Beine eines sitzenden Mannes neben Kinderbeinen
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Vorwürfe gegen Verein

„Irritierendes“ Spiel mit Kindern

Es soll um das „ursprüngliche Spiel“ gehen, das „keine Regeln, kein Gewinnen und kein Verlieren“ kennt. Bei Kursen des Vereins Original Play spielen fremde Erwachsene mit Kindern in Kindergärten und Schulen auf Matten auf dem Boden. Sie raufen und kugeln herum. Für Experten könnte das eine „Einladung“ zum Missbrauch sein. Der Verein ist auch in Kindereinrichtungen in Österreich aktiv.

In Deutschland gab es bereits Ermittlungen wegen konkreter Missbrauchsvorwürfe von Eltern, in Österreich gibt es Skepsis, aber auch Unkenntnis über diese Methode, wie gemeinsame Recherchen von ZIB2 und ARD zeigen. In Bayern und Hamburg warnen Behörden inzwischen offiziell vor dem Verein.

In Österreich wissen manche Bildungsdirektionen nichts über Original Play. Auch das Bildungsministerium hat keinen Überblick darüber, welche externen Vereine in Kindergärten und Schulen in Österreich zum Einsatz kommen. Das ist Sache der Länder und Gemeinden. Letztlich kann jeder Pädagoge und jede Pädagogin entscheiden, welche Vereine an Kindergärten und Schulen Kurse anbieten.

„Irritierendes“ Spiel mit Kindern

Bei Kursen des Vereins Original Play spielen fremde Erwachsene mit Kindern in Kindergärten und Schulen auf Matten auf dem Boden. Für Experten könnte das eine „Einladung“ zum Missbrauch sein.

„Problematische“ Botschaft

Wie in einem Video aus einem Kindergarten in Niederösterreich zu sehen ist, ist der externe Original-Play-Trainer einige Zeit alleine mit den Kindern im Raum beim Spielen auf den Matten. Die filmende Person sagte dem Trainer, sie wolle bei dem Kurs spontan zusehen, ohne Trainer und Kinder zu kennen. Nach etwa einer halben Stunde wurde die Person eingeladen mitzuspielen.

Der Bildungswissenschaftler Wilfried Datler von der Universität Wien sieht zwar die „Art des wenig strukturierten, vergnüglichen Herumbalgens mit Kindern als etwas Spannendes für die Kinder“. Als „problematisch“ bezeichnet er aber die Botschaft, die dabei transportiert wird, wenn fremde Erwachsene in kurzer Zeit mit Kindern in ein körpernahes Spiel kommen wollen. Es vermittle, dass es „innerhalb kurzer Zeit wünschenswert ist, mit zunächst fremden Personen in solch einen intimen Kontakt zu kommen“. Grundsätzlich ist körperbetontes Spielen wichtig, sind sich die Experten einig – aber mit Vertrauenspersonen wie den Eltern.

Forschung durch Erfahrung

Hinter der vermeintlich pädagogischen Methode von Original Play steht der 76-jährige US-Amerikaner Fred Donaldson. Der studierte Geograf hat keinen pädagogischen oder psychologischen Hintergrund, spricht aber von über 40 Jahren Erforschung seiner Methode – vor allem basierend auf seinen eigenen Erfahrungen.

„Die Idee von Original Play ist mein Versuch, das zu übersetzen, was uns Kinder und Tiere ohne Worte zu verstehen geben. Das ist eine schwierige Angelegenheit – im Wesentlichen geht es um ein universelles Muster, das alle Lebewesen miteinander verbindet“, sagte er gegenüber der ZIB2. Mit seiner Spielmethode sollen Kinder Ängste und Aggressionen abbauen. Original Play bietet auch Kurse in pädagogisch besonders fordernden Bereichen wie bei geflüchteten Kindern an.

Schnelle Ausbildung

Für die Kurse etwa in Kindergärten sind nur wenige Voraussetzungen notwendig. In zweitägigen Workshops bildet Donaldson Trainer und Trainerinnen für seine Methode aus. Nach diesen zwei Tagen können sie für Original Play bereits in Kindergruppen eingesetzt werden. Darüber hinaus gibt es in mindestens zehn Ländern „Lehrlinge“ (Apprentices), die länger ausgebildet werden.

Donaldson will die Zweitagesworkshops aber als Einführung verstanden wissen: „Ich unterrichte nicht das ursprüngliche Spiel. Man lernt es von den Kindern.“ Hintergrundinformationen über die Absolventen der Einsteigerworkshops wie pädagogische Ausbildungen und polizeiliches Führungszeugnis überlässt Donaldson den Kindergärten und Schulen. Diese Einrichtungen sind aber auch nicht verpflichtet, eine Strafregisterbescheinigung einzufordern.

Fred Donaldson
ORF
Donaldson arbeitet seit rund 40 Jahren mit der Methode des ursprünglichen Spiels

Ermittlungen in Deutschland

In Kindertagesstätten in Berlin und Hamburg gab es konkrete Missbrauchsvorwürfe gegen vier Männer. Einer von ihnen ist Vereinsmitglied bei Original Play, drei andere haben Workshops besucht. Zumindest einer der beschuldigten Trainer kam auch in Kindergärten und einer Schule in Österreich zum Einsatz. Hier gibt es bisher aber keine konkreten Vorwürfe gegen ihn oder andere Trainer.

Kinderpsychiater warnt eindringlich vor Original Play

Kinderpsychiater Karl-Heinz Brisch erklärt, wie Original Play auf Kinder wirkt – und warum er Wirksamkeit und Seriosität der Methode stark bezweifelt.

