Ermittler neben Lkw
APA/AFP/Ben Stansall
Großbritannien

39 Leichen in Lastwagen entdeckt

Die Polizei in Großbritannien hat 39 Leichen in einem Lastwagencontainer entdeckt. Das Fahrzeug stamme vermutlich aus Bulgarien und sei in einem Industriegebiet in Grays östlich von London gefunden worden, teilte die Polizei in Essex am Mittwoch mit. Die Menschen seien noch an Ort und Stelle für tot erklärt worden.

Der Lkw wurde in Bulgarien von einer Firma registriert, die einer Irin gehört, zitierte der „Independent“ das bulgarische Außenministerium. Hinweise auf die Nationalität der im Lastwagen gefundenen Opfer gebe es noch nicht. Die Leichen wurden im Waterglade Industrial Park in Grays an der Themse in der Nacht auf Mittwoch entdeckt, rund 30 Kilometer östlich vom Großraum London. Alle Opfer, 38 Erwachsene und ein Teenager, waren beim Eintreffen der Rettung bereits tot. Wer die Rettung gerufen hatte, ist unklar.

Der Lkw-Fahrer, ein 25-jähriger Mann aus Nordirland, wurde wegen Mordverdachts festgenommen. Die Polizei habe die Ermittlungen bereits aufgenommen. Unterstützung bekommt sie von der Nationalen Strafverfolgungsbehörde des Vereinigten Königreichs (NCA), um „organisierte kriminelle Gruppen zu identifizieren, die möglicherweise eine Rolle gespielt haben“, wie die BBC schreibt.

Abgesperrter Lkw
AP/PA/Stefan Rousseau
Bei dem Lkw, in dem die Leichen gefunden wurden, handelt es sich um einen Kühltransporter

Richard Burnett, Vorstandsvorsitzender des britischen Frächterverbandes Road Haulage, sagte gegenüber der BBC, bei dem Lastwagen handle es sich um einen Kühltransporter, bei dem Container können die Temperaturen bis zu minus 25 Grad betragen. Er nannte die Bedingungen für jede Person, die sich im Inneren des Kühlwagens befinde, „absolut schrecklich“.

„Ungewöhnliche Route“

„Wir glauben, dass der Lastwagen aus Bulgarien kommt“, teilte ein Polizist mit. In einer ersten Vermutung hieß es, dass das Fahrzeug bereits am Samstag die Grenze nach Großbritannien passiert haben und über den Fährhafen Holyhead in Wales ins Land gekommen sein soll. Mittlerweile gehen die Ermittler von einer anderen Route aus: So wird angenommen, dass der Sattelanhänger über das belgische Zeebrugge Mittwochmittag nach Purfleet gekommen ist. Der Lkw – also das Antriebsfahrzeug – soll aus Nordirland gekommen sein.

Korrespondentin Eva Pöcksteiner berichtet aus London

Korrespondentin Eva Pöcksteiner berichtet aus London zum aktuellen Ermittlungsstand im Fall der 39 Leichen, die in einem Lkw in Großbritannien entdeckt wurden.

Geflüchtete ins Land geschleust?

Ob es sich um ins Land geschleuste Geflüchtete handelt, ist noch unklar. „Wir sind gerade dabei, die Leichen zu identifizieren“, sagte ein Polizeisprecher. „Das kann aber länger dauern.“ Die Leichen werden derzeit obduziert. Die konservative Politikerin Jackie Doyle-Price sprach auf Twitter jedoch bereits von „Menschenhandel“. Das sei eine „abscheuliche und gefährliche“ Angelegenheit. Sie hoffe, dass die Polizei von Essex „diese Mörder vor Gericht bringt“.

Premierminister Boris Johnson schrieb auf Twitter, er sei entsetzt über diesen tragischen Vorfall. „Ich werde regelmäßig über Neuigkeiten informiert, und das Innenministerium wird eng mit der Polizei von Essex zusammenarbeiten, um festzustellen, was genau passiert ist. Ich denke an all diejenigen, die ihr Leben verloren haben, und an ihre Angehörigen.“ Irlands Premier Leo Varadkar sprach von den Todesfällen als eine „menschliche Tragödie“ und fügte hinzu, dass Untersuchungen durchgeführt werden, um festzustellen, ob der Lastwagen durch Irland gefahren sei.

39 Leichen in Lkw in Großbritannien entdeckt

Die Polizei in Großbritannien hat 39 Leichen in einem Lkw-Container entdeckt. Der Lastwagen soll von Bulgarien über Holyhead in Wales nach Großbritannien gekommen sein.

Erinnerungen an Leichenfund bei Parndorf

Jedes Jahr werden Tausende von Geflüchteten illegal nach Großbritannien gebracht, vor allem in Lastwagen und mit Schiffen und Booten. Im Jahr 2000 wurden in einem Container in Dover in England 58 tote Chinesen entdeckt. Das ist die bisher größte Tragödie in Zusammenhang mit illegaler Immigration in Großbritannien.

Der Fall weckt aber auch Erinnerungen an den Fall von 71 Flüchtlingen, die im August 2015 an der Ostautobahn bei Parndorf im Burgenland erstickt in einem Kühl-Lkw gefunden wurden. Ums Leben gekommen waren die Geschleppten auf ungarischem Staatsgebiet. Beim Prozess gegen insgesamt 14 Angeklagte in der südungarischen Stadt Kecskemet wurden die vier Hauptangeklagten zunächst zu 25 Jahren, im Berufungsverfahren zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ermittler neben Lkw
APA/AFP/Ben Stansall
Die Polizei ermittelt zusammen mit der Nationalen Strafverfolgungsbehörde des Vereinigten Königreichs (NCA)

Strengere Kontrollen nach Brexit

Die Zahl der Geflüchteten, die versuchen, in Schiffen oder kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien zu gelangen, stieg stark. Im Jahr 2018 versuchten dem Innenministerium zufolge 539 Menschen, die Meerenge illegal zu überqueren. Von November bis Sommer dieses Jahres waren es schon mehr als 1.000. Ein Mann hatte sogar versucht, den Ärmelkanal mit Taucherflossen zu durchschwimmen.

Die Meerenge ist einer der weltweit meistbefahrenen Seewege und daher besonders gefährlich. Angeblich werden viele Geflüchtete von Schleppern unter Druck gesetzt, die Überfahrt noch vor dem Brexit zu machen. Danach, so die Ansage, würden die Kontrollen weiter verschärft. Aber auch das milde Wetter gilt als Grund für die Häufung der Fälle.