Jean-Claude Juncker
APA/AFP/Frederick Florin
Abschied vor EU-Parlament

Juncker zieht emotionale Bilanz

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg verabschiedet. In seiner Rede lobte er die Schritte seiner scheidenden Kommission wie die Rettung Griechenlands und den „Juncker-Plan“. Doch einiges glückte auch nicht – worauf einige Fraktionsführer im Anschluss aufmerksam machten.

Juncker bedankte sich für die „Freundschaft“ mit EU-Ratspräsident Donald Tusk. Tusk und er seien wie „Zwillingsbrüder“ gewesen, wenn man sich auch nicht immer einig gewesen sei. Auch an das EU-Parlament richtete Juncker Dankesworte. „Sie sind ein Abbild der Demokratie. Sie sind Freunde über Institutionen und Grenzen hinweg, Freunde fürs Leben“, sagte der Kommissionspräsident.

Juncker will nun in Pension gehen. „Ich scheide aus dem Amt nicht betrübt, auch nicht übermäßig glücklich, aber im Gefühl, mich redlich bemüht zu haben“, sagte er. „Ich war stolz darauf, während langer Zeit und vor allem in den letzten fünf Jahren ein kleines Teilchen eines größeren Ganzen zu sein, das wichtiger ist als wir.“ Als „ungeliebtes Gebilde“ bezeichnete Juncker Europa hingegen zum Zeitpunkt, als er sein Amt vor fünf Jahren antrat.

EU-Parlamentarier applaudieren Jean-Claude Juncker
AP/Jean-Francois Badias
Standing Ovations zu Junckers Abschied

Den Tränen nahe war er beim Dank an seine Kommissare: „Ohne sie wäre mir nichts gelungen.“ Als „Kommission der letzten Chance“ bezeichnete er sein Team deshalb. „Diese Frauen und Männer haben sich als Einzelpersonen, aber auch als Team um Europa bemüht“, so Juncker.

Lob für „Juncker-Plan“

Besonderes Lob für die eigene Kommission gab es für die Umsetzung des „Juncker-Plans“. Wie der Kommissionspräsident sagte, sei das BIP der EU bereit um 0,9 Prozent gesteigert worden. 1,1 Millionen Arbeitsplätze habe man schaffen können. Eine Prognose für die Zukunft schickte er voraus: Bis 2022 werde der „Juncker-Plan“ das BIP der EU um 1,8 Prozent steigern und für 1,7 Mio. Arbeitsplätze sorgen.

„Der Juncker-Plan unterstützt derzeit mehr als eine Million Klein- und Mittelunternehmen“, hieß es ergänzend in einer Aussendung der Kommission. Auch die soziale Dimension sei ihm immer wichtig gewesen, so Juncker vor dem EU-Parlament. „Gleiche Arbeit und Beschäftigung erfordert gleiche Löhne.“ Und weiter: „Europa muss auch den Arbeitnehmern gehören.“

Die Rettung Griechenlands

Über Griechenland habe er sich zu Beginn große Sorgen gemacht. „Aber es ist uns gelungen, Griechenland wieder die Würde zu verleihen, die es verdient hat. Zu lange wurde Griechenland mit Füßen getreten, und ich wollte doch ihre Ehre wiederherstellen“, sagte der Kommissionspräsident. Doch viele Regierungen wollten Juncker zufolge, dass die Kommission nichts unternimmt.

Juncker scheidet offiziell zum 1. November aus dem Amt, führt aber noch die Geschäfte, bis seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen starten kann. Der frühere luxemburgische Regierungschef war 2014 nach Brüssel gewechselt. In seine Amtszeit fiel unter anderem die Schuldenkrise, die 2015 fast zum Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone geführt hätte, und die Flüchtlingsbewegung 2015. Im Jahr darauf folgte die Brexit-Entscheidung in Großbritannien, die die Gemeinschaft seither fast pausenlos beschäftigt.

