-Präsident Donald Trump hat mit seinem angekündigten Totalabzug aller US-Soldaten aus Syrien ein machtpolitisches Vakuum geschaffen, in das die Türkei und Russland vorgestoßen sind. Nun könnten aber doch kleinere US-Einheiten stationiert bleiben.

Die USA verlegten nach dem Rückzugsbefehl Trumps am Montag Soldaten aus Syrien in den benachbarten Irak. Amerikanische Truppen überquerten den Grenzübergang Sahela, mehr als 100 Fahrzeuge kamen in die nordirakische Provinz Dohuk in der Autonomen Region Kurdistan, wie die Nachrichtenagentur Reuters von dort berichtete.

Allerdings könnten entgegen Trumps Ankündigung – mit dem Totalabzug möchte dieser vor allem im Vorwahlkampf punkten – nun doch US-Soldaten in Nordsyrien stationiert bleiben. US-Verteidigungsminister Mark Esper bestätigte am Montag, dass vorerst nicht alle US-Truppen aus den syrischen Kurdengebieten abgezogen werden. Vielmehr sollen kleine Einheiten in der Nähe von Ölfeldern stationiert bleiben. Zusammen mit dem bisherigen Alliierten, den Demokratischen Kräften Syriens (SDF), solle verhindert werden, dass die Ölvorkommen in die Hände der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) oder anderer Kräfte fallen. Eine Entscheidung, ob diese US-Einheiten länger stationiert bleiben oder später auch abgezogen werden, ist laut Esper bisher nicht gefallen.

Realität anders als Trumps Tweets

Esper schloss zudem nicht aus, dass US-Einheiten vom Irak aus fallweise in Syrien Anti-Terror-Aktionen durchführen könnten. Jedenfalls werden die aus Syrien abgezogenen US-Einheiten – anders als von Trump behauptet – nicht in die USA heimgeholt. Sie verbleiben bis auf Weiteres im Irak. „Irgendwann“ würden sie in die USA zurückberufen, versuchte Esper am Wochenende Trumps falsche Aussage mit der Realität in Einklang zu bringen.

Am Samstag hatte Esper gesagt, dass alle der nahezu 1.000 im Norden Syriens stationierten Soldaten im westlichen Irak erwartet würden, um den Kampf gegen den IS fortzusetzen und dabei zu helfen, den Irak zu verteidigen.

Kurden setzen Rückzug fort

Die Kurdenmiliz YPG setzte unterdessen zu Wochenbeginn ihren Abzug aus umkämpften Gebieten fort. Seit Beginn des Rückzugs aus der Grenzstadt Ras al-Ain am Sonntag hätten 100 Fahrzeuge die syrische Grenze in die Region Dohuk im Nordirak überquert, erfuhr die dpa aus kurdischen Quellen. In Dohuk, das zur Autonomen Region Kurdistan gehört, leben überwiegend Kurden.

Das türkische Verteidigungsministerium teilte mit, es überwache den Rückzug der Kurdenmilizen in Koordination mit den USA und behindere diesen nicht. Unklar ist aber, ob alle Parteien über das gleiche Abzugsgebiet sprechen. Für die Kurdenmilizen gilt der Rückzug nur für die Region zwischen den Städten Ras al-Ain und Tal Abjad. Die Türkei dagegen erwartet, dass die YPG aus einem viel größeren Gebiet von 32 Kilometer Tiefe und 444 Kilometer Länge abzieht. In der gemeinsamen türkisch-amerikanischen Erklärung zur Waffenruhe ist kein Gebiet spezifiziert.

US-Militärkonvoi an der syrisch-irakischen Grenze
Reuters/Ari Jalal
Das Gros, aber nicht alle US-Truppen haben Syrien mittlerweile verlassen

IS-Kämpfer kommen frei

Eine der befürchteten Folgen des US-Abzugs hat sich ebenfalls bewahrheitet: Immer mehr der gefangenen IS-Kämpfer und deren Angehörige, die in Camps von kurdischen Truppen überwacht wurden, kommen frei. Laut russischem Verteidigungsministerium vom Montag sind mittlerweile zwölf dieser IS-Gefängnisse und acht Flüchtlingscamps unbewacht.

Trump hatte kürzlich überraschend entschieden, die US-Soldaten aus Syrien abzuziehen. Er erntete dafür scharfe Kritik auch aus den eigenen Parteireihen, weil er damit den Weg für eine türkische Offensive in der Region frei machte. Diese richtet sich gegen die über Jahre hinweg an der Seite der USA gegen den IS kämpfenden Kurdenmilizen in Syrien. Trumps Kritiker werfen ihm vor, nicht nur die einstigen engen Verbündeten im Stich zu lassen, sondern auch den Kampf gegen den radikalislamischen IS zu schwächen.

Erdogan kündigt nächste Phase an

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte am Montag unterdessen an, dass er nach einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Dienstag über das weitere Vorgehen des türkischen Militärs in Nordsyrien entscheiden werde, ohne sich zu Details zu äußern. Putin, der nach der Kehrtwende der US-Außenpolitik mittlerweile der wichtigste Faktor in Syrien ist, empfängt Erdogan im Schwarzmeer-Ort Sochi. Am Dienstag endet auch die fünftägige Waffenruhe, der Erdogan nach Gesprächen mit US-Vizepräsident Mike Pence letzte Woche zugestimmt hatte.

Eine Grafik zeigt die derzeitige Lage in Nordsyrien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Institute for the Study of War

Damit sollte den kurdischen Kämpfern der Abzug aus dem Grenzgebiet zur Türkei ermöglicht werden. In diesem nordsyrischen Gebiet will die Türkei eine „Sicherheitszone“ einrichten. Die Türkei will zunächst offenbar eine „Sicherheitszone“ von 120 Kilometer Länge einnehmen. Das berichtete die Nachrichtenagentur AFP am Montag unter Berufung auf türkische Militärs. Die Zone solle von Tal Abjad bis Ras al-Ain reichen. Im weiteren Verlauf solle die Zone auf eine Länge von 444 Kilometern ausgedehnt werden. Dabei strebt Ankara an, dass die „Sicherheitszone“ rund 30 Kilometer tief in das syrische Staatsgebiet hineinragt.

Iran warnt Türkei

Der Iran wiederum warnte Ankara davor, dauerhaft Beobachtungsposten in Syrien zu errichten. Dieser von Erdogan in der Vorwoche angekündigte Plan sei „inakzeptabel“, hieß es vom iranischen Außenministerium. Eine solche Maßnahme werde vom Iran als „Aggression gegen die Souveränität eines unabhängigen Staates“ gesehen, die auf „Widerstand“ Teherans und anderer Länder stoßen werde.

Erdogan drohte am Wochenende damit, die Offensive fortzusetzen, sollten die Kurden bis Dienstag immer noch in dem Gebiet sein. Am Sonntag teilte die kurdisch dominierte Miliz SDF mit, sie habe sich aus dem strategisch wichtigen Grenzort Ras al-Ain zurückgezogen. Mit der Türkei verbündete syrische Rebellen erklärten jedoch, der Abzug sei noch nicht abgeschlossen.