Lkw wird von Polizeikräften abtransportiert
APA/AFP/Ben Stansall
39 Tote in Lkw

Anklage gegen Fahrer erhoben

Nach dem Fund von 39 Leichen in einem Lkw in der britischen Grafschaft Essex haben die Behörden nun Anklage gegen den Fahrers des Lastwagens erhoben. Ihm wird fahrlässige Tötung in 39 Fällen vorgeworfen. Der Mann war unmittelbar nach dem Leichenfund am Mittwoch verhaftet worden – damals noch unter Mordverdacht.

Der 25-jährige Nordire muss sich außerdem wegen Beteiligung am Menschenhandel, Beihilfe zur illegalen Einwanderung sowie Geldwäsche vor Gericht verantworten. Das teilte die Polizei in der britischen Grafschaft Essex am Samstag mit. Neben dem Fahrer wurden drei weitere Personen im direkten Zusammenhang mit der Tat festgenommen.

In Irland wurde inzwischen ein fünfter Mann festgenommen, der in Verbindung mit dem Verbrechen stehen könnte. Der Mann sei zwar wegen einer anderen mutmaßlichen Straftat gesucht worden, die Polizei in Essex habe jedoch Interesse bekundet, ihn zu befragen, teilte die irische Polizei in Dublin mit.

Abgesperrter Lkw
APA/AFP/Ben Stansall
Der Fahrer der Zugmaschine muss sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten

Fest steht mittlerweile, dass die Zugmaschine aus Irland nach Großbritannien gekommen war. Der Auflieger, in dem die 39 Toten gefunden wurden, war hingegen vom belgischen Hafen Zeebrugge ins englische Purfeet geschifft wurden. Von dort transportierte ihn dann die Zugmaschine in ein Industriegebiet in Grays östlich von London. Wann und wo die Menschen in den Lkw kamen, ist aber weiterhin unklar – ebenso die Todesursache. Möglicherweise sind die Menschen erfroren, da der große Lkw-Sattelauflieger zur Kühlung geeignet ist. Offiziell bestätigt wurde die Todesursache zunächst nicht.

Polizei vermutet Vietnam als Herkunftsland

Hinsichtlich der Identität der Toten konzentriert sich die britische Polizei inzwischen auf das Herkunftsland Vietnam. „Ich lege den Fokus im Moment auf die vietnamesische Gemeinschaft“, sagte Martin Passmore, der bei der Essex Police für die Identifizierung der Opfer zuständig ist. Andere Herkunftsländer ließen sich aber noch nicht ausschließen. Die Polizei hatte zunächst erklärt, es handle sich bei den Getöteten um Chinesen.

Laut der Polizei ist es ein Problem, dass möglicherweise Verwandte der Opfer selbst illegal in Großbritannien lebten und Angst hätten, sich bei der Polizei zu melden. Passmore sicherte deshalb zu, seine Behörde werde niemanden verfolgen, der sich in dem Fall an die Polizei wende. In den vergangenen Tagen hatten sich Angehörige mit teils schockierenden Schilderungen an britische Medien gewandt.

Erschreckende Berichte

So zeigte die BBC etwa Bilder von SMS-Schriftwechseln, mit denen eines der möglichen Opfer nur Stunden vor dem Leichenfund mit seiner Familie in Kontakt getreten war. Eine vietnamesische Familie bestätigte der BBC nach deren Berichten, dass sie 30.000 Pfund (34.720 Euro) für das Schleppen einer jungen Frau bezahlt habe. „Es tut mir sehr, sehr leid“, habe sie an ihre Eltern geschrieben, berichtete die BBC unter Berufung auf Aussagen eines Mannes, der sich als Bruder der Frau vorstellte. „Meine Schwester ist seit 23. Oktober vermisst“, sagte der Mann. Sie habe geschrieben: „Ich sterbe, ich kann nicht atmen.“

Luftaufnahme von dem Ort, wo der Lastkraftwagen mit den Leichen gefunden wurde
AP
Der Lkw wurde in einem Industriepark östlich von London gefunden

Später meldete sich auch bei der Nachrichtenagentur AFP ein Vietnamese, der einen Verwandten unter den Opfern vermutete. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass womöglich sogar die Mehrheit der Toten aus Vietnam gekommen sein könnte. Reuters berief sich dabei auf Angaben eines Gemeindeoberhaupts aus der Provinz Nghe An im Nordosten des Landes.

„Der ganze Bezirk trauert“, wurde der katholische Priester Anthony Dang Huu Nam aus der abgelegenen Ortschaft Yen Thanh zitiert. Der Priester sagte, er stehe in Verbindung mit Angehörigen der Toten. Sie hätten ihm berichtet, dass Verwandte zur fraglichen Zeit nach Großbritannien gelangen wollten und dass sie nun vergeblich versuchten, Kontakt zu ihnen aufzunehmen.

Identifizierung „langer aber entscheidender Teil“

Experten rechnen mit sehr langen Untersuchungen. Die formelle Identifizierung werde den Obduktionen folgen, so die Polizei. „Das wird ein langer, aber entscheidender Teil dieser Untersuchung“, hieß es. Der Fall weckt Erinnerungen an jene 71 toten Flüchtlinge, die im August 2015 an der Ostautobahn bei Parndorf im Burgenland erstickt in einem Kühl-Lkw gefunden wurden. Damals dauerte es mehrere Monate bis 69 der 71 Menschen identifiziert werden konnten. Bei der bisher größten Tragödie in Zusammenhang mit illegaler Migration in Großbritannien wurden im Jahr 2000 in einem Lastwagen in Dover die Leichen von 58 chinesischen Einwanderern entdeckt.