„Höhen und Tiefen“

Von „Höhen und Tiefen“ sei seine Amtszeit dennoch geprägt gewesen. Tiefen deshalb, weil es nicht gelungen sei, Zypern wiederzuvereinigen. Auch ein Abkommen mit der Schweiz habe man nicht erzielen können, ebenso wenig die von Juncker oft gewünschte Bankenunion. „Nicht weil es bei uns gefehlt hätte, sondern bei den Mitgliedsstaaten“, richtete der Kommissionspräsident einen Appell an die EU-Staaten. „Aber wenn wir als Ergänzung der Wirtschafts- und Währungsunion keine Bankenunion ergänzen, dann sind wir nicht richtig vorbereitet auf interne und externe Schocks.“

Es zeichne sich also ab, was zu tun bleibe, so Juncker. Nun sei es aber an der Zeit der designierten EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, den erfolgreichen Kurs fortzuführen. Sie kann wohl nicht vor dem 1. Dezember ihr Amt antreten, weil ihr Personalpaket noch nicht komplett ist. Ein designierter Kommissar aus Ungarn und zwei designierte Kommissarinnen aus Frankreich und Rumänien scheiterten im Nominierungsverfahren. Die drei Mitgliedsstaaten müssen nun alsbald neue Kandidaten bzw. Kandidatinnen präsentieren.

Klimakrise bleibt unerwähnt

Die künftige Kommission dürfe auch nicht auf die „Nachbarn“ vergessen, sagte Juncker weiter in seiner Rede, womit er den afrikanischen Kontinent meinte. „Man darf Afrika nicht nur unter dem Blickwinkel der Flüchtlingskrise sehen, aber wir dürfen die Flüchtlinge auch nicht untergehen lassen“, so Juncker weiter. Er erwähnte auch die zahlreichen Flüchtlinge, die man in den vergangenen fünf Jahren habe retten können.

Das jedoch stieß nicht bei allen Fraktionsführerinnen und Fraktionsführern auf offene Ohren. Philippe Lamberts von den Grünen kritisierte etwa, dass die „Festung Europa“ in Junckers Zeiten noch ausgebaut worden sei. Auch in puncto Klimawandel bleibt ihm zufolge noch sehr viel zu tun. Die Klimakrise erwähnte Juncker in seiner Rede gar nicht.

Jean-Claude Juncker und David Sassoli
AP/Jean-Francois Badias
Ein fröhliches „Auf Wiedersehen“ – die Kritik der Fraktionsführer hielt sich in Grenzen

Auch die Sozialdemokratin Iratxe Garcia Perez übte leichte Kritik an Juncker, da die Konsequenzen der Wirtschaftskrise auch in seiner Amtszeit Europa sehr belastet hätten. Nur etwa die Hälfte habe Juncker umsetzen können – jedoch auch, weil sich viele Mitgliedsstaaten unkooperativ gezeigt hätten. Der Fraktionschef der rechtspopulistischen ID, Marco Zanni, gab sich wenig zuversichtlich: „Das war wahrscheinlich die schlimmste Kommission der letzten 50 Jahre. Aber Sie können sich damit trösten, dass Ihre Nachfolgerin es noch schlechter machen wird.“

Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei (EVP) wählte da schon ganz andere Worte und lobte Juncker emotional. „Du bleibst Begründer dieses demokratischen Europas“, so Weber. Er schätze Juncker außerdem, da er keine Kompromisse bei den europäischen Grundwerten gemacht habe.

„Es zählt, was der Kommissionspräsident sagt“

Auf die Grundwerte der EU ging Juncker auch direkt ein. Denn die Erhaltung des Friedens sei das Wichtigste in der EU. „Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht“, fuhr der Kommissionspräsident fort. Kein Krieg finde in Europa statt, doch „Frieden ist nicht selbstverständlich, wir sollten stolz darauf sein“. Das müsse man auch jungen Menschen erklären, denn schließlich gebe es vor den Toren Europas sehr wohl Kriege und Konflikte.

Anschließend ging Juncker noch auf die demografischen Entwicklungen in der EU ein. „Wir sterben aus“, sagte der Kommissionspräsident schwarzmalerisch, erklärte aber gleich, wirtschaftlich werde Europa stark an Kraft einbüßen, und ergänzte salopp: „Die G-7 sollten verschwinden. Die G-20 sind viel wichtiger.“ Auch das Amt des Kommissionspräsidenten bzw. der Kommissionspräsidentin sei ein wesentliches, was erst kürzlich sein Besuch bei US-Präsident Donald Trump gezeigt habe.

Trump habe ihm erzählt, wie viele europäische Staats- und Regierungschefs er schon in seinen Räumlichkeiten zu Gesprächen willkommen geheißen habe. Worauf ihm Juncker, nach eigener Erzählung, erwiderte: „Alles, was die sagen, zählt nicht, sondern das, was der Kommissionspräsident sagt. ‚I am the man.’“ Seine Rede schloss Juncker mit den Worten: „Es lebe Europa!“