Europarat in Brüssel
ORF.at/Peter Prantner
Brexit

EU legt sich nicht auf neues Datum fest

Der Brexit ist einmal mehr in der Schwebe: Die für Freitag erwartete Entscheidung der EU zu einer Verschiebung des Austrittstermins ist ausgeblieben. Die Botschafterinnen und Botschafter der EU-Staaten hätten hervorragende Gespräche geführt, so Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier – Entschluss gab es jedoch keinen. Damit liegt der Ball offenbar wieder bei London, wo momentan heftig über eine Neuwahl diskutiert wird.

Einig war man sich offenbar nur, dass man den Brexit-Termin grundsätzlich verschieben wolle – das zeichnete sich jedoch bereits in den vergangenen Tagen ab. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte, die Arbeit gehe nach dieser Entscheidung in den nächsten Tagen weiter. Beabsichtigt ist weiterhin, in einem schriftlichen Verfahren, einer Art Rundum-Beschluss, eine Einigung auf die Dauer der Verschiebung zu finden. Die EU wolle nicht „Spielball“ der britischen Innenpolitik sein, zitierte die Nachrichtenagentur AFP einen Diplomaten.

Zuvor hieß es, dass die EU-Botschafterinnen und -Botschafter am Montag oder Dienstag erneut zusammentreffen sollen. Im britischen Unterhaus wird unterdessen wahrscheinlich am Montag über die von Premier Boris Johnson in Aussicht gestellte Neuwahl abgestimmt – der Wochenbeginn könnte also einmal mehr für den Brexit entscheidend werden.

Johnson erhöht Druck auf Abgeordnete

Die Zustimmung dazu gilt aber noch lange nicht als gesichert, weshalb Johnson am Freitag nach der ausgebliebenen Ankündigung der EU den Druck auf die Abgeordneten erhöhte. Sollte das Unterhaus seinem Neuwahlantrag nicht zustimmen, werde er seine Pläne für einen Austritt aus der EU verfolgen. Damit dürfte ein „No Deal“-Brexit mit dem 31. Oktober noch nicht endgültig vom Tisch sein.

Zu Mittag sagte Johnson selbst, dass ein Ausstieg aus der EU am 31. Oktober immer noch möglich sei: „Im Moment liegt es an der EU, über eine Verlängerung zu entscheiden. (…) Aber natürlich ist der 31. Oktober noch möglich, wir könnten am 31. Oktober aussteigen, aber leider hängt es davon ab, was die EU sagt“, so Johnson. Im Falle einer Ablehnung seines Neuwahlantrags sagte er, dass sich seine Regierung jedenfalls nicht an der „Brexitologie“ im Parlament beteiligen werde.

EU vertagt Entscheidung zu Brexit-Termin

ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter berichtet über den Beschluss der EU-Botschafter, die Entscheidung über den Verlängerungstermin des EU-Austritts zu verschieben.

Dass die EU nun keine endgültige Entscheidung über eine Verschiebung des Austrittsdatums getroffen hat, könnte damit zusätzliche Wellen in der britischen Innenpolitik schlagen: Denn im Vorfeld des EU-Treffens wollte die Opposition die Entscheidung aus Brüssel abwarten.

Opposition stellt Bedingungen

Schon am Donnerstag reagierte Labour-Chef Jeremy Corbyn eher zurückhaltend, was den Vorschlag Johnsons, am 12. Dezember zu wählen, anbelangt. Am Freitag wurde Labour konkreter: Labour-Schatteninnenministerin Diane Abbott sagte, dass man „bereit für eine Wahl“ sei, aber man müsse erst wissen, welche Art von Brexit-Verschiebung die EU anbiete. Und: Es müsse eine „ausdrückliche Verpflichtung“ geben, dass „der ‚No Deal‘-Brexit vom Tisch“ sei, so Abbott. „Das könnte weitere Gesetze bedeuten, ich bin mir da nicht sicher – aber wir müssen uns absolut sicher sein können“, sagte sie gegenüber der BBC.

Jermemy Corbyn
Reuters/Henry Nicholls
Die Labour-Partei von Jeremy Corbyn forderte Zugeständnisse von Johnson

Andere Parteien hofften auf EU-Entscheidung

Bei den Liberaldemokraten zeigte man sich ebenfalls eher skeptisch, was einen Neuwahlantrag anbelangt. Parteichefin Jo Swinson sagte, sie wolle keine Wahl unterstützen, bis ein „No Deal“-Brexit vom Tisch ist. Die BBC schrieb, dass sie auch abwarten will, was die EU zu einer Verschiebung sagt. Die Liberaldemokraten bevorzugen ein zweites Referendum – würden aber prinzipiell auch einer Neuwahl zustimmen.

Auch die schottische SNP ist zwar prinzipiell für eine Neuwahl, sogar zu einem früheren Termin als Johnson. Sie übte aber scharfe Kritik am Premier. Der SNP-Fraktionsführer in London, Ian Blackford, sagte, Johnson solle aufhören, „Spiele zu spielen“, schrieb der „Guardian“. Er wolle erst die Zusage von der EU für eine Verschiebung der Austrittsfrist und warf Johnson vor, dass er diesen Prozess aufhalte, indem er eine Neuwahl in Aussicht stellt – eine Befürchtung, die sich offenbar bewahrheitete.

Ian Blackford
AP/House of Commons/Jessica Taylor
Ian Blackford von der SNP kritisierte Johnson scharf

Labour könnte Neuwahl blockieren

Sollte Labour ablehnend bleiben, könnte das eine Neuwahl effektiv blockieren. Schon am Donnerstag hieß es, dass man den Abgeordneten gesagt habe, sie sollten einen Neuwahlantrag entweder ablehnen oder sich ihrer Stimme enthalten. Um die rund 430 Stimmen, die Johnson für die Zweidrittelmehrheit benötigt, zu erlangen, müssten sich sehr viele Labour-Abgeordnete dieser Parteilinie widersetzen. Damit werden die kommenden Tage für die Neuwahlpläne wohl entscheidend – ohne der Opposition entgegenzukommen, könnte es für Johnson eng werden.

Verwaltung sieht Engpass bei Wahllokalen

Doch nicht nur die Regierung, auch die Verwaltung kämpft offenbar mit den Plänen. Laura Lock vom Verband der Wahladministratoren sagte der BBC, dass der 12. Dezember einen Engpass bei den Wahllokalen mit sich bringen könnte. „Das Hauptproblem im Dezember ist, dass viele Wahllokale bereits gebucht sind.“ Auch die Unsicherheiten beim Termin seien problematisch: Es stehe bisher nicht einmal fest, dass die Wahl an einem Donnerstag – wie in Großbritannien üblich – stattfinden werde, so Lock.

Skepsis in Frankreich

Innerhalb der EU könnte es unterdessen noch immer Unstimmigkeiten zur Länge der Verschiebung geben. Am Freitagnachmittag hieß es etwa aus dem Umfeld des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dass eine Verschiebung noch nicht fix sei. „Frankreich will eine gerechtfertigte und verhältnismäßige Verlängerung. Allerdings haben wir bisher nichts dergleichen. Wir müssen den Briten zeigen, dass es an ihnen liegt, die Situation zu klären, und dass eine Erweiterung nicht selbstverständlich ist“, sagte die Quelle gegenüber Reuters.