Gegenüber dem ZIB2-ARD-Rechercheteam Christine Baumgartner und Gabi Probst berichteten Eltern aus Deutschland über Missbrauch und Übergriffe in Zusammenhang mit Original Play in Kindertagesstätten. Von blauen Flecken war die Rede, verängstigten Kindern und konkreten Hinweisen auf mutmaßlichen Missbrauch: „Unser Sohn hat uns in dem Kontext mit diesem Original Play sehr ausdrückliche, sexuelle, gewalttätige Dinge erzählt und auch vorgespielt“, sagte ein Vater.

Schwere Vorwürfe

Ein dreijähriges Mädchen aus Hamburg erzählte seiner Mutter beim Abholen aus der Kindertagesstätte, dass der Po wehtue und es einen „Dorn“ darin habe. „Irgendwann hat sie aus heiterem Himmel gesagt, dass dieser Mann, der dieses Original Play anbietet, ihr den Penis in den Po gesteckt hat“, gab die Mutter im Interview an. Das Mädchen machte mehrfach dieselben Angaben.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren dazu ein. Die Tochter hätte vor dem Landeskriminalamt noch einmal aussagen müssen. Darauf verzichteten die Eltern, um das Kind zu schützen. Doch im Zuge der ZIB2- und ARD-Recherchen fordern Politiker in Deutschland nun die Wiederaufnahme der Ermittlungen.

„Schwer, Nein zu sagen“

In Österreich machte Martina Wolf, Geschäftsführerin der Österreichischen Kinderschutzzentren, über ihre Tochter vor einigen Jahren selbst schlechte Erfahrungen mit dem Verein. Als ihre Tochter 13 war, kam ein externes Original-Play-Team in die Schule und wollte mit den Jugendlichen auf den Matten auf dem Boden spielen.

Die Schüler seien „irritiert“ gewesen, so Wolf im ZIB2-Interview. „Es war für die Kinder schwer, Nein zu sagen“, sagte Wolf zudem unter Verweis auf den Gruppendruck. Sie beschwerte sich bei der Schule, der Verein war dennoch in den vergangenen Jahren an Hunderten privaten und öffentlichen Kindereinrichtungen aktiv und ist es derzeit noch in Dutzenden Kindergärten.

„Missbräuchliches Verhalten“

Gegenüber dem ORF gab Donaldson an, nichts von Anschuldigungen über sexuellen Missbrauch bei der Anwendung seiner Methode zu wissen. Original Play sei „theoretisch“ keine Einladung zum Missbrauch: „Das ist ja eine andere Denkweise: Wenn der Verstand sagt, ich werde dich missbrauchen, kann man die Berührungen, die ich unterrichte, nicht verwenden.“

Donaldson schrieb ein Buch über seine Methode („Von Herzen spielen“, übersetzt von Karin Petersen). Im Fokus stehen seine Emotionen und Erfahrungen. In dem Buch schreibt er etwa: „Eines Tages setzte ich ihn (Christian, vier Jahre, Anm.) auf meinen Schoß und begann langsam vor und zurück zu schaukeln. Während ich allmählich schneller schaukelte, wurde Christian immer aufgeregter. (…) Christian und ich sind verbunden durch den ‚magischen Stoff‘ des Universums.“

Szenen wie diese erinnern Michaela Huber an pädokriminelle Videos. Das sei „missbräuchliches Verhalten“. Huber ist Expertin für sexuellen Missbrauch und berät Polizisten in Deutschland im Umgang damit: „Das, was da propagiert wird, ist meines Erachtens sehr, sehr nahe dran an Pädophilie. Es wirbt dafür, dass Kinder keine Grenzen haben sollen, dass in dem Spiel alle Grenzen aufgelöst werden sollen“, sagte sie gegenüber der ZIB. Das Buch und die Methode seien höchst unwissenschaftlich. Das erinnere an „Sektensprache“: „Es ist eine verführerische Sprache, die hier verwendet wird, und es wird auch noch spirituell überhöht.“

Experte für Verbot des Vereins

Auch der Kinder- und Jugendpsychiater Karl-Heinz Brisch von der Paracelsus-Universität Salzburg fand gemeinsam mit seinem Team keine wissenschaftlichen Anhaltspunkte für diese Methode: „Wir haben keine einzige Studie gefunden, die auch nur über diese Art des Original Plays durchgeführt wurde. Das heißt, was der Verein dort verspricht, ist wissenschaftlich nirgendwo erwiesen.“

Im ZIB2-Gespräch zeigte er sich „hochalarmiert“: „Dieser Verein müsste sofort verboten werden, weil er in einer hochkritischen, undifferenzierten Weise Körperkontakt in einer geschützten Situation im Kindergarten zu Kindern sucht, und das in einer vollkommen unkontrollierten Art und Weise.“

Donaldson wütend über Kritik

Angesichts der ZIB2- und ARD-Recherchen zeigten sich Trainer und Trainerinnen dieser Methode besorgt und verwiesen auf jahrelange Erfolge damit. Empört und wütend reagierte Donaldson, als er im ZIB2-Interview auf die Kritik von Experten an seiner Methode konfrontiert wurde: „Sagen Sie mir die Namen dieser Experten. Haben Sie sie gefragt, seit wie vielen Jahren sie Original Play spielen? Haben Sie? Ja oder nein? Sie haben Ihren Job nicht gemacht!" Für Experten ist dieser mangelhafte Umgang mit – sonst ungewohnter – Kritik ein häufiges Merkmal von Gemeinschaften, die sich um eine guruartige Person bilden.